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Coachingszone Schule - Über Talente und Ideen, den Schulalltag neu zu gestalten


Man stelle sich das vor: Hitler kehrt als Engel zurück und fühlt sich gemüßigt, sich für sein Tun zu entschuldigen. Die Nummer ist in der Tat reif fürs Kabarett. Doch jeder im Saal verspürt die gewagte Provokation. Wie soll man darauf reagieren? Besagte Szene ist nur ein Blitzlicht aus der samstäglichen Präsentation. Schülerinnen und Schüler hatten sich in einem der Workshops in der Münsteraner NS-Gedenk- und Arbeitsstätte der Villa ten Hompel mit dem Phänomen der Schreibtischtäter in der NS-Zeit befasst. Die Reaktion und Fragen der Teilnehmer, die sie in persönlichen Statements an diesem Morgen vortragen, hinterlässt im Publikum Spuren. Es regt zum Nachdenken an. Man fühlt sich selbst herausgefordert, ist beeindruckt von der Idee.

Mit den Tagesthemen neigt sich die Lernstatt Demokratie allmählich dem Ende entgegen. Noch einmal blitzen eine Reihe Highlights auf. Vom kreativen Tun zum Ernst der Sache zu kommen ist dabei wesentliches Merkmal der eintägigen Workshops. Bei jeder Lernstatt entsteht daraus ein bunter Strauß an Einfällen, die vom Spaß am Tun geprägt sind. Im Ergebnis ergibt sich daraus eine Art Talentschau und Ideenschmiede, die den Schulalltag vom häufigen Grau bloßer Theorie befreit. Dieses anregende Potential der Präsentation hebt auch Karlheinz Goetsch hervor, der mit gewohnter Souveränität durchs Programm führt.

Über Klassenräte und wie man am besten in einem Boot sitzt

Den Beginn macht der Workshop „Klassenrat und Schulparlament“, durchgeführt von Schulleiter Reinhard Stähling und seinem Vize-Chef in der Grundschule Berg-Fidel im Südosten von Münster. Ein Video vermittelt die Eindrücke der Arbeit in der Schule. Dort hospitierten die Teilnehmer. Viele Beispiele zeigen, wie sich die Schülerinnen und Schüler aktiv an den Entscheidungen und zu regelnden Konflikten beteiligen. Ihre Wortmeldungen zeugen von großer Ernsthaftigkeit. Ihr Tun wirkt erfahren. Diesen Eindruck spiegeln auch die hospitierenden Lehrer und Schüler in ihrem Feedback wider. Einhelliger Tenor: Man fahre mit vielen Anregungen zurück in die eigene Schule.

Danach wird es turbulenter auf der Bühne. Holzbalken werden transportiert, mit Stangen  ineinander gesteckt, ein Zickzack als Modell entsteht. Die Teilnehmer des Workshops „Wir bauen ein Boot, in dem wir gemeinsam sitzen“ nehmen darauf Platz und stellen fest: So sieht man sich nicht gegenseitig. Flugs verändern sie die Formation. Das Gebilde wird zu einem Sechseck - nutzbar als Bank und mobile Einsatzform für Gruppentreffen. Von nun an, so die symbolische Aussage, sitzt man tatsächlich in einem Boot. Unter dem Applaus des Publikums überreicht Moderator Cord Winter das Gestalt gewordene Tagesergebnis der gastgebenden Schule als Geschenk.

Dann geht es weiter: Coaching ist ein Prinzip, das in der Welt der Wirtschaft und der Erwachsenen kaum mehr wegzudenken ist. In der Schule hat diese Form der persönlichen Unterstützung noch wenig Raum gegriffen. Man kennt Mediatoren und Streitschlichter. Wie aber können sich Schüler gegenseitig helfen, gerade in der Bewältigung kritischer Situationen? Festgefahrene Konflikte von Schülern mit Lehrern sind ein Beispiel dafür, pointiert vorgeführt von der Workshopgruppe. Und natürlich fanden sich jede Menge hilfreiche Tipps in der Gruppe um Wolfgang Wildfeuer. Die Botschaft dazu liegt auf der Hand: An eigenen Ressourcen und Ideen für Lösungen mangelt es keineswegs in der Schülerschaft. Allein das Potential dazu will organisiert sein.

Sollte Fast Food in Europa verboten werden?

Sollte Fast Food in Europa verboten werden? Über diese Frage diskutierten danach in einem halb witzigen, halb ernsten Schlagabtausch vier Schülerinnen und Schüler beispielhaft auf der Bühne - Präsentation des Workshops „Europa macht Schule“. Im Pro und Contra geht es hin und her, stets die Argumente der Gegenseite aufnehmend. Was die eine Seite als Verlust von Arbeitsplätzen ankreidet, lässt die andere über untragbare Arbeitsbedingungen sprechen. Spätestens beim Statement, Fast Food Ketten gäben den jungen Menschen Halt und Orientierung in einer wachsend unübersichtlicheren Welt, schimmert Ironie durch. Das Publikum schmunzelt vergnügt. Und wer es bis dahin nicht wusste, der sieht nach der Showdebatte endgültig klar: Neue Medien, Schnelllebigkeit und Fast Food lassen sich kaum voneinander trennen - sei es nun im Für oder Wider betrachtet. Fast Food jedenfalls ist ein Thema auch für schulische Projekte mit Partnerschulen in Europa.

Öffentlichkeit gestalten und die eigenen Anliegen zu artikulieren lernen, darin besteht die vornehme Übung des Lernstatt-Radios. Doch dazu will im Workshop das Handwerk erlernt werden. Jingles als Einspielung gehören ebenso dazu wie Reportagen. Letztere drehen sich allesamt ums Geschehen bei der Lernstatt. Und wie immer stellt sich bei ordentlicher Recherche die Frage: Wie wird aus der Fülle an Material ein kurzweiliger und informativer Beitrag? Die Teilnehmer beweisen mit ihrem vorgespielten Feature das richtige Maß und ernten entsprechend viel Beifall.

Gewusst wie: Schule verändern - Plakate helfen

„Schule verändern, aber wie?“, diese etwas irritierend-verzweifelte Frage stellte der Workshop von Vincent Steinl, engagierter Student und Vorstandsmitglied im SV-Bildungswerk sowie in der DeGeDe, zur Debatte. Die Teilnehmer präsentieren als Ergebnis eine Art Strukturmodell und Psychogramm ihrer Wunschschule: Grundlage und „Dach“ der Schule sei Vertrauen. Die tragenden Säulen dazu: Schüler, Lehrer und Eltern. Als Prinzipien gelten Respekt, Kommunikation, Transparenz, Selbstkritik und Offenheit - alles Kriterien, die mit der Demokratiepädagogik korrespondieren.

Ganz im Stile einer Kreativagentur entwickelten derweil die beteiligten Schülerinnen und Schüler im Workshop: „Was ist los in der Schule“ eigene Plakate, um öffentlich für ihre Anliegen in der Schule einzutreten. Mit jugendlichem Schwung trägt ein Teilnehmer die Ergebnisse vor, die ein vielfältiges Spektrum abdecken: Aktionen gegen Gewalt gehören dazu, ebenso Werbung für das Pausenradio. Eine Kampagne kümmert sich um nützliche Hilfen für den Schulalltag wie SMS-Informationen über Unterrichtsausfälle. Auch Partys werden beworben - in allen Entwürfen sieht man die Lust an der Gestaltung wirken, wie schon oft professionell angeleitet von Ubbo Kügler.

Die Botschaft: Lasst die Schüler selbst zu Wort und Taten kommen

Dann verdunkelt sich der Saal. Keine böse Vorahnung, sondern in guter Tradition bildet die Reportage des Videoworkshops den Abschluss der gut einstündigen Ideenshow. Das „1. Demokratische Fernsehen“ lässt mit seiner eigenen Form von „Tagesthemen“ die letzten Tage in Bildern und Sequenzen Revue passieren. Man geht dabei der Frage nach: „Was ist Demokratie?“ und schnuppert dazu in den Workshops. Man befragt die Gäste der Tagung und porträtiert die anwesenden Projekte. In allen Beiträgen schimmert immer auch ein kleines Zwinkern im Auge durch. Dass am Ende des Videos der „Experte“ im Studio mit zugeklebtem Mund und gefesselten Händen dasitzt, passt nicht nur in die humorvolle Darbietung des Videos. Es fügt sich zugleich nahtlos in die Botschaft des gesamten Vormittags: Am besten lässt man die Kinder und Jugendlichen selbst zu Wort und Taten kommen. (Berlin/Münster, 7.6.2008, Heinfried Tacke)

 

09.06.2008 (MF)

 
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