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Geschichte erleben: ein interaktiver und kreativer Workshop im Theodor-Heuss-Haus

Ein Workshop der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Mod.: Thomas Hertfelder (Stuttgart)/ Rolf Schwarz (Mühlhausen) Ort: Theodor-Heuss-Haus

Geschichte erleben - Zitat - Thoedor Heuss

Die Begegnung mit dem Leben und Wirken des ersten Bundespräsidenten in dessen in seiner Inneneinrichtung original rekonstruierten Alterswohnsitz in Stuttgart sollte für acht Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Workshop in interaktiver und kreativer Art und Weise umgesetzt werden. Anregungen und Unterstützung erfuhren sie dabei von Dr. Thomas Hertfelder, Geschäftsführer der Stiftung Bundespräsident Theodor-Heuss-Haus, und Rolf Schwarz, ehemals Lehrer für Deutsch und Latein an einem badischen Gymnasium und Mentor in der Schultheater- und Schulkabarettszene des Südwestens - ein Historiker und ein kreativer Kopf wirkten zusammen.

Die Auseinandersetzung mit der Biographie des ersten Bundespräsidenten Deutschlands sollte den Schülerinnen, Schülern, Lehrerinnen und Lehrern nicht nur ein umfassendes Bild von Theodor Heuss liefern, sie sollten sich ebenso mit der damaligen Zeitgeschichte kritisch befassen und die "Geburtsstunde der Demokratie" miterleben.

Privatheit und Kulturgeschichte - das Heuss-Haus

Geschichte erleben - Aussenansicht Theodor-Heuss-Hauss

Dazu bietet das Heuss-Haus, das nicht nur Einblicke in die Heuss'schen Privaträume gewährt, sondern auch mittels einer Ausstellung durch das Leben und vor allem die vielfältigen kulturellen und politisch-historischen Rahmenbedingungen eindrucksvoll aufscheinen lässt, eine unersetzbare Atmosphäre. In einem ersten Arbeitsschritt hatten die Workshop-Teilnehmer Gelegenheit, sich im Haus umzuschauen. Es fällt ihnen nicht schwer, ein Objekt auszuwählen, das jeden individuell besonders anspricht, so die erste Aufgabe für die Gruppe. Es ergibt sich die Situation, dass sich die Teilnehmer selbständig durch die Ausstellung führen, indem jeder seinen "Lieblingsgegenstand" den anderen vorstellt. Thomas Hertfelder erklärt im Anschluss jede Station aus zeitgeschichtlicher Perspektive. So erfahren die Schüler und Lehrer z.B. weiteres über die Fröbelschen Spielgaben, dem Spielzeug der Heuss Kinder. Ein wichtiges Thema ist zudem die Rolle von Elly Heuss-Knapp. Über Briefwechsel oder Aufzeichnung einer Telefonkonversation kann man an der Beziehung des Ehepaares teilhaben und miterleben, wie Frau Heuss sich politisch aktiv für die Rechte der Heimarbeiterinnen einsetzte. Außerdem hat Elly Heuss die Rundfunkwerbung erfunden und verdiente damit den Familienunterhalt, während Theodor Heuss in der Nazizeit ohne Arbeit war. Im nächsten Schritt gelangt die Gruppe zu einer Station, die über das "Gesetz zum Schutze der Jugend gegen Schmutz und Schund" berichtet. Dessen Inhalt war es, aggressive Werbung im Sinne einer "Sozialpolitik der Seele" zu unterbinden. In einer Broschüre (1920) an die damaligen Wähler lesen die Jungen und Mädchen über "Das Wesen der Demokratie". Darin wird die parlamentarische Demokratie von Heuss erklärt. Auch das "Haus der Freundschaft", welches die Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei vor dem ersten Weltkrieg verdeutlicht, ist von Interesse. Dieses sollte in Konstantinopel errichtet werden, jedoch scheiterte das Unternehmen am 1. Weltkrieg, so dass sich der Plan einer Annäherung des Osmanischen mit dem Deutschen Reich nicht verwirklichen konnte. Über einen aktuellen Bezug - Tham Türkei und die EU sowie der "Kopftuchstreit" - wird kurz diskutiert. Zum Ende des individuell gestalteten Rundgangs stehen Reisebilder im Vordergrund, die Theodor Heuss in späteren Jahren angefertigt hat.

Nach dieser ersten sehr gegenständlichen und sprechenden Einsicht sollte nun der Einstieg in eine vertiefende Arbeitsphase gelingen. Die Ausstellung ist so angelegt, dass in sieben Stationen das Leben von Theodor Heuss dargestellt wird. Geschichtliche Hintergründe werden erklärt und viele persönliche Exponate ermöglichen dem Betrachter einen Einblick in Kultur und historischen Kontext.

Jeder Teilnehmer soll zusammen mit einem Partner aus einem Aufgabenkomplex vier Fragen zu vier frei wählbaren Stationen bearbeiten. Die Auswertung erfolgte anschließend im an diesem Tage sonnig-schönen Garten des Heuss-Anwesens. Man setzt sich mit verschiedenen Lebensabschnitten auseinander, diskutiert über Zeitgeschichte und interpretiert Schriftstücke und Zitate.

Die äußere Freiheit der Vielen lebt von der inneren Freiheit der Einzelnen

Ein Diskussionsschwerpunkt liegt in der Interpretation des Zitats: "Die äußere Freiheit der Vielen lebt von der inneren Freiheit der Einzelnen" (Theodor Heuss, 1952). So wird die Demokratie als innere Einstellung erkannt, die nicht primär im Parlament entsteht. Einige Zeit beansprucht die Auseinandersetzung mit einer Rede von Heuss zur nationalsozialistischen Vergangenheit aus dem Jahre 1949. Diese handelt von Kollektivschuld und Kollektivscham, mit denen das deutsche Volk in verschiedener Weise umgeht. So zeigte sich auch in der Workshop- Gruppe ein unterschiedliches Verständnis in zwei Generationen. Erfahrungen zu dieser Problematik, welche z.B. im Alltag oder im Urlaub mit anderen Nationen gemacht wurden, werden ausgetauscht und ausgewertet. So kommt man zu dem Schluss, dass unter den Jugendlichen dieser Zeit die Kollektivschuld verloren zu gehen scheint, die Kollektivscham jedoch empfindet auch die jüngere Generation noch.

Schließlich wird einerseits eine Befragung zur Kenntnis über das Heuss-Haus vor Ort beschlossen und kurzerhand durchgeführt. Andererseits versuchen wir abschließend gemeinsam, mit Bildern und Zitaten aus der Ausstellung, eine Präsentation für die Lernstatt-Öffentlichkeit zusammenzutragen. Dabei fällt uns auch nochmals das Bemühen Theodor Heuss' ins Auge, für die neue bundesdeutsche Demokratie Elemente und Symbole zu finden, die Identifikation und Zugang des einzelnen Menschen zu diesem Staat ermöglichen: Die neue Demokratie sollte eben nicht nur gelittene oder auch ungelittene Staatsform sein, sondern "in den Herzen lebendig" den Einzelnen und die Einzelne als Lebensform erfassen. Heussens Versuch, eine neue Nationalhymne in Text und Komposition des Bremer Lyrikers und Innenarchitekten Rudolf Alexander Schröder zu gewinnen, berührt auf ambivalente Weise. Sie bleibt uns merkwürdig fremd und zeigt doch zugleich den kritischen Geist Heuss, für den das Deutschlandlied von Hofmannn von Fallersleben durch die nationalsozialistische Diktatur und Barbarei ein für allemal diskreditiert war. Heuss konnte sich mit seinem Ansinnen politisch nicht durchsetzen, hat allerdings im Beharren auf die Einschränkung der offiziell anerkannten Strophen des "Deutschlandliedes" - wobei die mit dem nur historisch erklärbaren Raumanspruch "von der Maas bis an die Memel" wegfallen musste - sich seinen wohlbegründeten kritischen Impetus bewahrt!

Ist Heuss für uns heute aktuell? Nicht auf den ersten Blick; aber nach dieser vielfältigen Auseinandersetzung eben schon - die demokratischen Verhältnisse sollten uns ebensoviel wert sei, wie sie es für Theodor Heuss waren. Das lässt sich summierend wohl festhalten. (Sabine Sondermann, Jena)

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Geschichte erleben - Thoedor Heuss

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