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Wolfgang Beutel: Demokratie braucht Zuversicht und Mitwirkung

„Politikverdrossenheit hat einen Grund in der objektiven Schwierigkeit, gute Politik zu machen, die allen gefallen kann, und in der persönlichen Begrenztheit von uns Politikern. Einen anderen - Grund hat sie in der Egozentrik vieler Einzelner, die sich vor der Verantwortung fürs Ganze drücken und auf Distanz bleiben zum politischen Handeln“, das sagt unser ehemaliger Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering in einem leidenschaftsgeprägten Grundsatzartikel im Januar 2008 in der ZEIT im Rückblick auf sein lebensbegleitendes Motiv für die aktive Politik. Er setzt dieser Bilanz die angesichts der allgemein ständig hörbaren Reden von der Politikmüdigkeit und der Enttäuschung vieler Bürgerinnen und Bürger über unsere Demokratie fast provozierende These voran: „Mit der Politik ist es eine ernste, aber auch heitere Sache. Die jeden angeht. Die sogar Spaß macht“.

Müntefering hat Recht. Dass Politik Spaß machen kann, gilt zwar nicht als Heilversprechen für alle die, die den oft auch mühevollen Streit und die detailreiche Kleinarbeit in der Parteien, Ortsgruppen, Gemeinderäten, aber auch in Ausschüssen und Parlament leisten. Und selbst das viel beschworene Engagement in bürgerschaftlichen Initiativen, in der „Graswurzel-Demokratie“ bringt nicht immer die pure Freude. Dennoch macht es nachdenklich, wenn er sagt, “...dass jemand Parteien überflüssig findet, parteiische Parteipolitiker sogar total – das ist nicht selten. Dass jemand den Streit um den richtigen Weg in der Politik störend findet und für kleinliches Gezänk hält – zahlreich. Als Politiker steht man davor, wundert sich immer wieder“. Nicht nur als Politiker, kann man sagen – Streit und argumentative Mühen um klare Argumente sind doch nun wahrlich Stärken und nicht Schwächen des menschlichen Miteinanders in Vernunft. Deshalb meine ich mit diesem Münteferingschen Statement: Es muss so nicht sein. Wir wissen, dass die Kontroverse, die Differenz in der Position zu einer politischen Aufgabe, der Streit im Meinungsaustausch und in der Debatte in die Demokratie gehört, wie das Salz in der Suppe.

Dass dem so ist lernen nun Schülerinnen und Schüler in der Regel – oder wenigstens hoffentlich – im Fachunterricht Politik in der Schule. Die Schule konfrontiert sie dort mit viel detailreichem Wissen zu den Institutionen, Aufgaben, Problemlösewegen und Verfahren unserer und der anderen aufgeklärten westlichen Demokratien. Aber lernen Sie dort auch die Lust und die Freude an der Verantwortung und der Politik, die des Vizekanzlers Appell und Plädoyer in ihrem ganzen Gestus leitet? Wohl eher selten – was zuallererst dem eher bescheidenen zeitlichen Ausmaß des Fachunterrichts Politik geschuldet ist. Zum zweiten – und wohl bedeutsameren Grund – liegt es daran, dass Politik Handeln ist, Praxis, unmittelbare Antwort auf aktuelle Aufgaben und Probleme. Und hier liegt auch der Grund, weswegen wir großes Interesse haben an Ihren und Euren Projekten.

Denn es gibt in den letzten Jahren eine unübersehbare Tendenz zur Veränderung des Lernens in vielen Schulen, wobei dies durchaus innerhalb einer europäischen Entwicklung vonstatten geht. Nicht nur über Politik soll in der Schule gesprochen, sondern vielmehr Demokratie erfahren und erprobt werden. Wettbewerbe zur politischen Bildung besinnen sich auf das Lernen durch Handeln, auf die Debattenkultur, auf Verantwortungsübernahme in gesellschaftlichen Aufgaben. Die Demokratie als Kern des Politischen und als eine den gemeinsamen Umgangsformen und Lebensverhältnissen geschuldete Kultur des Umgangs im Alltag kommt wieder in den Blick. Es wird deutlich, das jeder von uns – gerade auch die Schülerinnen und Schüler – zu dieser kulturellen Stärkung und Weiterentwicklung der Demokratie beitragen können. Hierzu gibt es vielfältige Möglichkeiten, in Projekten – kleinen wie großen – das verantwortliche Engagement und Handeln in einer Sache mit substanziellem Lernen von Demokratie und Politik zu verbinden.

Eure Beispiele zeigen uns solche Projekte und darüber wollen wir heute einiges erfahren. Wir , namentlich das Förderprogramm Demokratisch Handeln, freuen uns auf diese vielfältige interessante Praxis und wollen mit dieser Kooperationsveranstaltung mit dem Bildungswerk Dresden der Konrad-Adenauer-Stiftung zugleich nicht nur unser Interesse an der Sache Eurer und Ihrer Arbeit ausdrücken, sondern auch unsere Anerkennung für diese Projektarbeit leisten. Wir wollen auch ermutigen, mit solchen Projekten weiterzuarbeiten und diese wichtige Aufgabe wahrzunehmen, die darin liegt, die Demokratie als Verantwortungsgemeinschaft aufzunehmen und zu gestalten. Ihr habt mit Euren Projekten alleine dadurch, dass ihr sie durchgeführt habt, Engagement gezeigt. Dafür danken wir auch völlig unabhängig von der Entscheidung der Jury in unserem Bundeswettbewerb Demokratisch Handeln.

Wir veranstalten diese sächsische Projektwerkstatt zum zweiten Mal mit großer Resonanz und möchten diese positive Entwicklung auch nutzen, um dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus für die anhaltende Unterstützung und Förderung unseres Programms Demokratisch Handeln zu danken. Dabei überbringe ich gerne die Grüße aus dem Thüringer Kultusministerium, in dem wir gestern über das bevorstehende Demokratiejahr 2009 diskutiert haben, das unser Kultusminister Jens Goebel als Aufgabe für das nächste Jahr ausgerufen hat mit der hintersinnigen Zahlenfolge 80-60-20: Denn 1919, nächstens also vor 90 Jahren, wurde die Weimarer Verfassung ausgerufen. 1949, demnächst also vor 60 Jahren, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und 1989, im nächsten Jahr also vor schon 20 Jahren, haben wir die friedliche politische Wende in der ehemaligen DDR erlebt. Ich könnte bei der Doppeldekade noch hinzufügen, dass es im nächsten Jahr bereits 20 Jahre das „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ geben wird. Denn ebenfalls 1989, bereits im Frühjahr und ohne tiefere Ahnung von der politischen Zeitenwende in Ost- und Mitteldeutschland, haben wir in einer Initiative von Hildegard Hamm-Brücher – damals Vorsitzende der Theodor-Heuss-Stiftung –, der Akademie für Bildungsreform und der Robert-Bosch-Stiftung gemeinsam mit dem Bundesbildungsministerium unser Förderprogramm entwickelt und in Gang gesetzt. Schon die erste Ausschreibung hat dann Regionen der damaligen Noch-DDR in deren Schlussphase mit einbezogen. Die kleine historische Besinnung zeigt: Aufgaben und Chancen liegen vor uns.

Ich danke deshalb auch der Konrad-Adenauer-Stiftung für ihre wiederholte Bereitschaft, mit uns diese Projektwerkstatt durchzuführen. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Zusammenarbeit weiterführen könnten und will natürlich – da ich anfangs die Worte einen Kollegen aus der SPD  aufgegriffen habe – auch an das Werk und das Verdienst des ersten Bundeskanzlers und Paten der erfolgreichen Etablierung der Demokratie in Deutschland nach der NS-Zeit erinnern. Vor wenigen Wochen war ich in Rhöndorf am Rhein anlässlich einer Tagung zur politischen Bildung der Bundeszentrale. Rhöndorf liegt landschaftlich wunderschön und hat, nebst dem Konrad-Adenauer-Haus und dem Rhein, etwas ganz besonderes in Erinnerung an den Demokraten und ersten Kanzler der Bundesrepublik. Dort gibt es einen großen Weinberg mit einem Riesling, dem Adenauer-Wein – bei unserem nächsten Projekttreffen hier will ich ihnen gerne davon etwas mitbringen.

Wir werden heute sehen, dass unsere Projektbeispiele Anschauung davon geben – wie es eine Schülerin eines Ökologie-Projektes jüngst ausgedrückt hat –, „dass es lokale Antworten auf globale Probleme“ gibt, die die jeweilige politisch-demokratische Aufgabe zwar nicht abschließend lösen, aber die „Verantwortung für das Ganze“ aufgreifen. Sie belegen das, was Hannah Arendt in ihrem Essay „Wahrheit und Politik“ einmal als Definition von Politik ausgesprochen hat: Die für alle menschliche Existenz so entscheidende Möglichkeit, sich sprechend und handelnd in die Welt einzumischen und einen neuen Anfang zu stiften. Die Demokratie und die Politik sind weiter gefordert und die Probleme sind immer wieder neu – aber sich mit dem Lernen in der Schule in die Verantwortung für die Demokratie zu begeben und auf diese Weise zu partizipieren, ermöglicht eben auch, sich in die Welt einzumischen und an diesem neuen Anfang verantwortlich teilzunehmen. So bleibt zu hoffen, dass sich daran immer mehr Schulen,  Projektgruppen, Kinder und Jugendliche mit ihren Lehrkräften beteiligen – an unserem Förderprogramm Demokratisch Handeln, an Veranstaltungen wie dieser und insbesondere an der demokratischen Aufgabe des Lernens und Handelns für und in der Politik.

Ich wünsche Ihnen und uns eine erfolgreiche Tagung und freue mich auf das, was wir hier bei Ihnen lernen können

 
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