Direkt zum Inhalt springen

Sie befinden sich: Informationen » Veranstaltungen&Termine »

"Sich dagegen wehren"

Schülerinnen und Schüler aus Berlin lernen und sprechen miteinander über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und Europa.

Der Seminarraum 104 der Friedrich-Ebert-Stiftung ist klein, Stühle stehen in zwei Kreisen, die Luft ist drückend, die Stimmung dennoch konzentriert. Auf den Stühlen und auf dem Boden sitzen etwa zwanzig Schülerinnen und Schüler verschiedener Berliner Schulen im Alter von 14 bis 20 Jahren, die sich für den Workshop „Europa entdecken. Welche Rolle spielt die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus heute?“ entschieden haben.

Nach einer kurzen Einführung durch die Leiterin des Workshops, Brigitte Kather, stellvertretende Schulleiterin der Nelson Mandela International School, stellen sich zunächst alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor. Sie nennen ihre Motivation, an diesem Workshop teilzunehmen. Dabei wird deutlich, dass nur einige bisher etwas über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus erfahren haben, keiner jedoch mehr als ein Stichwort über den Widerstand in Europa kennt. Dennoch sind alle Schüler vom Phänomen des Widerstands fasziniert und möchten mehr darüber erfahren.

Arbeiten mit dem eigenen Wissen

Es gehört zum Konzept des Workshops, mit den Kenntnissen, die von den Teilnehmenden mitgebracht werden, zu arbeiten. Aus ihnen sollen in der gemeinsamen Diskussion Erkenntnisse gewonnen werden, die dann Anstoß zu Handlungen geben sollen – und zwar zu Handlungen mit dem Ziel, Europa als Gemeinschaft weiter zu entwickeln. Um den Schülerinnen und Schülern die Angst zu nehmen, sich mit ihrem selbstverständlich noch geringen Wissenstand bloßzustellen, betont Frau Kather: „Schreiben Sie auf, was Sie wissen. Wir werden versuchen, es mit dem zu ergänzen, was sie nicht wissen.“ So schließt sich der Einführung eine Arbeitsgruppenphase an. Aufgeteilt in fünf Gruppen wenden die Schülerinnen und Schüler eigenständig die Methode des Placemat an.

Diese Methode dient dazu, bereits vorhandene Kenntnisse und spontan entwickelte Ideen der Teilnehmerschaft in Stillarbeit sowie in einer Gruppendiskussion aufzubereiten und zu strukturieren. Jede Gruppe erhält ein Flipchartpapier, das wie folgt aufgeteilt wird: In der Mitte des Papiers wird ein großer Kasten eingezeichnet, in den zum Abschluss die gemeinsamen Ergebnisse der Arbeitsgruppe eingetragen werden, der entstehende Rand wird in vier Abschnitte eingeteilt. Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe schreiben zunächst schweigend auf, was ihnen zu den mitgegebenen Fragestellungen einfällt, dann wird das Papier gewendet und wiederum schweigend werden die Überlegungen der anderen Gruppenmitglieder gelesen und eventuell mit Kommentaren und Fragen versehen. Im dritten Schritt werden die Überlegungen in der Gruppe diskutiert und gemeinsame Ergebnisse formuliert.

Gemeinsam arbeiten – miteinander reden

Zwei Fragestellungen sollen in der Arbeitsgruppenphase beantwortet werden: „Was weiß ich über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland?“ und: „Was weiß ich über den Widerstand in Europa?“. Mit großem Engagement machen sich die fünf Gruppen an die Arbeit. Das Engagement ist so groß, dass der methodische Kniff der Schweigephase nicht von allen eingehalten werden kann. Sie halten sich lieber durchgehend an das von Frau Kather ausgegebene Motto des Workshops: „Das Wichtigste ist, dass wir miteinander reden.“

Bei der anschließenden Präsentation beeindruckt, mit welcher Sicherheit und Eloquenz die Jugendlichen die Ergebnisse ihrer jeweiligen Arbeitsgruppe vorstellen und mit welchem Interesse sie den anderen Gruppe zuhören. Die Präsentation wird zu einem Beispiel demokratischen, gemeinsamen Lernens. Zwei Gruppen haben sich entschieden, einen Schritt zurückzugehen und sich in der Arbeitsgruppenphase nicht mit dem Widerstand zu beschäftigen, sondern mit der Frage, wie es zum Nationalsozialismus kommen konnte. „Unserer Meinung trägt das Deutsche Volk Mitschuld an dem vielleicht größten Verbrechen der Weltgeschichte. Das liegt darin, dass der Nationalsozialismus an die Macht kam“, so haben sie ihr Ergebnis zusammengefasst. Und eine weitere Erkenntnis ist ihnen wichtig: „Wenn es schon damals die Europäische Union gegeben hätte, das hätte den deutschen Faschismus vielleicht verhindern, ja das wäre optimal gewesen.“

Und in Europa?

Die anderen drei Gruppen tragen ihr Wissen zum Widerstand zusammen. Sie haben zusammengefasst, welche Formen des Widerstands ihnen bekannt sind und von welchen Widerstandsgruppen sie bereits gehört haben. Dabei thematisieren sie die ganze Bandbreite des bekannten Widerstands in Deutschland, von kleinen Handlungen der Hilfe für Verfolgte über das Schreiben und Verteilen von Flugblättern bis hin zu Sabotageaktionen und Attentatsversuchen. Von dieser Basis aus stellen sie Fragen zum Widerstand in anderen europäischen Ländern.

Aufmerksam hören ausnahmslos alle Teilnehmer den Ausführungen der Workshopleiterin zum Widerstand in Europa an ausgewählten Beispielen zu. Von der französischen Résistance haben viele schon einmal gehört, nun erfahren sie mit welchem Geschick und mit welchem Risiko für ihr eigenes Lebens die Mitglieder des französischen Widerstands Krieg gegen die deutsche Besatzung geführt haben. Auch der Kampf der Armia Krajowa, der Nationalen Heimatarmee Polens, der im Warschauer Aufstand 1944 seinen fulminanten Höhepunkt erlebte, interessiert die Jugendlichen. Zum Schluss erfahren sie noch einiges über die Partisanenbewegung auf sowjetischem Territorium nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941.

Eigene Kenntnisse – gemeinsame Erkenntnisse

In der letzten Workshopphase sollen die Kenntnisse der Jugendlichen in einer moderierten Diskussion als Ausgangspunkte für eigene Erkenntnisse dienen. Frau Kather beginnt mit der Frage, was Widerstand sei. Ein Teilnehmer bringt seine Überlegungen auf die kurze Formel „sich dagegen wehren“, ein anderer hebt die Dualität zwischen „einzelne zu schützen“ und „das System zu stürzen“ hervor, eine dritte Schülerin versteht unter Widerstand „alle Zeichen, dass man die Ideologie ablehnt“.

Was ist heute noch so faszinierend am Phänomen des Widerstands? Ein Schüler antwortet mit einer Gegenfrage „Hätte man selbst den Mut gehabt?“, um diese dann offen und selbstkritisch zu beantworten: „Ich hoffe, ich weiß es nicht genau.“ Des Mutes der Widerstandskämpfer, auch des darin enthaltene Mutes, das eigene Leben zu riskieren, müssen heute erinnert werden. Denn sie haben eine wichtige Botschaft gehabt, sie waren gegen den Nationalsozialismus und für die Demokratie. Und so überlegen die Jugendlichen gemeinsam, was sie tun können, dass dieses wichtige Kapitel der europäischen Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. Sofort sind einige Vorschläge im Raum: Projekte an Schulen zu diesem Thema machen, mit anderen Schülerinnen und Schülern reden, bei rechten Parolen einschreiten. Die zentrale Erkenntnis ist: selbst aktiv werden.

Gemeinsam gelernt!

In der abschließenden kurzen Auswertungsrunde äußern sich die Jugendlichen besonders begeistert über diese Form des Lernens. Ganz anders als in der Schule, so ihre Wahrnehmung, haben sie miteinander geredet und gelernt. Erfreulich war, wie über Schulformgrenzen hinweg diskutiert worden ist, mit welcher Ernsthaftigkeit sich die Schülerinnen und Schüler einem schwierigen Thema angenommen haben. Wichtig dabei ist ihnen auch, dass sie dies aus einer für sie ganz neuen, europäischen Perspektive in einer neuen Form des Workshops getan haben. (Alina Bothe, Berlin)

 
© 2007 Demokratisch Handeln | Impressum