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Über Schwaben, Schule und Demokratie


Begrüßung - Bild 1

Es beginnt mit einem kollektiven Seufzer: "Ach Schule!". Der ganze Stress: Tu dies! Tu das! - Diktate schreiben, das frühe Aufstehen und die vielen Streitereien. Und nachher wird es auch nicht besser, dann muss man eine Arbeit finden... Es sind ungefähr dreißig Kinder, die da seufzen. Der Chor- und Instrumentalkreis der Grundschule Stuttgart-Ostheim präsentiert uns eine Uraufführung. Eigens für die Lernstatt haben sie, zusammen mit ihrer Lehrerin, das Stück "Gedanken über Schule aus Sicht der Schüler" komponiert. Mit Instrumenten, Gesang und Sprache. Die Kinder erzählen darin von "ihrer" Schule, so wie sie sie erleben. Da ist erst mal von so viel Ärger und Verdruss die Rede, dass sie am Ende nur noch ausrufen können: "Stopp!" Dann muss Musik her - denn mit Musik geht alles leichter - und so singen sie berühmte Lieder von "Life is life" über "99 Luftballons" bis zu "Ich wär so gerne Millionär", alles abgewandelt auf die Schule. Und dann fällt manchen doch noch Positives über die Schule ein: Schließlich "treffe ich da meine Freunde" (der Song dazu: "Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt") und das "Lernen ist ja auch nicht so schlecht", ein Schüler sagt sogar, aber sehr leise: "Also, ich freue mich auf die Schule." Eigentlich stellen die Kinder in ihrem Werk die Frage, wie eine bessere Schule aussehen könnte. Die Streitereien sollten friedlich geschlichtet werden, man sollte sich danach "wieder vertragen". Und der ganze Stress müsste weg: "Probiers mal mit Gemütlichkeit" ist der Ratschlag der Kinder, dann wären sie auch wieder motiviert und es würde heißen: "Dann wollen wir schaffen, sieben Tage lang".

Ein später warmer Mittwochnachmittag in Stuttgart. Wir sitzen in einer Turnhalle der GHS Stuttgart-Ostheim auf hölzernen Kinderstühlen. Die 14. Lernstatt Demokratie hat gerade begonnen und wir sind berührt von der Musik. Dafür gibt es am Ende auch einen dicken Applaus. Danach bittet die Moderatorin Julia Bonk aus Dresden - dort legt sie derzeit ihr Abitur ab - aufs Podium. Was bedeutet Demokratie für die Lernstatt? Für den Geschäftsführer von Demokratisch Handeln, Wolfgang Beutel, "lebt Demokratie vom Mitmachen". Er wünscht sich, dass die Lernstatt ein "Miteinander" wird: Es gehe nicht darum, dass die Erwachsenen etwas vor- und die Schülerinnen und Schüler es dann nachmachten, sondern man wolle gemeinschaftlich von- und miteinander lernen und Erfahrungen austauschen. Dieser Gedanke ist auch für die beiden Schülerinnen aus Jena und Freiburg zentral.

"Zusammen erreicht man einfach mehr als alleine" findet die eine und die andere hofft auf "neue Leute und neue Ideen" und vielleicht lasse sich ja sogar einmal ein gemeinsames Projekt mit anderen Gruppen durchführen. Ob sie ihre eigenen Schulen demokratisch nennen würden, wissen sie nicht so recht. Es gäbe ja schon Schülermitverwaltung meinen sie, aber völlig überzeugt klingt das nicht. Die Frage: "Sind Schulen demokratisch?" sei die Gründungsfrage von Demokratisch Handeln vor 14 Jahren gewesen, berichtet Prof. Andreas Flitner, der Vorsitzender der Akademie für Bildungsreform ist. Man hätte nach den verdeckten "Kosten des Lernens" gefragt, danach, ob die Schule die Kinder und Jugendlichen befreien oder eher unterdrücken würde. Die Moderatorin will wissen, wie Flitner die gegenwärtige Situation an den Schulen einschätzt. Er äußert sich zurückhaltend: Schule sei im Prinzip schon autoritär, denn sie würde zum Lernen "nötigen". Die Gastgeberin der diesjährigen Lernstatt, die Direktorin der Ostheim-Schule Gudrun Greth, weist auf die besondere Herausforderung hin, vor der ihre Schule stände: Ihre Schülerinnen und Schüler kämen aus 74 Nationen. Daher bedeute Demokratie für sie "offene Augen und offene Ohren" zu haben, gemeinsam zu lernen und bereit zu sein, "den anderen zu sehen." Entschlossen ruft sie aus: "Wir haben neun Jahre Zeit, in denen die Kinder lernen können, als gesellschaftliche Menschen demokratisch zu handeln."

Wolfgang Harder von der Theoder-Heuss-Stiftung fordert größere Mitspracherechte für die Schülerinnen und Schüler: Sie müssten an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt sein, das "täte allen gut". Am Ende der Podiumsrunde kommen wir wieder nach Stuttgart, eigentlich: zu den Schwaben nach Württemberg zurück. Christoph Walter, seit kurzem Regionalberater für Demokratisch Handeln in Baden-Württemberg, weist auf die lange liberale Tradition in diesem Landstrich hin. Er erinnert sich seiner Jugend so: Schwäbisch sei die Sprache der beginnenden Nachkriegsdemokratie in (West)Deutschland gewesen. Auch Theodor Heuss habe sich in Stuttgart immer sehr wohl gefühlt. Deswegen sei die Lernstatt Demokratie hier am richtigen Ort. Diese Bemerkungen lässt die Moderatorin nicht auf sich sitzen: Sie fordert die "Friesen und Hessen" auf zu zeigen, dass sie genauso demokratisch sein könnten wie die Schwaben. Der Konter kommt an, der Saal lacht. Was bleibt als erstes Fazit? Einig ist man sich darin, dass Demokratie in der Schule v.a. Offenheit für den Anderen fordert, es geht darum, miteinander zu reden und gemeinsam zu handeln. Doch es scheint auch, als bliebe noch viel zu tun, bis der Wunsch des Kinderchors Realität werden kann: "And I think to myself: What a wonderful school." (Jan Wöpking)

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