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Man muss was miteinander und füreinander tun – Eine Projekt-Präsentation für Bremen und Bremerhaven im Schulzentrum Neustadt

"Projekte demokratischen Handelns in Bremen und Bremerhaven"

Bei der Ausschreibung 2010 des Wettbewerbs "Förderprogramm Demokratisch Handeln" haben sich 34 Projekte aus den Schulen Bremens beworben. Davon haben sich 27 Projekte aus 16 Schulen des Stadtstaates, aus vielen Stadtteilen und auch aus Bremerhaven, bei der "Regionalen Lernstatt Demokratie" im Bremer Schulzentrum Neustadt zusammengefunden, dem diesjährigen Gastgeber. In der Aula entstand eine bunte und themenreiche Ausstellung. Die Schülerinnen und Schüler haben plakatiert, Infotische aufgebaut und Präsentationen eingerichtet. Das Engagement für die Sache der Demokratie und für eine breite Palette durch Themen bestimmter Projekte war in allen Projekten greifbar!

Die Projektpräsentation der "Regionalen Lernstatt Demokratie" verfolgte mehrere Ziele. Zum einen können die Projekte miteinander ins Gespräch kommen, sie kommen in eine Situation, in der sie die Präsentation als Teil der öffentlichen Vermittlung ihrer Erfahrungen, Interessen und auch ihrer Schwierigkeiten einüben und ausüben. Der Öffentlichkeit sollen die herausragenden Projekteergebnisse vermittelt und sichtbar gemacht werden – denn noch immer ist das Demokratie-Lernen in der Schule weder ein selbstverständlicher Bestandteil von Curriculum und Erfahrungsqualität der Schulen, noch kann von einer selbstverständlichen oder auch nur hinreichenden Verbreitung und Wirksamkeit demokratiepädagogischer Ansätze die Rede sein. Gerade deshalb muss auch gegenüber den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen sowie ihren Lehrerinnen und Lehrern sichtbar werden, dass Fachwelt und Öffentlichkeit sich für ihr Tun interessieren, dass es als wichtiges Element schulischer Lern- und Erfahrungsqualität anerkannt wird. Überdies möchte das Förderprogramm Demokratisch Handeln gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigen, dass es sich ausnahmslos für alle Bewerbungen in seiner Wettbewerbsausschreibung interessiert, jenseits von den "Best-Practice"-Auswahlentscheidungen seiner Jury.

Fachlichkeit und gemeinsame Präsentation von Schüler- und Lehrerschaft stehen im Mittelpunkt

Der Regionalberater des Förderprogramms in Bremen, Hans-Wolfram Stein, hatte ein ambitioniertes Programm vorbereitet. Drei Arbeitsgruppen boten die Chance, dass alle Projekte differenziert vorgestellt und diskutiert werden konnten. Zuvor hat der Bremer Jugendforscher und Erziehungswissenschaftler Christian Palentien eine kompakte und klare Einführung in das Thema "Demokratisch Handeln – Beitrag zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen" gegeben. Palentien ist es nicht nur gelungen, das für einen Sozialwissenschaftler herausfordernde Publikum – in dem sich Kinder, Jugendliche, Lehrkräfte aller Schularten und -stufen zusammengefunden hatten – anzusprechen, ohne auf eine strukturierte Argumentation zu verzichten. Er hat auch sehr einsichtig die Entwicklungsdissonanz im Feld schulischer Partizipation verdeutlicht, die in der Schule in den letzten 35 Jahren erhebliche Modernisierungen in Methodik und Didaktik, gekoppelt mit großen Verschiebungen insbesondere in Blick auf die Heterogenität und die Ausdifferenzierung von Lebens- und Sozialwelten bei den Schülerinnen und Schülern mit sich gebracht hat. Diesem Wandel, den wir mit den Gegenwartsaugen vor allem als Problemdruck wahrnehmen, stellt sich eine verfasste, rechtlich ausgestaltete Schule mit geringen Partizipationsmöglichkeiten gegenüber, die sich auf dieser Ebene im Wesentlichen überhaupt nicht verändert haben. Dissonant ist also die Dynamik des Wandels im praktischen Leben im Verhältnis zur Statik der Institution Schule. Denn die Partizipationsmöglichkeiten, -ansprüche und -grenzen verdanken sich einer Schulverfassung, die in elf Varianten in den westlichen Bundesländern seit Ende der 1960er bis Mitte der 1070er Jahre eingeführt worden ist und zugleich ohne große Modifikation anfangs der 1990er Jahre die Vorlage für die fünf neuen Schulgesetze in den Ländern auf dem Gebiet der ehemaligen DDR abgegeben hat. Die Demokratiepädagogik ist eine Antwort auf das sich weiter auseinander bewegende Spannungsfeld, das wurde sehr deutlich!

Zuvor hat der Geschäftsführer des an der Universität Jena angesiedelten Förderprogramms, Wolfgang Beutel, die Teilnehmenden herzlich willkommen geheißen in einer gastfreundlichen schulischen Umgebung, die Schuleiter Grams ohne Zögern und selbstverständlich auch während des schulischen Alltagsbetriebs für diese Veranstaltung freigegeben hat. Das Neustadt-Schulzentrum ist eben auch im Sinne der Öffnung nach außen eine demokratische Schule.

Beutel betonte die Innovationsleistung, die innerhalb des bundesweiten Wettbewerbs den Schulen aus Bremen schon seit Jahren zukommt. Bremen stehe mit Einsendungen von deutlich über zehn Prozent an den jeweiligen Einsenderzahlen stets bei den drei Ländern mit dem größten Teilnehmeraufkommen. Gemessen an seiner Schülerzahl drängten die Schulen der Stadt im Concours dieses Förderwettbewerbs zur dauerhaften Spitzenposition: "Was Dortmund in der Bundesliga, ist Bremen im Wettbewerb Demokratisch Handeln", sagt der Wettbewerbsleiter, der privat in der Ruhrmetropole lebt und das gegenwärtige Leiden der Bremer Fussballfans wohl verstehen kann. "Umso bedeutungsvoller ist die aktuelle Werder-Wette zum Erstwählerverhalten", auch das aus Beutels Sicht ein engagiertes und originelles Projekt – typisch Bremen eben.

Jedes Projekt bekommt Möglichkeiten zur Präsentation

In jeder Gruppe konnten sich in zwei Stunden je acht Projekte präsentieren. Eine Aufgabe, die über weite Strecken von den Schülerinnen und Schülern mit großem Einsatz wahrgenommen worden ist. Einige Beispiele sollen skizziert werden:

  • In einem schul- und jahrgangsübergreifenden Projekt erarbeiteten Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Hamburger Straße unter professioneller Begleitung von zwei Filmemachern den Film "Vorsicht Nazi", der über Symbole der extremen Rechten aufklärt. Zwei Schüler traten dabei als Darsteller auf.
  • Das Theaterprojekt "Lekcjatolerancji – mehr als nur eine Begegnung" mit Kindern der Klasse 4b der Ganztagsgrundschule "Schule am Pulverberg" ist Teil einer intensiv gelebten Partnerschaft mit der Grundschule "Naszaszkola" in Gdansk. Respekt und Wertschätzung im Umgang miteinander wachsen durch die Begegnung und das gemeinsame Lernen und Arbeiten mit anderen Menschen.
  • Der Kurs 13 C der Oberschule am Leibnizplatz beteiligte sich an dem Kommunikations- und Austauschprojekt "Leihst du mir deinen Blick" mit israelischen und palästinensischen Jugendlichen. Ziel des Projektes war es, die bestehenden Vorurteile unter den drei Gruppen (Israelis, Palästinenser und Deutsche) zu reduzieren und "alte" Stereotypen und Feindbilder abzubauen. Die deutschen Schülerinnen und Schüler nahmen die Chance wahr, Jugendliche aus dem Nahen Osten kennenzulernen und über ihre differenzierten Erfahrungen zu sprechen.
  • In Kooperation mit dem Stadtjugendring Bremerhaven entstand an der Amerikanischen Schule in Bremerhaven die Idee ein Klassensprecherseminar zu veranstalten, um die Schülerinnen und Schüler mehr an schulischen Prozessen zu beteiligen. Die intensive Auseinandersetzung mit den Themen "Demokratie" und "demokratisches Lernen" wirkte sich positiv auf die Etablierung eines Klassenrats aus.
  • Die Schülerinnen MelikeEsir und Joana Feldmann des Bremer Beruflichen Gymnasiums für Gesundheit und Soziales organisierten an ihrer Schule einen "Tag der Toleranz". In Rollenspielen und Diskussionen leisteten sie Aufklärungsarbeit und machten auf Intoleranz und Respektlosigkeit im Schulalltag aufmerksam.
  • Behinderte und nicht behinderte Jugendliche aus Bremen gründeten die Schülerband "Human Tuners". Nach mehrmonatigen Proben, die von Spaß und Enthusiasmus geprägt waren, folgten erste erfolgreiche Auftritte. Medien und Politik wurden auf sie aufmerksam und sie gewannen die Wahl zur besten Schülerband Bremens.

Das sind nur sechs willkürlich ausgewählte Projekte aus dem gesamten Angebot. Es hat sich vor allem gezeigt, dass alle hinter allen Wettbewerbsbeiträgen hochinteressante und im jeweiligen Kontext innovative Lernmöglichkeiten stehen. Da diese Einschätzung vermutlich für die Mehrheit der komplexen Beiträge dieses Programms gelten dürfte, wird es der Jury des Bundeswettbewerbs mit der richtigen Entscheidung recht schwer fallen, könnte man meinen. Doch dort muss dann in erster Linie die schriftliche Dokumentation beurteilt werden – das mag nochmals Unterschiede erzeugen.

Besuch durch Senatspräsident Böhrnsen – Anerkennung und Politik

Eine besondere Anerkennung stiftete der Bürgermeister der Hansestadt und Senatspräsident des Landes Bremen, Jens Böhrnsen. Böhrnsen hatte nicht nur Zeit mitgebracht, sondern auch Aufmerksamkeit – ein wertvolles Gut des Politikers gegenüber den Schülerinnen und Schülern und auch den Lehrkräften. Jens Böhrnsen hat in seinem Grußwort auf eindrückliche und persönliche Weise auf die Fragilität der Demokratie aufmerksam gemacht und dem bürgerschaftlichen Engagement, dem handelnden Citoyen in der Demokratie das Wort geredet. Das Bekenntnis des bundesweit bekannten Politikers ist auf offene Ohren gestoßen – gerade gegenwärtig ist es noch keineswegs selbstverständlich, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger auch außerhalb der Wahltermine umfassend zu begrüßen. Die Debatte um die außerhalb von Wahlen liegende Partizipation breiter Gruppen der Gesellschaft ist aktuell, sie ist in vollem Gange und kann kaum konsensuell beantwortet werden. Umso mehr ist es wichtig, so Böhrnsen, deutlich zu machen, dass zu den Grundtatbeständen der demokratischen Ordnung eben auch solche der demokratischen Kultur und eines entsprechenden Bürgerengagements von klein auf zählen. Jens Böhrnsen hat sich anschließend hinreichend Zeit genommen, die Ausstellung anzusehen und mit allen Projektgruppen zu sprechen – inklusive der begehrten "Fototermine".

Bei der Schlusspräsentation ist einmal mehr deutlich geworden, wie breit die Palette der Projekte ist – wobei Bremen exemplarisch für die gesamte Landschaft der Projekte demokratischen Handelns auch dieser Ausschreibungsrunde steht. In der zweiten Arbeitsgruppe wurde diese in neun Stichpunkten festgehalten:

  1. Wenige können vieles;
  2. Anerkennung und Wiedererkennung schulischen Demokratie-Engagements durch die Politik ist von großer Bedeutung und ein "Verstärker" für Lernen und Handeln in der Demokratie;
  3. Projekte kennen zu lernen ist eine herausragende Eigenschaft dieser Veranstaltung, bei der alle mit gleichem Recht präsentieren können;
  4. Alle müssen stärker als bislang lernen, ihre Projekte und deren Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen;
  5. Es fällt auf, dass sehr viele Projekte soziale Aufgaben bearbeiten; darin zeigt sich nicht nur die Stärke von Konzepten wie "service-learning", sondern auch die Tatsache, dass Staat und Gesellschaft auf die solidarische Leistung aller zunehmend mehr angewiesen sind;
  6. Solidarität und Hilfe in den Projekten sind beeindruckend; oftmals sind sie auch "leicht" im Sinne einer niedrigen Schwelle erreichbar;
  7. Es ist möglich, sich in der Schule und beim Lernen für Aufgaben in der Demokratie einzusetzen;
  8. Es gibt immer noch zu wenige Projekte dieser Art;

Und neuntens – sowie im Sinne einer bilanzierenden Schlusswendung: Es ist gut, zusammen zu kommen und zu sehen, was möglich ist; auf die nächste "Regionale Lernstatt Bremen" Anfang 2012 darf man deshalb schon jetzt gespannt sein.

(Wolfgang Beutel, Jena/Dortmund, April 2011)

(01.11.2011, LR)

 
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