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Schule als Projekt für das Leben

Der 6. Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz fand im rheinhessischen Wörrstadt statt

Unter dem Motto "Wege zu einer demokratischen Lernkultur" fand am 22. September 2011 an der Georg-Forster-Gesamtschule in Wörrstadt der nunmehr 6. Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz statt. Der von einem breiten Netzwerk staatlicher Institutionen und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen und Initiativen u. a. auch vom Förderprogramm Demokratisch Handeln getragene landesweite Kongress bot auch dieses Mal wieder ein großes Forum für den Austausch von Informationen und Erfahrungen und zeigte, wie weit die Schulen im Land in der demokratischen Entwicklung voran gekommen sind, aber auch, welche Entwicklungsschritte alle Beteiligten noch gehen müssen. Nachdem bei den vergangenen stärker die Schule als System und ihre strukturellen Veränderungen im Mittelpunkt standen, lag der Fokus diesmal auf der Entwicklung partizipativer Lernprozesse im Fachunterricht, beim Projektlernen und anderen offenen Formen des Unterrichts.  

Der Name ist Verpflichtung: Georg Forster, der Naturforscher und Ethnologe aus Mainz, war eine der entscheidenden Figuren bei der Gründung der Mainzer Republik 1793 als Folge der Französischen Revolution vier Jahr zuvor. Hier entstand die erste bürgerlich-demokratische Grundordnung auf deutschem Boden, die allerdings schnell wieder durch deutsche Truppen aufgelöst wurde. "Forster hat sich zu einer Zeit für Demokratie und Freiheit eingesetzt, als dies noch mit der Gefahr für Leib und Leben verbunden war", erklärte Ministerpräsident Kurt Beck in seinem Grußwort zum 6. Demokratie-Tag am 22. September 2011 in der Georg Forster Gesamtschule in Wörrstadt. "Ich freue mich, dass die Gesamtschule diese Persönlichkeit als Namenspatron gewählt hat und ihren Schulalltag und den Unterricht an demokratischen Idealen ausrichtet. Die Namenswahl sagt viel über den Geist einer Schule aus."

Tatsächlich ist der Name Georg Forster auch Programm an der Ganztagsschule im Landkreis Alzey-Worms. Hier sind soziales Miteinander und voneinander Lernen von Beginn an wichtige Lernziele. Die Schülerinnen und Schüler lernen demokratische Spielregeln kennen und üben diese in verschiedenen Situationen ein. Eine besondere Bedeutung hat dabei die wöchentliche Klassenratsstunde, die sogar in der Oberstufe stattfindet. Hier übernehmen die Schülerinnen und Schüler Verantwortung und regeln ihre eigenen Angelegenheiten im demokratischen Miteinander. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an partizipatorischen Elementen, die allen an der Schule Beteiligten Teilhabe ermöglichen. Hierzu gehören zum Beispiel die "Elternschule", ein Fortbildungs- und Austauschforum von und für Eltern, das von Schülerinnen und Schülern selbstverwaltete Oberstufencafé und die intensive Arbeit der Schülervertretung, die in alle wichtige Entscheidungen der Schule eingebunden ist.

Es verwundert also nicht, dass die Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik und ihre Kooperationspartner als Veranstaltungsort für ihren 6. Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz die Georg Forster Gesamtschule ausgewählt hatte, die zudem noch Modellschule für Partizipation und Demokratie ist. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung hatten so Gelegenheit, sich direkt vor Ort über tatsächlich umgesetzte Mitbestimmungs- und Mitwirkungs-möglichkeiten zu informieren. "Wir freuen uns über unsere aktiven Schülerinnen und Schüler und auch über unsere Eltern, die uns kritisch, aber solidarisch begleiten", begrüßte Schulleiterin Bettina Gerhard das Plenum im Foyer ihrer Schule.

Kurt Beck: "Nicht nur Demokratie spielen, sondern sie leben"

Dass Ministerpräsident Beck für einen Rundgang durch den in den Gängen der Schule aufgebauten "Markt der Möglichkeiten" mit allen Partnern und Institutionen und für den Vormittag im Plenum nach Wörrstadt gekommen war, sah die Schulleiterin als Zeichen der Wertschätzung für die geleistete Arbeit. Hans Berkessel, der Koordinator des 6. Demokratie-Tags dankte neben dem Pädagogischen Landesinstitut, dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MBWWK) und der Serviceagentur "Ganztägig lernen" auch der Staatskanzlei und den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Partnern für die finanzielle und personelle Unterstützung bei der Ausrichtung dieser Veranstaltung. "Wir möchten, dass Schülerinnen und Schüler von der Schule abgehen, die sich selbstbewusst mit ihren Anliegen in die Gesellschaft einbringen können, die frei reden, moderieren und diskutieren können", definierte Berkessel ein Ziel demokratischer Mitwirkung in der Schule.

Kurt Beck betonte, dass es darum gehen müsse, mehr Lebendigkeit in die Demokratie zu bringen, um die "schleichende Minderwertschätzung der demokratischen Rechte aufzuhalten". Schule und Jugendarbeit seien ideale Orte dazu. "Hierbei geht es nicht darum, Demokratie zu spielen, sondern sie zu leben. Wenn Kinder und Jugendliche mitreden und mitentscheiden können, dann muss es auch gelten", betonte der Ministerpräsident.

Die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler bei demokratischen Rechten in der Schule nur auf "Nebenschauplätze vertröstet werden", sah auch Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel von der Technischen Universität Dortmund in ihrem Hauptvortrag "Lernkultur und Demokratie an guten Schulen". Die Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik führte aus, dass eine Demokratiepädagogik, die wirksam sein will, Kernbereiche wie Unterricht und Leistungsbeurteilung nicht aussparen dürfe. "Handlungskompetenzen und Selbstwirksamkeitserfahrungen der Kinder und Jugendlichen müssen gestärkt werden - und dies können Lehrkräfte durch einen individualisierten und differenzierten Unterricht sowie dialogische Lernbegleitung und Leistungsbeurteilung erreichen", so die Wissenschaftlerin.

Rheinland-Pfalz als bundesweiter Vorreiter

Damit sie einen solchen individualisierten Unterricht gestalten können, muss der Wissenschaftlerin zufolge die Position der Lehrerinnen und Lehrer gestärkt werden. Aber die Pädagoginnen und Pädagogen sollten sich auch auf eine veränderte Rolle ihrer Schülerschaft einstellen: "Die Kinder sitzen nicht mehr nur stumm in der Klasse und warten auf Anweisungen, sondern bestimmen den Unterricht selbst mit. Sie fragen, kritisieren, entwickeln Ideen und geben Anstöße." Beispielgebend sei hier die preisgekrönte Grundschule Landau-Süd, welche die so genannte "Neugierzeit" eingeführt habe, in der die Schülerinnen und Schüler über die Unterrichtsinhalte bestimmen können. "Auch Projektlernen ist eine wichtige Erfahrung für die Kinder und Jugendlichen. Projekte sind individualitätsstärkend, können Anerkennung, Kompetenz und soziale Eingebundenheit vermitteln", beschrieb Silvia-Iris Beutel. "Sie bieten auch Anlass, die Schule zu verlassen, um sich mehr Lebensraum zu erschließen, Aufgaben mehrdimensional zu betrachten und im Team zu arbeiten."

Als Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises sehe sie, was sich in den Bundesländern bewege - und Rheinland-Pfalz steht nach Meinung der Wissenschaftlerin im Bereich der Demokratiepädagogik beispielhaft da. "Beeindruckt hat mich bei den Reisen durch die Schulen die Aussage eines Neuntklässlers, der die Demokratiepädagogik so umschrieb: 'Im besten Fall ist die Schule ein Projekt für das Leben'", berichtete Silvia-Iris Beutel.

Das Lob der Dortmunder Professorin war nicht das einzige, über das sich Staatssekretärin Vera Reiß zum Abschluss freuen konnte. Auch Tobias Diemer, der Stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik, erklärte die Projekte in Rheinland-Pfalz als "bundesweit beispielgebend": "Mit dem Demokratietag ist das Land Vorreiter. Andere Bundesländer sollten diese Idee aufgreifen."


"Bedeutung des Themas besser kommunizieren"

Vera Reiß erklärte: "Die bisherigen Demokratietage haben auch auf unsere Politik Einfluss ausgeübt. Im neuen Koalitionsvertrag ist die Stärkung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler vereinbart. Es gibt Schulgesetze in anderen Bundesländern, die in diesem Bereich weitergehen, und diesen Handlungsbedarf haben wir erkannt." Eine weitere Aufgabe, der sich alle Beteiligten stellen müssten: "Wenn wir ehrlich sind, wird die Demokratiepädagogik noch nicht in allen Schulen als wichtig erachtet. Wir müssen die Bedeutung des Themas besser kommunizieren", so die Staatssekretärin.

Vielleicht würden skeptische oder gleichgültige Pädagoginnen und Pädagogen für das Thema Feuer fangen, wenn sie die Möglichkeit wahrnähmen, das Projekt "S.A.M.S. - Schüler arbeiten mit Schülern" kennen zu lernen, welches die Pädagogische Fachkraft Rita Steiger-Essling und die beiden Zwölftklässlerinnen Sabrina und Kristin am Nachmittag vorstellten.

S.A.M.S. ist seit dem Schuljahr 2005/2006 ein fester Bestandteil des rhythmisierten Unterrichts der Ganztagsklassen der Jahrgänge 5 und 6 an der Georg Forster Gesamtschule. Ausgebildete Oberstufenschülerinnen und -schüler betreuen montags eine Kleingruppe von fünf Kindern. In 90 Minuten erledigen sie gemeinsam Aufgaben, üben für Klassenarbeiten, lesen Bücher oder fördern spielerisch. Derzeit werden auf diese Weise jeden Montag insgesamt 120 Schülerinnen und Schüler in 20 Kleingruppen gefördert.

"Das Projekt ist inzwischen im Kollegium gut angesehen", berichtete Rita Steiger-Essling, "und die Lehrkräfte halten einen engen Kontakt zu den S.A.M.S.-Betreuern aus der Oberstufe." Sabrina und Kristin versicherten, dass ihnen die Arbeit mit den jüngeren Mitschülerinnen und Mitschülern Spaß mache. "Wir lernen auch selbst etwas, sowohl inhaltlich, als auch, wie man mit Problemen umgeht", erzählte Sabrina. Und Kristin ergänzte: "Man lernt auch, geduldig zu sein." Eine positive Rückmeldung konnte eine Mutter geben: "Mein Sohn fühlt sich in den S.A.M.S.-Gruppen wohl. Das ist eine gute Form für den Kleinen zu lernen." Und für die älteren Schülerinnen und Schülern eine gute Möglichkeit, sich in den Schulalltag einzubringen und Verantwortung zu übernehmen.

(Ralf Augsburg, digitale zeiten)

(01.12.2011, LR)

 
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