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AG 1
"Anders sein gewinnt"

Eine Reportage zu Arbeitsgruppe 1 von Bernardica Dološ (Berlin)

Alle anders und doch gleich!

Als ich an diesem Nachmittag in Raum 120 in der Friedrich-Ebert-Stiftung Berlin ging, wusste ich nicht, was mich da erwartet. Der Vormittag war schon sehr positiv verlaufen. Im "Fish Bowl", einer modernen und offenen Art der Talk-Runde, habe ich gesehen, wie Jugendliche gemeinsam mit Erwachsenen zum Thema "Wählen gehen?! Ja! Ab welchem Alter?!" lebhaft diskutiert haben und damit im wahrsten Sinne des Wortes "losgelegt haben". Der Titel des Workshops "Anders sein gewinnt!" hat mich neugierig gemacht. Wir alle sind offensichtlich anders. Keiner ist augenscheinlich wie der Andere. Doch was hat das mit "Demokratisch Handeln", einem Motto dieser Jugendkonferenz zu tun?

Im Raum angekommen, war außer mir nur der Leiter des Workshops Tim Scholz von KidsCourage da. Als es schließlich losging, waren wir nur zu neunt. Vier Erwachsene, vier Teenager und natürlich Tim, der Leiter. Vermutlich dachten wir alle, dass dies eine sehr kleine, vielleicht zu kleine Gruppe für einen zweistündigen Workshop sei. Doch das Gegenteil war der Fall. Die zwei Stunden vergingen wie im Flug. Es war keine Sekunde langweilig, da wir glücklicherweise nicht zu viele waren.

Wenn wir alle gleich wären

Als Einstieg hat Tim auf einer Plakatwand die Sätze "Wenn wir alle gleich wären, ..." und auf einer anderen Plakatwand "Ein Außerirdischer würde über unsere Workshopgruppe sagen, ..." vorbereitet. Diese beiden Sätze sollten wir dann mit eigenen Kommentaren vervollständigen. Als alle sich mit ihren eigenen Gedanken auf den Wänden verewigt hatten, fragte uns Tim, was uns dabei auffalle. Der Augenmerk fiel dabei vor allem auf den ersten Satz, der immer negativ beendet wurde. Beispielweise: "Wenn wir alle gleich wären, hätten wir uns nichts zu erzählen" oder "Wenn wir alle gleich wären, wäre die Welt sehr langweilig". So wurde uns allen klar und deutlich vor Augen geführt, das wir zwar offensichtlich unterschiedlich sind und dies auch guten Sinn hat, aber im Grunde doch auch gleich, da wir ähnliche Meinungen zum Thema entwickeln.

Danach sollte dann jeder noch kurz erzählen, warum er sich diesen Workshop ausgesucht hat. Dabei wurden ganz banale Gründe wie, "Die anderen Workshops waren zu voll" oder "Der Titel hat sich interessant angehört. Ich wollte wissen, was sich dahinter verbirgt" genannt. Das nahm Tim zum Anlass, uns dann etwas über KidsCourage zu erzählen.

KidsCourage bieten vorkonzipierte Projekttage für Schüler von 5. und 6. Klassen an. Die Ziele dieser Projekttage liegen darin, die Kinder für Demokratie, Toleranz und Solidarität stark zu machen und sie gegen Intoleranz, Gewalt, Diskriminierung, Rechtsextremismus und Ungerechtigkeit zu immunisieren. Umgesetzt werden diese Ziele in verschiedenen Projekttagen, von A bis E. So ist "Anders Sein gewinnt!" der sog. Projekttag A, dem zugrunde die Artikel 2 und 22 der UN-Kinderrechtskonvention liegen. Dieser Projekttag soll spielerisch die Ich-Identität und gegenseitige Akzeptanz sowie Offenheit gegenüber Unbekanntem und Fremden fördern. Die Schüler sollen den Wert einer vielfältigen Gruppe erfahren und auch die damit verbundenen Schwierigkeiten im Umgang und Zugang untereinander thematisieren und bearbeiten lernen. Durch die gemeinsame Gestaltung einer Wand z.B. kann sich die Klasse dann am Ende des Projekttages als starkes Team in der Schule präsentieren. Ein solcher Projekttag dauert insgesamt ca. 6 Stunden.

Konkret umgesetzt haben wir diese Ziele in unserem kleinen Workshop über mehrere aufeinander aufbauende Schritte. Der erste Schritt war das Kennenlernen. Jeder von uns hat seinen Namen auf ein Stück Kreppklebeband geschrieben und gleichzeitig dazu erzählt, wer er ist und was er sich von diesem Workshop erhofft. Danach klebten wir uns unsere Namen an gut sichtbare Stellen, damit jeder jeden namentlich ansprechen konnte. Das Eis war noch nicht ganz gebrochen, aber schon angekratzt.

Gemeinsamkeit und Differenz

Vollständig gebrochen wurde es im folgenden Schritt. Wir sollten uns praktischerweise in Zweiergruppen aufteilen. Die Schüler sollten dabei einen Erwachsenen auswählen. Ich wurde von Jenny, einem 14jährigen Mädchen aus dem Wedding ausgesucht. Unsere Aufgabe bestand darin, dass die eine die Umrisse der anderen in Lebensgröße auf einem großen Stück Papier nachzeichnet. Dazu legte sich Jenny auf den Rücken und ich versuchte mit einem dicken Edding ihren Körper zu umfahren ohne dabei ihre Kleidung oder gar ihr Ohr oder Haar anzumalen. Dies sorgte bei allen Beteiligten für viel Spaß und automatisch wurden die Berührungsängste dadurch kleiner. Man kam sich näher.

Als nächstes sollten wir dann in einem Zweiergespräch Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausfinden und auf vorbereiteten Karten festhalten. Es gab Karten in Diamantenform für die Gemeinsamkeiten und Karten ohne besondere Form für die Unterschiede. Bei Jenny und mir hat sich herausgestellt, dass wir mehr Gemeinsamkeiten hatten und nur wenige Unterschiede finden konnten. Die Karten mit den Gemeinsamkeiten klebten wir in das Innere der Umrisszeichnung und die Unterschiede nach Außen. Erstaunt haben uns Gemeinsamkeiten wie das Faible für Frankreich und das "Sammeln" von Turnschuhen. Unterschiedlich waren unsere Herkunft und unser Lieblingsessen.

Anhand der so erstellten Gruppenprofile sollten sich die Gruppen gegenseitig erraten. Dies war bei der Größe unseres kleinen Workshops nicht besonders schwer und sorgte auch wieder für Gelächter und Späße ob der neu erworbenen Erkenntnisse über die Anderen. Sätze wie "Das hätte ich aber nicht von Dir gedacht!" oder "Stimmt das wirklich?" gaben wiederum Grund zu kleineren Gesprächen untereinander.

Vorurteile?

Beim dritten Schritt ging es um Vorurteile. Wir teilten uns in zwei Vierergruppen, zwei Erwachsenen und zwei Teenager. Jede Gruppe bekam von Tim vorbereitete Zettel mit gängigen Vorurteilen. Diese sollten in der Gruppe diskutiert werden und anschließend sollte jede Gruppe ein Vorurteil mit verteilten Rollen für die andere Gruppe darstellen, also eine kleine Theaterszene vorbereiten. Bei den Diskussionen über die verschiedenen Vorurteile hat sich herausgestellt, dass wir Erwachsenen in unserem Denken teilweise hartnäckiger an Stereotypen glauben als die Teenager. Am Vorurteil "Gut gekleidete Männer sind schwul" schieden sich unsere Meinungen deutlich. Wir Erwachsenen sprachen von unseren Erfahrungen und waren irgendwie überzeugter von der "Wahrhaftigkeit" dieses Vorurteils. Die Schülerinnen sprachen von ihren Erfahrungen und hielten das Vorurteil für ziemlich unsinnig. Es gab aber kein richtig oder falsch. Am Ende stand ein "Beides ist möglich".

Im Laufe der Diskussion hat sich unsere Gruppe ziemlich schnell auf das Vorspielen des Vorurteils "Alle Ausländer sind kriminell" geeinigt. Tatsächlich haben wir dann eine echte Situation aus dem Leben von Jenny nachgespielt. Natürlich hat es die andere Gruppe sofort erraten und auch wir haben das dargestellte Vorurteil der anderen Gruppe heraus bekommen: "Nur wer coole Klamotten trägt, ist selbst auch cool". Leider war die Zeit dann auch schon zu ende. Die zwei Stunden waren schnell vorbei.

Wir waren uns alle einig. Es war zu wenig Zeit und es hat viel Spaß gemacht. Und was haben wir gelernt? Die Schüler sagten einhellig, sie hätten nie gedacht, dass man sich mit Erwachsenen so gut unterhalten kann. Und die Erwachsenen haben alle gesagt, sie hätten nie gedacht, dass man sich mit Schülern so gut unterhalten kann.

Klar sind die Projekttage von KidsCourage für gleichaltrige Kinder gedacht. Aber auch in dieser besonderen Konstellation, bei der Erwachsene auf Jugendliche treffen und umgekehrt, hat das Konzept funktioniert und das ist doch die beste Werbung! Mit anderen Worten: Wir in unserer kleinen Gruppe haben gelernt, dass wir obwohl wir unterschiedlich sind, doch sehr viel gemeinsam haben und wenn nicht, wir doch miteinander darüber reden können und dadurch den anderen verstehen lernen. Das ist doch auch "Demokratisch Handeln"!

 
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