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Politikergespräch

„Politik ist Spernst!“ – Eine Schülerreportage vom Politikergespräch

Felix Stadeler, Carl-Zeiss-Gymnasium Jena, Kl. 11

In der übervollen 110kV-Halle der Imaginata herrscht wieder Spannung, obwohl das Umspannwerk schon vor Jahren vom Netz genommen wurde. Das Interesse ist so groß, dass die Stühle nicht ausreichen und sich einige Zuschauer mit Stehplätzen zufrieden geben müssen. Aber für das, was sie erwarten, scheinen sie die Strapazen gerne auf sich zu nehmen. So warten sie wie alle anderen auch ungeduldig auf den Beginn des Politikergesprächs.

Der Moderator, die Gäste und das Verfahren

„Ich möchte sie bitten, stimmlich, aber nicht gedanklich zur Ruhe zu kommen!“ so eröffnet Peter Fauser, Leiter der Imaginata und Vrorstand im „Förderprogramm Demokratisch Handeln“, die Podiumsdiskussion „Warum eigentlich Demokratie?“ Anschließend begrüßt er seine drei Gäste: Hildegard Hamm-Brücher, Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und den Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus. In seiner Einleitung spricht er vom „Fest der Völker“, dem großen Nazitreffen am vorausgegangenen Wochenende in Jena und dem Engagement derer, die mit Sitzblockade und Gegendemonstration die Neonazis aus der Innenstadt ferngehalten haben. Früh aufgestanden sind sie für die Demokratie, und mit Erfolg sind sie belohnt worden.

Das Politiker-Gespräch soll in drei Teilen ablaufen und Fragen aufgreifen, die von den Teilnehmern der diesjährigen Lernstatt vorgeschlagen worden sind. Anschließend sollen noch sogenannte „Blitzfragen“ gestellt werden, die die Politiker mit knappen, doch prägnanten Aussagen beantworten sollen. Der dritte und letzte Teil soll aus einer Plenumsdiskussion bestehen. Die Fragen werden von Schülern und Schülerinnen von Schulen, die ehemalige und zukünftige Austragungsorte der „Lernstatt Demokratie“ sind, gestellt – so jedenfalls ist der Pülan, der der Sache vorausgeht.

„Seit wann Denken Sie?“, „Woher kommt ihr Grundvertrauen in die Demokratie?“, „Wie würden Sie ihr politisches Verständnis beschreiben und welche Veränderungen gibt es zu Ihrer Anfangszeit?“, so lauten die nun folgenden Fragen, um nur ein paar zu nennen.

„Gehen Sie in die Politik“ oder auch „Gründen Sie erst eine Familie“

Auf die Frage „Was war Ihre erste politische Aktivität?“ erzählt Richard von Weizsäcker eine kleine Anekdote über sich und seine Podiumsnachbarin Hildegard Hamm-Brücher. Als er ungefähr 25 Jahre alt war, führte er ein Interview mit Konrad Adenauer, dem damaligen und ersten Bundeskanzler Deutschlands. Am Ende meinte dieser zu ihm: „Ich find ja ganz nett was sie hier machen junger Mann, aber das Beste ist wohl, Sie suchen sich eine nette Frau und gründen eine Familie, Auf Wiedersehen.“ Etwa zur gleichen Zeit interviewte Frau Hamm-Brücher Theodor Heuss, dieser sagte zu Ihr: „Mädle, Sie müsset in die Politik!“

Durch diesen und andere Erfahrungen im Anstrich der Anektode schaffen es vor allem die beiden älteren Teilnehmer immer wieder, eine lockerere Atmosphäre in die Runde zu bringen. Und doch verlieren sie nie den Kern und das Thema des Gesprächs aus den Augen und schaffen es so, allen Zuschauern einen interessanten, lehrreichen und angenehmen Abend zu bieten.

Freiheit und Verantwortung

Für Hildegard Hamm-Brücher ist es z.B. besonders wichtig, dass die Menschen begreifen, wie jede Freiheit auch Verantwortung mit sich bringt. Es ist für Sie unhintergehbar, dass Demokratie Eigenverantwortung und Eigeninitiative voraussetzt und nicht eine Einstellung, wie sie Richard von Weizsäcker zu seinem Bedauern immer noch einigen Bürgern vorwerfen muss. Denn ein „Naja, der Staat muss und wird das schon richten“, so von Weizsäcker, reiche in der heutigen Zeit einfach nicht mehr aus.

Alle drei Podiums-Teilnehmer sind nicht in demokratischen Verhältnissen aufgewachsen. Richard von Weizsäcker und Hildegard Hamm-Brücher erfahren das Nazi-Regime unter Adolf Hitler und Dieter Althaus wird geprägt von der Unfreiheit des Sozialismus der DDR. Doch engagieren sich alle drei für die Werte der Freiheit und der Demokratie. Fast zwangsläufig kommmt die Frage danach, ob man man Unfreiheit benötige, um zu erkennen, wie wichtig Demokratie ist. Das weist vor allem Dieter Althaus entschieden zurück und fordert die Leute auf, sich immer so zu engagieren, wie z.B. am Wochenende bei den Gegenaktionen zum Neo-Nazi-„Fest der Völker“.

„Macht Politik Spaß?“, so lautet die nächste Frage. „Spernst, Politik ist Spernst!“ ist Hildegard Hamm-Brüchers Antwort auf die erste Blitzfrage und zitiert damit Theodor Heuss. Das man auf die Blitzfragen eigentlich kurze und knappe Antworten geben sollte, beeinflusst die drei Befragten allerdings eher wenig. So werden, wie schon im ersten Teil, interessante und an manchen Stellen Schmunzeln erzeugende Anekdoten aus dem Politikeralltag erzählt. Amüsant wird es auch immer wieder,  wenn einer der Frgen stellenden Schülerinnen und Schüler aufgrund von Nervosität sich verspricht. Vor allem Richard von Weizsäcker lies es sich nicht nehmen, an der einen oder anderen Stelle darauf mit Humor und auch verständnis zu reagieren.

Politische Positionen zur Bürgerdemokratie

Doch es werden auch klare Fakten und Meinungen formuliert! So fordert Hildegard Hamm-Brücher auf die Frage: „Brauchen wir mehr direkte Demokratie?“ eine Ausweitung des Petitionsrechtes und wünscht sich schrittweiße mehr Bürgerdemokratie. Richard von Weizsäcker will vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene mehr direkte Demokratie. Er wünscht sich direkte Wahlen der Amtsinhaber und mehr Volksentscheide für regional wichtige Fragen. Denn das würde automatisch eine höhere Informations- und Überzeugungsarbeit der Politiker mit sich bringen und damit die Klischees von den elitären und unverständlichen Politikern und deren Politkk in Frage stellen: „Wer sich im Bürgerentscheid oder Referendum zu einer Sache verhält, muss wissen, dass er sie direkt mitverantwortet“.

„Sollte es eine Ausbildungsplatzgarantie geben?“ Nein, meint der thüringische Ministerpräsident, fügt jedoch hinzu, dass es sinnvoller ist, mit der Wirtschaft eng zusammenzuarbeiten, um so ein Maximum an Ausbildungsplätzen zur Verfügung zu stellen. Denn was nütze es, wenn zwar jeder Jugendliche auf’s Erste eine Stelle habe, die Betriebe jedoch reihenweiße Pleite gingen, weil sie sich die Ausbildung gar nicht leisten könnten.

Hildegard Hamm-Brücher soll zu einem weiteren aktuellen Thema Stellung beziehen, Stichwort Studiengebühren. Doch für sie liegt der Fehler im deutschen Universitätensystem an einer ganz anderen Stelle. Sie beklagt, dass die Universitäten zuwenig Freiräume haben und nicht über ihre eigenen Etats entscheiden dürften. Die ihnen auf diese Weise genommene Verantwortung wirkt sich ihrer Meinung nach extrem negativ aus. Studiengebühren selbst hält Sie für gar nicht so falsch, fordert aber das sie an das Einkommen gekoppelt werden. „Ich habe es nie verstanden, warum meine Kinder die Schulbücher von der Schule gestellt bekommen haben“, sagte sie in Blick auf ihre Einkommensverhältnisse: „Wer die Bildung seiner Kinder bezahlen kann, der sollte das auch tun!“

Die letzte Frage aus den Reihen der Schüler befasst sich mit einem globalerem Thema: „Sollte Deutschland Entwicklungshilfe leisten und sollte sie sich dabei an die allgemeine Richtlinie der Rio-Konferenz halten, die ein Zielwert von 0,7% des BSP einer Volkswirtschaft vorgibt?“ Hildegard Hamm-Brücher, wie auch die beiden anderen Befürworterin der Entwicklungshilfe, zeigt jedoch eines der wichtigsten Probleme bei Entwicklungshilfe auf. Denn egal, wie viel Geld in Länder der Dritten Welt fließe, wichtig sei, dass man „Hilfe zu Selbsthilfe gibt und nicht das Zeug einfach nur hinstellt und wieder geht.“ Was nützen einem modernste Maschinen, wenn sie keiner benutzen kann? Dieter Althaus verweist darauf, dass Deutschland wahrscheinlich ab 2010 die vorgesehenen 0,7% Entwicklungshilfe leisten wird. Für Ihn muss das wichtigste Ziel der Entwicklungshilfe aber immer Bildung sein, denn nur so bestehe eine Möglichkeit, dort die Armut an ihrer Quelle zu beseitigen.

Kurz und präganant: Der Schluss

Die erfrischende und angenehme Fragerunde, die nicht von hohlen Phrasen und Parteigerede gefüllt war – wie man es zwischenzeitlich aus einschlägigen Fernseh-Talk-Runden kennt -  überzeugte mit Sicherheit auch den letzten Skeptiker davon, dass Demokratie und Politik nicht immer nur langweilig und unangenehm sind.

Wer sich aus den Zuschauerreihen allerdings auf die anschließende „Plenumsrunde“ gefreut hatte, wurde enttäuscht, denn Peter Fauser bringt die Diskussion an dieser Stelle zum Ende. Richard von Weizsäcker und Hildegard Hamm-Brücher, die am heutigen Tag bereits die Ehrendoktorwürde der Universität Jena überreicht bekommen hatte, waren wohl doch etwas müde geworden von ihrem anstrengendem Vorprogramm. Tosender Beifall und Standing Ovations für alle Teilnehmer elektrisierten die Halle und man hatte das Gefühl, als ob die alten Transformatoren und Umschaltkästen wieder zu knistern anfangen wollten.

„Du weißt, wie wohl einem bei Menschen ist, denen die Freiheit des anderen heilig ist.“ Mit diesen Worten Schillers verabschiedet Herr Fauser die Politikerpersönlichkeiten und langsam kehrt wieder die gewohnte Ruhe in die alte Halle des Umspannwerks ein. (Felix aus Jena)

 
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