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Näher zusammenrücken!

Schülerinnen und Schüler lernten die Türkei und die EU kennen und diskutierten die Frage, ob diese näher zusammenrücken sollten.

Zur Teilnahme an dem Workshop „Soll die Türkei Mitglied der Europäischen Union werden?“ versammelten sich ca. 50 bis 60 Berliner Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 18 Jahren. Damit war dies der am stärksten besuchte Workshop der Jugendkonferenz „Europa auf der Spur“ und so blieb nichts anderes, als den Workshop in dem großen Saal der Friedrich-Ebert-Stiftung zu veranstalten. Zu Beginn bat der Referent Matthieu Voss die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, näher zusammenzurücken. Denn die Schülerinnen und Schüler hatten den großen Saal für sich eingenommen und saßen entsprechend weit von einander entfernt.

Nachdem die Teilnehmer und Teilnehmerinnen näher zusammengerückt waren, startete der Workshop mit einer kleinen Abstimmung. In geheimer Wahl entschieden die Teilnehmenden darüber, ob sie für oder gegen den Beitritt der Türkei in die EU sind.

Während zwei Schülerinnen mit der Auswertung der Abstimmung betraut wurden, ging es für den Rest in die nächste Phase des Workshops. In Kleingruppen wurden Fragen zur Türkei beantwortet. Viel Getuschel und Diskutieren: Wer war noch mal der Staatsgründer der Türkei? Und welche Staatsform hat sie? Klar im Vorteil waren hier die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die einen türkischen Migrationshintergrund haben. Nachdem alle ihre Antworten auf dem Fragebogen notiert hatten bekamen die Gruppen Hintergrund-Infos zur Türkei und konnten ihre Antworten überprüfen, um sie anschließend im Plenum zusammenzutragen.

Die Staatsform der Türkei? Was wir eigentlich wissen sollten!

„Die Staatsform der Türkei?“ Eine Schülerin antwortete: „Parlamentarische Republik.“ „Richtig! Aber wieso heißt das so?“ Ein Schüler rief zur Erheiterung aller: „Weil es ein Parlament gibt.“

Nachdem alle Fragen geklärt werden konnten, ging es in die nächste Runde: Wieder Fragen, aber diesmal zur Europäischen Union. Das Getuschel und Überlegen erfüllte erneut den Saal, nur diesmal war es schon etwas schwieriger: Welche Staatsform hat die EU und wer ist derzeit Parlamentspräsident? Seit wann besteht die EU? Die Schülerinnen und Schüler überlegen: „Haben wir nicht gerade 50 Jahre EU gefeiert? Oder war das was anderes?“

Erneut wurden diese und andere Fragen im Plenum gemeinsam beantwortet. Die Europäische Union besteht also seit 1993, dann muss das mit den 50 Jahren wohl etwas anderes gewesen sein. Richtig – hier wurden die Römischen Verträge gefeiert – also die Gründungsakte der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft. Und erneut sorgte die Frage nach der Staatsform für allgemeine Erheiterung: Die EU ist ein Staatenbund – das ist ein Bund mehrerer Staaten.

Für und Wider - Die Diskussion im Parlament

Nach einer kurzen Pause ging es dann an den wirklich spannenden Teil – die Diskussion.

Diese wurde als Rollenspiel organisiert. Die Schülerinnen und Schüler bereiteten sich in verschiedenen Teams auf eine Sitzung des Europäischen Parlaments vor. Diese Teams guckten sich die Argumentation von Angela Merkel, Guido Westerwelle, Joschka Fischer und Gerhard Schröder für oder gegen den Beitritt der Türkei in die EU genauer an. Daneben bildeten sich einige unabhängige Parlamentariergruppen – diese konnten mit den Positionen von Merkel, Westerwelle, Fischer und Schröder nicht viel anfangen. So gründeten sich eine unabhängige deutsche und türkische Parlamentariergruppe sowie die Gruppe der Freien Opposition.

Die Teams begannen, die Argumente zu diskutieren. Im „Team Merkel“ wurde auf Türkisch diskutiert, das „Team Westerwelle“ konzentrierte sich auf die Trennung von Staat und Religion. Im „Team Schröder“ stand hingegen das Argument im Vordergrund, dass die Mitgliedschaft der Türkei in der EU eine größere Unabhängigkeit von den USA mit sich bringe.

Eine der unabhängigen Parlamentariergruppen konzentrierte sich auf den Umgang mit Menschenrechten in der Türkei und beleuchtete das mögliche Stimmgewicht der Türkei in der EU im Falle ihres Beitritts. Nachdem die Teams ihre Argumente ausgearbeitet hatten, benannten sie noch ihre Vertreterin oder ihren Vertreter für die Parlamentsdiskussion.

Im Plenarsaal angekommen, eröffnete Matthieu in seiner Funktion als Parlamentspräsident die Diskussion: „Soll die Türkei der Europäischen Union beitreten?“

Als erste Rednerin trat „Angela Merkel“ vor das Publikum. In ihrer Rede gegen den Beitritt der Türkei in die EU stellte sie vor allem zwei Dinge heraus: Zum einen bestünde die Gefahr eines religiösen Konfliktes in der EU – als Beispiel hierfür nannte sie das Verbot von Bikini-Werbung in Istanbul und darüber hinaus machte sie deutlich, dass in türkischen Gefängnissen gefoltert würde und sie unter diesen Bedingungen nicht bereit sei, die Türkei in die EU aufzunehmen.

Ihrer Rede folgte „Gerhard Schröder“, der in dem Beitritt der Türkei die große Chance sah, die EU gegenüber den USA zu stärken. Weiterhin betonte er den günstigen Zugang zu Öl und die damit verbundenen positiven Auswirkungen auf die europäischen Benzinpreise.

„Guido Westerwelle“ machte zu Beginn seiner Rede deutlich, dass die Opposition noch nicht verstanden habe, worum es ginge und wies auf die große Gefahr hin, die von der Türkei aufgrund ihrer Nähe zum Irak ausginge. Er malte ein Bild Europas, dass in Gewalt und Verwahrlosung unterginge und stellte seine Geographie-Kenntnisse zur Schau: Nicht die ganze Türkei läge auf dem europäischen Kontinent, allein daher könne man sie nicht aufnehmen.

Niemand traute sich hier, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass Russland zum Teil auf der nordamerikanischen Platte liegt. Seiner Logik folgend, hätte das dem Kalten Krieg einen ganz neuen Schwung verliehen.

„Herr Fischer“ wies anschließend darauf hin, dass ein Beitritt der Türkei in die EU sie automatisch zwingen würde, die Menschenrechte einzuhalten. Und er betonte auch, dass viele Menschen in Deutschland leben würden, die eng mit der Türkei verbunden seien.

Nun sprach die „Deutsche Parlamentariergruppe“. Sie machte darauf aufmerksam, dass die EU die Aufnahme Rumäniens und Bulgariens schon vor große Probleme stellen würde und diese durch die Türkei nicht kleiner, sondern größer würden. Sie stellte zudem heraus, dass der Bevölkerungsanteil der Türkei so schnell wachsen würde, dass dies sie perspektivisch zu einer Veto-Macht innerhalb der EU machen würde.

Die Rednerin der „Freien Opposition“ unterstütze die Argumentation Schröders und machte allen Anwesenden noch mal bewusst, dass niemand fordere, die Türkei so aufzunehmen, wie sie sei, sondern dass sie Bedingungen zu erfüllen habe – die Erfüllung dieser Bedingungen würden alle Bedenken ausräumen. Denn bei den Bedingungen ginge es genau um die Frage der Menschenrechte und der wirtschaftlichen Situation. Auch ein historisches Argument wurde noch von der „Freien Opposition“ angeführt: Als Spanien in die EU aufgenommen wurde, war das Land sowohl hinsichtlich seiner wirtschaftlichen als auch demokratischen Situation desolat. Gerade die Aufnahme in die EU hat dazu beigetragen, diese Probleme in den Griff zu bekommen.

Abschließend sprach noch ein Vertreter der „Türkischen Parlamentariergruppe“. Er brachte vornehmlich seine Angst zum Ausdruck, dass durch den Beitritt der Türkei in die EU der Verlust der türkischen Kultur drohe. Nach diesem regen Austausch über das Für und Wider der Türkei in der EU, leitete der Parlamentspräsident Matthieu die Abstimmung über die Mitgliedschaft der Türkei in der EU ein.

Die Abstimmung

Diese Abstimmung war eine Niederlage für die Befürworterinnen und Befürworter des Beitritts der Türkei in die EU. Zwei Drittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprachen sich dagegen aus.

In diesem Sinn bleibt die Bitte zu Beginn des Workshops, näher zusammenzurücken, eine Aufforderung für die Befürworterinnen und Befürworter, noch viel Aufklärungsarbeit und Engagement für eine gemeinsame EU mit der Türkei zu leisten.

(Danny Butter, Berlin)

 
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