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"Wir brauchen keinen Mythos, wir brauchen ein gemeinsames Ziel!"

Vorurteile und Wahrheiten über die Europäische Union aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern

Was ist ein Mythos? Wie funktioniert er und welche Auswirkungen hat er? Mit diesen Fragen haben sich mehr als zwanzig Schülerinnen und Schüler beim Workshop „Beleuchten: Mythos EU – Vorurteile und Wahrheit. Die EU (richtig) verstehen“ auseinandergesetzt.

Der Moderator Dr. Marco Michel von der Deutschen Gesellschaft e.V./ Europäisches Informationszentrum eröffnet den Workshop mit der Einstiegsfrage „Was ist ein Mythos?“ Die Debatte ist sofort lebhaft, viele Ideen und Aspekte werden genannt. Ein Mythos sei „eine Geschichte“ oder „etwas Ungeklärtes“. Ein anderer Schüler weist daraufhin, dass ein Mythos „nicht weit zurückgehen muss“: Ein dritter betont, dass sich Menschen immer mit einem Mythos identifizieren müssen. Der Aspekt der Identifikation wird von einem weiteren Teilnehmer aufgegriffen: „Mythen sind Geschichten, die man irgendwann glaubt oder kritisch hinterfragt.“ Die Ergebnisse des Brain-Storming fasst Corinna Hummel als Co-Moderatorin am Flip-Chart zusammen. Während des gesamten weiteren Workshops visualisiert sie die Ergebnisse und dokumentiert und strukturiert so die Diskussion für die Teilnehmenden.

Euro gleich Teuro?

Nach dieser kurzen Klärung des Begriffs Mythos beginnt die moderierte Diskussion über Mythen und Vorurteile über die Europäische Union. Auf die Frage hin, welche Mythen über die EU den Jugendlichen bekannt sind, antwortet jemand spontan „Euro gleich Teuro“. Im Folgenden erörtern die Schülerinnen und Schüler miteinander, ob die Einführung des Euro zu einer Verteuerung geführt habe. Es ist beeindruckend, zu welch differenzieren Perspektiven und Argumenten die Teilnehmerschaft des Workshops in der Lage ist. So wird darauf hingewiesen, dass nur einige Waren seit der Einführung des Euro sich verteuert hätten, andere jedoch erheblich günstiger geworden seien. Auch die Auswirkungen von Inflation und Lohnpolitik müssten berücksichtigt werden, argumentiert eine Schülerin.

Dr. Michel nutzt als Workshop-Leiter die Diskussion für die Vermittlung von politischem Basiswissen. Fast alle Anwesenden sind sich einig darüber, dass der Euro 2002 als Währung eingeführt wurde. Nun lernen sie: Bereits seit 1999 hat der Euro als Rechnungseinheit Bestand. Auch stellt er noch einmal dar, welche Länder zur Euro-Zone gehören und welche sich, obwohl sie EU-Staaten sind, dagegen entschieden haben. Trotz der engagierten Diskussion kann am Ende keine Einigkeit darüber erzielt werden, ob der Euro nun ein Teuro ist, oder nicht. Ein Musterbeispiel für einen Mythos.

Über Gurken und Sahnetörtchen

„Hat die EU den Krümmungsgrad von Salatgurken geregelt?“ Ein kurzes Lachen geht durch den Seminarraum, aber auch Nicken und abwägendes Kopfschütteln. Doch die meisten sind sich sicher, dass die EU den Krümmungsgrad von Gurken geregelt hat. Bei Bananen sei dies schließlich auch so. Und sie haben Recht. Die Verordnung zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken aus dem Jahr 1988 schreibt für vier Handelsklassen den Krümmungsgrad der Gurken vor. Aber warum? Damit mehr Gurken in eine Standardkiste passen. An dieser Stelle mahnt ein Schüler einen etwas differenzierteren Blick auf die EU-Normierungen an. Die meisten seien sehr sinnvoll, weswegen man selten etwas von ihnen hören würde, in den Medien kämen eher die auf den ersten Blick absurderen Regelungen vor. Die europaweite Regelung des Krümmungsgrades von Gurken halten die meisten Schülerinnen und Schüler für etwas übertrieben, aber kaum für einen Grund die EU abzulehnen.

„Und dürfen Sahnetörtchen in der EU ohne Einwickelpapier verkauft werden?“ Auch dieser Mythos über die Europäische Union und ihre angebliche Regelungswut löst allgemeines Kichern aus. Aber die meisten Jugendlichen sind sich wiederum sicher, dass dies eine europaweite Regelung sei, „denn sonst würden die Törtchen erdrückt werden, wenn sie so nebeneinander in einer Box sind“ lautet das eine Argument, ein anderes ist der Verweis auf Hygienevorschriften. In diesem Fall irren sich die Jugendlichen jedoch, weder die Sorge um den Zustand der Sahnetörtchen beim Transport noch Hygienevorschriften haben eine solche Verordnung hervorgebracht. Ob Sahnetörtchen mit oder ohne Einwickelpapier verkauft werden, bleibt nationalen Regelungen überlassen.

Ein Nebeneffekt: Gemeinsames Lernen über die EU

Ein positiver Nebeneffekt des Workshops ist das gemeinsame Lernen der Jugendlichen zu Fragen der europäischen Politik jenseits von Mythen und Vorurteilen. So sind z.B. die Abstimmungsmodalitäten in der Union einigen Schülern zunächst noch unklar. Sie gingen davon aus, dass die Grundlage der Stimmenverteilung über die Wirtschaftsstärke der einzelnen Länder entschieden würde, nicht jedoch über die Bevölkerungszahlen. In dieser Frage kann Dr. Michel mit seinen Informationen schnell überzeugen.

Erfreulicherweise nutzen die Schülerinnen und Schülern den Workshop vor allem auch zur Diskussion miteinander. Besonders intensiv werden zwei Themen debattiert: Europa und die Türkei und das Thema Volksentscheide. Ausgangspunkt über die Debatte bezüglich der Volksentscheide ist das Scheitern der europäischen Verfassung. In diesem Punkt ist den Jugendlichen vor allem wichtig, dass alle Bürgerinnen und Bürger Europa mitgestalten müssen. Spannend ist auch der kurze Exkurs zu einem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Ein Schüler weist daraufhin, dass EU-Staaten verpflichtet wären, mit ihren jeweiligen Nachbarländern Nachbarschaftsprogramme zu unterhalten und einer der Nachbarstaaten der Türkei ist der Irak. Daraufhin gibt ein weiterer Teilnehmer seiner Hoffnung Ausdruck, ein solches Nachbarschaftsprogramm könnte dem Irak Frieden bringen.

Mythos oder Verfassung?

Zum Abschluss der Diskussion stellt Dr. Michel die zugespitzte Frage, ob die EU einen Gründungsmythos bräuchte? Die Antwort „Wir brauchen keinen Mythos, wir brauchen ein gemeinsames Ziel!“ wird so von fast allen Jugendlichen geteilt, das wichtigste Ziel ist für sie Frieden. Und friedensfähig sei die EU, sie sei „ein Erfolgsmodell im Nicht-Kriegführen untereinander“. Uneins sind die Schülerinnen darüber, ob Europa eine Verfassung braucht. Aber sie sind sich einig, dass alle in Europa etwas zu diesem Europa beitragen sollen und müssen. Auch die einzelnen Mitgliedsstaaten werden von ihnen in die Pflicht genommen, innenpolitische Ziele zurückzustellen, um „die EU voranzubringen“.

(Mareike Ebach, Berlin)

 
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