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Demokratie in der Schule Im Horizont von Macht und Möglichkeiten

"Unser Blickwinkel war nicht geprägt von Behinderungen, sondern immer von den Möglichkeiten, die sich uns boten." Wilfried Kretschmer, Schulleiter der Robert-Bosch- Gesamtschule im Hildesheim, des Hauptpreisträgers im Deutschen Schulpreis 2007, ließ diesen so schlichten wie prägnanten Satz im Verlauf der Publikumsdiskussion fallen. Diese These hätte gut und gerne als Leitmotiv getaugt für das samstägliche Podium, das sich nochmals unter besonderer Fragestellung dem Thema Demokratie in der Schule zuwandte. Dafür spannte Peter Fauser gleich zu Beginn den Horizont auf: Mit Blick auf die politisch legitimierte Macht sollte es darum gehen die Chancen und Grenzen auszuloten, um Schule demokratiepädagogisch zu gestalten. Jeder der Teilnehmer auf dem Podium böte dazu, so Fauser, eine eigene Perspektive.

Das neue Hamburger Modell

Die Hamburger Bildungssenatorin Christa Goetsch griff den Gedanken von Schulleiter Kretzschmer nahtlos auf. Sie erinnerte an die 60er Jahre in der Bundesrepublik, in der erst durch einen großen sich formierenden Protest ein neuer demokratischer Aufbruch möglich wurde. Manche der Themen von damals, so Goetsch, hätten kaum an Aktualität verloren. So sei es ihr Anliegen als nunmehr Regierende, die "undemokratische" schulartbezogene Selektion der Kinder und den damit verbundenen bereits früh einsetzenden Leistungsdruck, der sich zwangsweise mit früher Versagenserfahrung bei den "Verlierern" koppele, im Schulsystem zu verringern, ja letztlich zu beseitigen. Doch was man nun dafür in Hamburg unter ihrer Führung mit einem neuen Schulgesetz umsetze, werde keineswegs nur mit Macht und damit von oben herab lanciert. Es beruhe auf Forderungen, die bereits der vorherige Senat in seiner Enquetekommission für die Zukunft der Bildung formuliert habe - "unter Einbezug aller Parteien", wie sie ausdrücklich hervorhob. Zugleich sei bei der Realisierung ein Prozess der Partizipation angestoßen, der alle Handlungsebenen mit ihrem Know-how einbinde. Entsprechend eindeutig fiel ihr Votum aus: "Reformen lassen sich nicht ‚top down‘ verwirklichen". Dass sich dennoch Widerstand artikuliere - gemeint ist die Volksinitiative "Wir wollen lernen", die von den Medien als "Gucci Protest" stilisiert wird - gehöre für sie zu einer demokratischen Streitkultur nun einmal dazu.

Partizipationsprozesse und neue politische Konstellation

Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland fokussierte unterdessen die neue politische Landschaft, die sich aus einem aufgefächerten Sechs-Parteiensystem ergebe. Die Hamburger schwarz-grüne Koalition leiste hier Pionierarbeit. "Dennoch ist absehbar", so Oppelland, "dass Zweierkonstellationen seltener werden". Auch die Konzentration auf zwei Volksparteien als führende Partner verlöre an Gewicht. Damit unterscheide sich Deutschland in seinem empirisch beschreibbaren Parteiensystem zunehmend mehr von einem System wie bspw. dem in Amerika, das eine Ausdifferenzierung der Parteienlandschaft überhaupt im Ansatz gar nicht zulasse. Die Auffächerung der bundesdeutschen Parteienlandschaft erschwere es jedoch auch, Mehrheiten für bestimmte Themen zu schmieden – sie führe also zu einer verringernden Effizienz, zu einem bedingt kleineren Output im politischen Verfahren. Deshalb seien Abstriche an eigene Forderungen notwendig in der demokratischen Konsenssuche, was ebenso Auswirkungen hätte für solche bildungspolitischen Desiderate wie etwa das längere gemeinsame Lernen. "Gleichzeitig verschärfen sich", so der Politikexperte, "die Verteilungskämpfe in der Gesellschaft. Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wird damit absehbar an Bedeutung gewinnen", lautete folglich seine Prognose.

"Gute Schulen sind meistens staatlich weniger gelenkt"

Dr. Heike Kahl, die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, richtete ihren Blick zunächst auf ihre persönliche Erfahrung nach der Wende. Als Mutter und Ostberliner Neuankömmling im bundesdeutschen System habe sie seinerzeit eine gute Schule für ihr Kind gesucht. Lebhaft schilderte sie ihren "Marsch durch die Institutionen" einer überforderten Senatsverwaltung. Diese Erfahrung von kalter Macht und Formalismus habe sie in ihrer späteren Arbeit an der Spitze der Stiftung maßgeblich geprägt, so Kahl. Trotz geringerer Mittel und wenig Personal sei man konsequent den Weg gegangen, bei den Stiftungsprogrammen auf hohe Fachlichkeit und Qualität zu setzen. Als Glücksgriff erwies sich die frühzeitige Förderung von Ganztagsschulen, was sich kurz darauf nahtlos in die politische Landschaft der einstigen rot-grünen Reformpläne fügte. So habe man einen wichtigen bürgergesellschaftlichen Beitrag geleistet. Ihr zweifaches Credo aus diesen Erfahrungen: "Es lohnt sich zarte, noch junge Pflanzen zu fördern." Und im Sinne des Bildungsjournalisten Christian Füller unterstreiche sie dessen These, dass gute Schulen meistens weniger staatlich gelenkt seien, weshalb sie auch gerne vom Wildwuchs in der Bildungslandschaft spreche.

Schulreformen von innen sind von demokratisch integrativer Natur

Wilfried Kretschmar knüpfte indes an seine vielfältigen Erfahrungen als Schulleiter der Robert-Bosch-Gesamtschule in Hildesheim an - die zweite als Hauptpreisträger ausgezeichnete Schule des Deutschen Schulpreises. Seine Schule sei mit ein Beispiel dafür, dass die Regierungen sich nicht immer auf Höhe der tatsächlichen Entwicklungen befänden. Gesamtschulen hätten sich insgesamt und abseits von staatlicher Förderung oder Bevorzugung in den vergangenen Jahren qualitativ sprunghaft nach vorne entwickelt. Auch der Elternwille zeige das gewachsene Interesse an diesen Schulen, gerade auch im Unterschied zur Hauptschule, die demografisch mehr oder weniger wegbreche und deren Ende aller bildungspolitischer Künste zum Trotz doch am Horizont aufscheine. Diese "Schulreform von innen" sei dabei im Falle seiner Schule getragen von einem Management, das sich auf viele Schultern verteile und dadurch demokratisch und integrativ wirke. Nur so wären die vielen Anstöße und Neuerungen umsetzbar gewesen, für die man mit dem Preis ausgezeichnet wurde.

Über "vordemokratische" Strukturen und Pseudopartizipation

Klaus Wenzel vom Bayrischen Lehrerinnen und Lehrerverband (BLLV) konnte es sich indes nicht verkneifen, "ein wenig Wasser in den Wein zu gießen". Die äußeren Strukturen des Schulsystems seien für ihn nach wie vor "vordemokratisch". So würde Begabung in drei überholte Kategorien gefasst und immer noch hierarchisch strukturiert. Dies wären die Bedingungen, die das Lehrerhandeln nicht nur einzwängten, sondern auch prägten. So zeigten Studien bspw., dass an 90 Prozent der Gymnasien mit Sitzordnungen gearbeitet werde, die zentral auf den Lehrer ausgerichtet seien. Und insgesamt gelte das immer noch für 60 Prozent aller Schulen. Auch in der Beteiligung der Schülerinnen und Schüler am Geschehen in der Schule artikuliere sich eher eine so genannte und oft auch von den Schülern so empfundene "Pseudopartizipation". Deshalb plädiere er sehr dafür, dieses tradierte und auf "frontale Konfrontation" gerichtete Lehrerbild in Frage zu stellen. Ihm reiche es nicht, wie es neuerdings modern sei, nun von den Lehrern als "Experten für das Lernen" zu sprechen. Es bedürfe vielmehr einer grundlegenden Revision der eigenen Haltung von Lehrerinnen und Lehrern gegenüber den Schülern, die auch den Namen demokratiepädagogisch verdiene. Dies wiederum sei nur durch eine politisch gestützte entsprechende Qualifizierungsstrategie in der Lehreraus- und -fortbildung zu erreichen. 

Abschließende Diskussion

Wenzels Statement setzte schließlich durchaus kontroverse Beiträge aus dem Publikum frei. Es wurden sogar Parallelen zu Michel Foucaults Studien zum Verhältnis von "Pädagogik und Strafvollzug" gezogen, in der er die Schule mit einem Gefängnis verglich. Heike Kahl gab indes zu bedenken, dass sich die Alternativen in der Praxis längst zeigten. Es gehe um eine Kultur der professionellen Kooperation, einem so genannten "peer learning", aus dem heraus oft wichtige Impulse entstünden. Dennoch blieb eine offene Frage im Raum: "Wie erreichen wir die desolaten Schulen?", die sich bislang intensiver pädagogischer Entwicklung und v.a. auch demokratiepädagogischer Initiativen verschlössen.

Diese Frage griff dann auch Peter Fauser in seinem Schlusswort auf. "Wir hatten lebhafte Diskussionen auf dieser Tagung und haben viele Anregungen und Ideen zusammengetragen. Es gibt sicher noch genügend zu tun, gerade auch im Hinblick auf all die Schulen, die wir bislang nicht erreicht haben. Insofern bin ich sehr gespannt, und sie hoffentlich auch, was wir 2019 nach zehn weiteren Jahren sagen und bilanzieren können". Es ist deutlich geworden, dass bei allen Erfolgen und Veränderungen auch die demokratiepädagogische Schulentwicklung eine langfristig zu gestaltende und stetig zu unterstützende Aufgabe bleibt!

(Heinfried Tacke, Berlin)

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