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Sprechende Vergangenheit

Drei Schülerinnen der Jenaplan-Schule luden die Teilnehmer der Lernstatt Demokratie zu einem Stadtspaziergang ein, um den Spuren jüdischen Lebens in Jena zur Zeit des Nationalsozialismus nachzugehen. Man konnte meinen, dass bereits das trübe Wetter ankündigen wolle, mit welch dunklem Kapitel der Geschichte wir es zu tun haben werden. Ausgangspunkt unserer Geschichtsexkursion ist die Bachstraße, in der das Jenaer Gewerkschaftshaus steht. Im Zuge der NS-Gleichschaltung wurde dieses Haus zwangsverkauft, zum Leid der Obdachlosen und anderen sozial benachteiligten Menschen, da das Gewerkschafthaus vormals zugleich auch Ort der "Volksküche" war. Der Weg führte uns vorbei am Johannistor bis wir uns auf dem Marktplatz einfanden, auf dem nicht nur eine Bücherverbrennung am 26. August 1933 zum 1. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme stattfand. Dieser Platz war auch Standort des Kaufhauses Behrendt - ein jüdisches Familienunternehmen, das auf eine lange Tradition und einen hohe Popularität zurückblicken konnte. Wir erfuhren, dass am Tag nach der Reichspogromnacht das Kaufhaus geschlossen und anschließend zwangsverkauft worden war. Einem Teil der Familie gelang es zu fliehen, der andere wurde nach Polen deportiert.

Die nächste Spur führte uns in die Saalstraße. Dort wollen die Schülerinnen und Schüler der Jenaplan-Schule in absehbarer Zeit einen Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig verlegen lassen – sie erläutern uns das Projekt und die Opferbiographien, um die es dabei geht. Interessiert fragen Teilnehmer nach, was Stolpersteine eigentlich seien und wie so eine Aktion ins Leben gerufen werde. Wir staunen, als wir hören, dass Demnigs Stolpersteine inzwischen das größte "dezentralisierte Denkmal" in Deutschland darstellen.

Wir blicken nun zum Anfang der Saalstraße, der gleichzeitig das Ende der Führung bedeutet: Die Stadtkirche St. Michael. Hier erzählen die Schülerinnen über "Die Deutschen Christen", die nationalsozialistische vereinnahmte und zahlenmäßig sehr starke Gruppe, die seinerzeit die Evangelischen Landeskirchen korrumpiert und mit den NS-Totalitarismus verstrickt haben. Nach außen habe sich dieses NS-Bekenntnis beispielsweise darin gezeigt, dass die tradierten  jüdischen Elemente der Liturgie gestrichen worden sind. Es gab aber auch die andere evangelische Richtung: die – aus dem Widerstand heraus entstandene Bekennende Kirche.

Viele Aspekte des jüdischen Lebens in Jena wurden von unseren "Stadtführern" angesprochen. Es stimmte die Teilnehmer zum Teil nachdenklich, auf der anderen Seizte jedoch auch optimistisch. Wir können doch annehmen, dass sie in Zukunft mit offenen Augen durch die deutschen Städte gehen werden, die Verwicklung der Regionen mit dem NS-Verbrechen sehen und möglicherweise über einen von Günter Demings Steinen stolpern – um sich vor ihm zu verbeugen, um die Inschrift lesen zu können; zugleich wäre das auch eine Verbeugung vor den jüdischen Opfern des deutschen NS-Terrors.

(Jena, 18.06.2009, Linda Roeder)

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17.07.2009 (LR)

 
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