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Workshop 07 | Bericht

 Demokratie beginnt auf der Straße – Was Bewegung uns über das Miteinander sagen kann

 

In diesem Workshop hat sich – wie man so sagt – eine Gruppe "gesucht und gefunden". Eine der Aufgaben lag darin, eine gemeinsamen Performance, eine gruppenbezogene "Bewegung" zu finden, bei der jede einzelne Person individuell, mit ihren Stärken und Schwächen einbezogen wird. Das wurde, können wir bilanzierend sagen, mit Leichtigkeit bewältigt.

Aufwärmen

In der ersten, der Aufwärm-Runde konnte man sich in einem Kreis ganz frei und nach eigenem Gusto bewegen. Wenn man normalerweise erwarten würde, dass sich in einer solchen offenen Situation, bei der sich die Leute untereinander auch kaum kennen, sich doch eigentlich jeder eher zurückhält, so war in dieser Gruppe davon nichts zu spüren: Jeder bewegte sich offen und frei. Nur im Mittelpunkt des Geschehens – im Kreis – wollte zunächst keiner stehen. Aber auch das galt nur für den Beginn. Nach und nach wurde das ohnehin kaum vorhandene Eis gebrochen und wir wagten uns an Übungen und Bewegungen, die man auf der Straße nie tun würde, oder doch?

Sich auf der Straße zu begegnen bedeutet doch lediglich, an fremden Menschen vorbei zu gehen und sie in der Regel kaum eines Blickes zu würdigen. Es war also kaum zu glauben, dass man sich hier in dieser Gruppe zum ersten mal begegnete. Alle begrüßten sich herzlich  - ob nun durch Händedruck oder Küsschen, durch Umarmungen oder gar Verneigungen wie aus alten Filmen. Jeder begrüßte jeden auf die unterschiedlichsten Arten und Weisen! Dann kam der nächste Schritt der Entledigung von Begrenzungen des Bewegens im öffentlichen Raum: Wir sollten "Fratzen ziehen" – und alle waren Feuer und Flamme. Doch der Angelika konnte keiner das Wasser reichen, denn ihre Fratzen waren stets die besten und brachten jeden zum Lachen.

Verschiedenheit und Gleichheit

Dabei dürfen wir unsere große Altersspanne nicht vergessen. Von Grundschülern bis zur langjährig erfahrenen Lehrerin, vorhanden war viel, vor allem Verschiedenheit. Wir haben uns "geduzt", auch zwischen Schüler und Lehrer. Das fiel beiden Seiten nicht leicht. Der Schüler war gewohnt, die Lehrer zu "siezen". Aber auch die Lehrerinnen und Lehrer haben eingesehen, dass es hier keine klassische und schultypische Rollenverteilung gab. Jeder war in diesem Workshop jedem gleich und so gesehen waren wir im Kern eines demokratischen Urgedankens, der allgemeinen Gleichheit und Anerkennung aller Beteiligter in einer Gruppe.

Gleichheit und Anerkennung – trifft das wirklich ohne weiteres zu? Da gibt es doch noch die anhaltende Aufgabe des demokratischen Umgangs mit der Geschlechterdifferenz. Wie sollen wir das aber leisten, wenn 13 von 14 Frauen sind? Wir hatten nur einen Herren, Dirk S., bei uns. Jungs hat man hier nicht gefunden, was zwar in gewisser Hinsicht schade war, jedoch gruppendynamisch gesehen auch wieder nicht von Nöten war.

Vier Frauen und neun Jugendliche sowie auch Kinder waren zudem im Workshop. Von Anbeginn herrschte ein Ton der Gleichberechtigung. Es gab nicht das Gefühl, dass man übergangen wurde, keiner dominierte die Gruppe. Alle waren kreativ in einer Weise, als wäre alles lange einstudiert gewesen.

Es wird ein rundes Ganzes

"Spannend war, dass das, was man ausprobiert hat, sich später als fertiges Stück entwickelt hat", meinte Dirk. Wie recht er doch hatte. Denn all die Dinge, die nur spielerisch leicht wirkten, gleichwohl natürlich geplant waren von unserer Moderatorin Saskia Brzyszczyk, wurden zu einem großen Ganzen, "ich bin beeindruckt gewesen, wie schnell die Dinge sich ergeben haben, die ich wollte", bilanziert Dirk die Arbeit, die so als Erfolg verbucht werden konnte. Nicht nur, dass die Aufgabe von Saskia erfolgreich erledigt wurde, sondern der große Ideenreichtum jedes einzelnen machte die ganze Performance zu etwas Besonderem.

Ein Beispiel davon gibt der originelle Einfall die beiden kleinsten Mareike und Michelle, eine Art Straßenkampf in unsere Präsentation zu integrieren. Eine weitere Idee war die gemeinschaftliche Welle. Aber auch das für ein Außenstehenden vielleicht unkoordiniert wirkende Gewusel war immer mit einem Hintergrund, einem Gedanken und genauer Überlegung grundiert.

Bewegungsarbeit und soziale Wirklichkeit

Schauen wir doch auf die Straße: Dort herrscht immer ein totales Gewusel und Gedränge, jeder ist versunken in seine Gedanken, viele Menschen hören, während sie gehen, ihre Musik über den MP3-Player so laut, als wollten sie abgeschnitten sein von der Außenwelt - weil man sich selbst ja doch das Wichtigste ist? Wenn man es genau nimmt, so haben wir bei unserer Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Bewegung gedacht, gibt es doch heute auf Straßen kaum noch Begegnung. Ist das nicht etwas, was wir ändern sollten? Bewegung gibt es auf den Straßen schließlich doch zuhauf. Also: Von der Bewegung zur Begegnung – das wäre es, was uns aus unserem auf den ersten Blick zum Thema Demokratie doch etwas abseitigen Workshop einfällt, und damit gleich in eine Grunddimension des demokratischen Miteinanders bringt. "Große Erwartungen hatte ich an diesen Workshop anfangs eigentlich nicht. Ich dachte mir nur, dass ein bisschen Bewegung gut tun wird, weil ich - ehrlich gesagt - so eine total langweilige Diskussionsveranstaltung erwartet habe. Das ist aber dann ja doch nicht so gewesen", sagt mir eine unserer engagierten Gruppendamen. "Saskia hat uns beigebracht, dass Demokratie schon auf der Straße anfängt, dass man einfach viel mehr in seinen Bewegungen darauf achten sollte", führt sie ihre Gedanken weiter. "Auf der Straße funktioniert das ja irgendwie total unabgesprochen. Die Menschen nehmen sich zurück, um andere vorbei zulassen und auf andere zu achten. Das ist uns geradezu körperlich bewußt geworden: Zum Schluss haben wir gemeinsam ein wunderbares Ergebnis erzielt", schließt meine Mitstreiterin ihren Gedankenlauf. Wenn "demokratisch zu handeln" auch bedeuten kann,  aktiv zu werden, dann war Workshop Nummer 7 für uns ein Modell von Demokratie schlechthin.

Demokratie in Bewegung

Wir haben erfahren und gezeigt, dass Demokratie auch etwas mit Bewegung zu tun hat. Wir bekommen neue Aspekte und Perspektiven auf Dinge in unser Denken, die einem vorher so unwichtig erschienen. Sich zurückzunehmen, sich anzupassen, aktiv zu sein und sich in einer Gruppe zu integrieren und zu wissen, wann man welche Aufgabe und Rolle im Ganzen spielen sollte, das sind die demokratiepädagogischen Bausteine dieser Bewegungswerkstatt. Jeden mit seinen Stärken und Schwächen zu integrieren, das bedeutet auch, jedem die Chance zu geben, aus seinen vermeintlichen Schwächen echte Stärken zu machen.

Bleibt die selbstkritische Frage: Gab es in unserer Gruppe Schwächen? Mit Sicherheit, denke ich, aber letztlich keine, die das Arbeitsergebnis und Workshopziel in irgendeiner Weise gefährdet oder beschädigt hat: "Ich denke, der Workshop sollte uns vor allem dazu bringen, sich in eine Gruppe zu integrieren. Die Folge daraus ist Teamarbeit", meinte Nilay. Sie kam mit ihrer Schwester zusammen zu "Demokratisch Handeln", aber ihre Schwester musste früher gehen, somit war Nilay etwas auf sich gestellt. Doch in der Gruppe fand sie schnell zu neuen Kontakten. So denke ich nach dieser Erfahrung, dass es ohne diese Integration, dieses soziale Hereinnehmen und Akzeptieren des Anderen, in einer Gruppe keine Teamarbeit geben würde und ohne diese Teamarbeit wiederum keine wirkliche gelebte Demokratie. Sich zu integrieren fällt nicht jedem leicht. Neu in eine Gruppe zu kommen kann bedeuten: Zweifel, Angst, Einsamkeit zu erfahren! Neu in eine Gruppe zu kommen kann aber auch bedeuten: neue Freunde, neue Erlebnisse, neue Perspektiven! Es kommt dann doch auf das eigene Denken, Handeln und Verhalten an. Natürlich benötigt man Anpassungsfähigkeit, ständiges Beobachten aller und sich selbst hineinfinden, ohne dass wir das bewußt immer mitbekommen.

Im Workshop Nummer 7 aber war Anpassung gar nicht wirklich von Nöten, da hier dieselbe Wellenlänge schnell gefunden war. Saskia wollte unsere Wahrnehmungskraft stärken, uns dazu bringen, unsere Bewegungen, unsere Mimik und Ausdruckswelt bewusster wahrzunehmen und einzusetzen. Zwar waren keine Tanzkenntnisse vonnöten (wie mancher befürchtet haben mag). Doch gab es zwei in der Gruppe, die nicht zum ersten mal in einer Gruppe tanzten. Elena und Katharina hatten schon Erfahrung!

So war die Sache nebenbei auch noch ganz heiter: Waren sich alle einig, dass es auch um den Spaß ging. Lachen war die Devise und das nahm doch die meiste Zeit ein, wenn man die "Schlafstündchen" aus der Bewertung nahm. Dabei haben wir allerdings nicht wirklich geruht, sondern uns lediglich bei ruhiger, schottischer Musik entspannt.

Die jüngsten hielten von diesen Entspannungsphasen nicht viel und bewiesen ihr Können in sportlichen "Rad-Schlägen". Wobei dann auch Sybille nicht fehlte, schließlich ist sie ja auch Sportlehrerin.

Ratschläge oder Radschläge? Die Präsentation

Bei der Präsentation konnten wir zwar diese wunderbaren Rad-Schläge nicht präsentieren, aber dafür gab es ja allerhand anderes zu sehen. Der Überraschungseffekt, aus dem Publikum zu kommen, erwies sich als sehr originell und das Publikum schien wirklich sehr verwirrt über die leere Bühne zu Anfang. Es machte wirklich Freude den Leuten auf der Bühne zu zuschauen. Am Ende muss man wohl aber doch sagen: So schön es auch war, das Ergebnis zu sehen! Es selbst auf der Bühne zu präsentieren, muss doch doppelt so schön gewesen sein. Hinter den Kulissen kann man ja wissen lassen, dass kurz vor dem Auftritt nicht alles wie geplant lief. Aus gesundheitlichen Gründen konnte ein Mitglied der Gruppe nicht teilhaben an der Präsentation was aber letztendlich wohl nicht wirklich auffiel. "Also ich find den Workshop echt cool", meinte Olivia während einer Pause.

Kinder integrieren sich – das hat sich hier gezeigt - in Gruppen schnell ohne große Probleme, sie brauchen keine großartigen Begründung, wenn sie sich zu einer Gruppe gesellen. Es kann sich darum handeln, dass sie spielen wollen. Auch das lässt sich nebenbei beobachten und lernen: Kinder haben kein Schema, kein Vorurteile und denken auch nicht an Morgen, sondern an den gegenwärtigen Moment.

Mit dem Alter wird man dann wohl verhaltener, und das Hineinfinden in eine Gruppe kann bisweilen zum Kampf werden – das merken schon wir jungen Erwachsenen. Unsere Workshopbilanz lautet deshalb: Wenn das Leben so wäre, wie es in unserer Gruppe war, wäre es doch um einige einfacher, gelassener und sozialer. Es läge mehr Zuneigung für einander in der Luft, mehr füreinander und weniger gegeneinander. Wir wissen nun aus unserer Bewegungswerkstatt: Demokratie beginnt auf der Straße, sie geht jeden was an. Sie beginnt auf der Straße und wir alle machen sie aus, bilden alltäglich neue ihre soziale Qualität. Bewegung ist Demokratie - Wir sind Demokratie.

(Jena, 24.06.2009, Undina-Martina Muckenhaupt)

Bilder und Ergebnisse

 
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