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Wolfgang Beutel: "Reformpädagogik – Pädagogik der Reformen"

Im Gefolge der Debatten um pädosexuellen Missbrauch in kirchlichen Internaten und in der Odenwaldschule hat sich zwischenzeitlich eine Diskussion um Nutzen und Notwendigkeit von „Reformpädagogik“ entzündet. So sehen die einen darin die einer internationalen Modernisierungsbewegung aus den 1920er-Jahren abgewonnene Orientierung auf eine Schule, in der Schülerinnen und Schüler in einem breiten Lebenskontext lernen können und die zugleich bis heute Anregungspotenziale für eine kindgerechte Pädagogik enthält. Dagegen sagen die anderen, dass für ein zeitgemäßes Lernen lediglich effektives und in seinem Output nachweisbares Lernen in qualitativ gutem Unterricht nötig sei, ja dass der Rückgriff auf überkommene Reformtraditionen insbesondere in Landerziehungsheimen den Missbrauch, den wir beklagen, begünstige. Es wundert kaum, dass hier grundsätzliche Fragen um Gestalt und Wandel einer zeitgemäßen Schule und ihrer Pädagogik aufbrechen, in denen es nicht nur um die richtig austarierte Mischung von Nähe und Distanz zwischen Lehrkräften und Jugendlichen geht, sondern auch um basale Positionen zu Funktionen und Inszenierungsformen von Schule und Lernen. Dann spielen normative Grundentscheidungen eine Rolle, in denen sich höchst unterschiedliche Konzepte von Bildung und Schule widerspiegeln.

Pädagogische Reformen – ein Topos in Jena?

Auch deshalb war die Frage, ob gute Schulen sich an Traditionen orientieren dürfen und auf welche pädagogischen Quellen und Elemente sie zurückgreifen können, Gegenstand einer Fachtagung zur Reformpädagogik in der IMAGINATA in Jena. Denn gerade in dieser Stadt spiegeln sich pädagogische Traditionen in vielen Facetten, die von einer pädagogischen Blütezeit in Wissenschaft und Praxis bereits in den 1920er-Jahren über den Aufbruch von Schulen und Pädagogik in der Wende-Zeit und der Phase der Wiedervereinigung in den 1990ern bis hin zur Gegenwart reichen: Eine differenzierte und reformorientierte Schulszenerie einerseits – die Jenas Schulbürgermeister Frank Schenker präzise und in ihrem qualitativen Entwicklungsschub genau skizzierte – sowie die Schulentwicklungsprojekte EULE, Imaginatives Lernen und Demokratisch Handeln am Jenaer Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung von Peter Fauser andererseits verbinden seit rund zwanzig Jahren schulische Praxismodelle mit erziehungswissenschaftlicher Begleitung in der Lehrerbildung und der theoriebegründenden Arbeit im Feld von Vorstellungsbildung, Demokratiepädagogik und langfristig wirksamer Entwicklung von Schulen. Die seit über zwei Jahren gärende Jenaer Auseinandersetzung um Peter Petersens Rolle in der NS-Zeit kommt hinzu.

Reform – ein aktueller, demokratisch gehaltvoller „Bewegungsbegriff“

So war es naheliegend, dass Peter Fauser in seinem einleitenden Grundsatzvortrag bei dieser Tagung den Begriff der „Reform“ in der Pädagogik als stetig notwendige Perspektive der Verbesserung im Sinne einer „rationalen Korrektur von Verhältnissen“ beibehalten möchte, „die Selbstkorrektur einschließt und auf Pluralität, Verschiedenheit sowie die Angemessenheit für die Aufgabe und den Kontext zielt.“ Für Fauser ist der Begriff der „Reform“ auch für die gegenwärtige und künftige Schulentwicklung höchst aktuell. Dies gelte zumal deshalb, weil Reform ja nicht alleine das stets Andere, das Neue oder das in einer früheren Phase Erstellte (gar, indem es ohne Adaption genutzt werde) meine, sondern das stetige Bemühen um die angemessene und gute Lösung für die täglich neue pädagogische Herausforderung. Letztlich liegen in einem zeitgemäßen und beweglichen Begriff von „pädagogischer Reform“ ein Bekenntnis und eine praktische Hinwendung zu einer aufgeklärten Schule der Demokratie, die ihre Schülerinnen und Schüler am Lernen und an der Gestaltung der Schule partizipieren lasse.

Demgegenüber hat Norbert Maritzen aus der Perspektive der empirischen Bildungsforschung das Konzept von Bildung durch Monitoring als „Wirklichkeitsüberprüfung“ dargestellt, die vor der Wirklichkeitsbeschwörung – auch der von reformpädagogischen Idealen – stehe. Dabei nehme die empirische Evaluation von schulischem Lernen für sich in Anspruch, die faktische Einlösung von Bildungsansprüchen zu überprüfen. Sie leiste also einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und eben auch zu einer demokratischen Schule. Gleichwohl gestand der Direktor des Hamburger Instituts für Bildungsqualität ein, dass Bildungsmonitoring es „immer mit einem Kontext von Vorwürfen“ zu tun habe – eine gemeinsame normative Basis in der Pädagogik in Blick auf den Begriff der Reform und ihre Qualitäten offensichtlich nicht ohne Weiteres zu erreichen ist. So war mit diesen beiden Positionen und dem darin liegenden dualen Auftakt zugleich die kontroverse Sicht der Dinge auf dem Tisch.

Demokratie und Reformpädagogik im Weimar der 1920er-Jahre

Aus historischer Perspektive wurden die Potenziale von Schulentwicklung und Verfassungsrahmen der Weimarer Zeit beleuchtet. Der „Modellfall der Demokratie in Weimar“ hat breite Spuren der Modernisierung im Bildungswesen hinterlassen und dennoch seinen Verfassungsrahmen nicht annähernd ausgeschöpft, so der Jenaer Zeitgeschichtler Jürgen John: Das bis heute gültige Gesetz zur vierjährigen Grundschule als Gesamtschule von 1920, die in der Summe zwar enttäuschenden, in den Konzepten und Diskursen aber sehr plurale Reichsschulkonferenz aus demselben Jahr sowie die auf Länderkooperation zielende Politik des damaligen Kultusministers Carl-Heinrich Becker stehen dafür. Vom kooperativen Föderalismus dieser Zeit könnten wir heute wieder lernen – auf vertikaler Ebene zwischen den Ländern ebenso wie horizontal zwischen Bundesstaat und Bundesländern. Anders gesagt: Im Vergleich zu Weimar wirken das derzeitige bundesdeutsche Kooperationsverbot und der alleinige politische Gestaltungsanspruch der Länder fast schon antiquiert. Im Übrigen betonte John, dass Reform ein Begriff der Moderne sei, der in Weimar eine wichtige Bedeutung gehabt habe und heute wieder habe, während in der NS-Zeit Reformkonzepte verpönt waren, da es dort um eine umfassende „Mobilisierung“ gegangen war. Die Bielefelder Juristen Christoph Gusy und Christoph Worms haben den großen demokratietheoretischen Rahmen der Weimarer Verfassung beschrieben, „deren Mitwirkungsmöglichkeiten sehr gut ausgestaltet waren“, doch deren demokratiepraktischer Mangel das Fehlen einer „Zivilgesellschaft“ und einer kritischen Öffentlichkeit war.

Franz-Michael Konrad, Bildungshistoriker an der Universität Eichstätt, hat anschließend die Breite und Internationalität der reformpädagogischen Bewegung eindrucksvoll umrissen: „Vor diesem Hintergrund sind die Landerziehungsheime ein zwar wichtiger, gleichwohl kleiner Gesichtspunkt der Reformbewegung – sie werden gegenwärtig pars pro toto gestellt und dem muss energisch widersprochen werden“, so Konrad in seinem Appell, mit dem aktuellen Drama Odenwaldschule nicht den ganzen Traditionsbestand zu negieren: „Denn wir zehren heute noch von den nicht ausgeschöpften Potenzialen der Schulversuche aus der Weimarer Zeit.“ Aus seiner Sicht war die Schulreform in der Weimarer Republik die „Inkubationszeit“ für die gegenwärtige Pädagogik, sichtbar an der prioritär gewordenen Bedeutung der Realien, am Modernisierungsschub der Gymnasien und am Elementarschulwesen. Nicht zuletzt erinnerte er an die frühen Positionen für eine demokratische Bildung in der Schule, beispielhaft bei Konrad Hänisch, erster SPD-Kultusminister Preußens in der Übergangszeit zwischen Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik, der schon 1920 eine demokratische Erziehung als Voraussetzung für den neuen Staat der Weimarer Republik gefordert habe.

Reform und Erneuerung gehören zusammen – ein Gesprächskonzert

Das „Neue“ ist auch in Kunst und Musik ein Programm- und Signalwort, nicht erst im 20. Jahrhundert, aber hier besonders, denn den Begriff der „Neuen Musik“ gibt es seit 1909 – er wird heute sogar als „Epochen-generierende“ Größe in der Musikwissenschaft verwendet. Dass die Musik die Auf- und Umbrüche der Moderne auf vielfältige Weise aufgenommen und vorangetrieben hat, konnte Michael von Hintzenstern aus Weimar, Initiator und führender Kopf des „Ensembles für intuitive Musik“, an ausgefallenen, beeindruckenden und bisweilen provozierenden Beispielen verdeutlichen. Dass das Geräusch sich dabei als Element der Kunstmusik etabliert hat, klingt inzwischen theoretisch trivial, wird jedoch abseits heute medienüblicher Populärmusik auf irritierende Weise erfahrbar, wenn die beiden Interpreten mit großem Ernst zwei Röhrenradios bedienen und ein Schellack-Grammofon als Teil auskomponierter Partituren spielen. Deutlich wurde allerdings auch die historische Distanz zwischen der Faszination von UKW-Rundfunk und weltweit-webbasiertem Datenstreaming – oder ist der Grammofon-Spieler der 1920er Jahre bereits ein anfänglicher DJ, der das „Scratchen“ schon früh etabliert hat? Allemal aber hat die chorische, vierstimmige Sequenz der Ursonate von Kurt Schwitters, die Hintzenstern mit den Zuhörern in beeindruckend kurzer Zeit einstudiert und aufgeführt hat, nachhaltige Eindrücke hinterlassen: Heiteres Wiederholen einzelner Sequenzen war in den Pausen der Tagung immer wieder zu hören!

Aktuelle Reformthemen: Die Workshops

In dreizehn – teilweise mit doppelten Gruppen wiederholten – Veranstaltungen wurden sieben zentrale Themen der gegenwärtigen Reformdiskurse behandelt, die alle auch mit dem praktischen und wissenschaftlichen Engagement der Jenaer Arbeitsgruppen am Lehrstuhl für Schulpädagogik und Schulentwicklung zu tun haben. Dabei wurde Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer aus dem EULE-Projekt erläutert: Wie kommt man zu „Adaptiven Routinen“ – also professionell anwendbarem Handwerkszeug, dessen bewusster Einsatz die stetige Bereitschaft erforderlich macht, Kontexte und beteiligte Menschen zu erfassen und Routine eben nicht zur oberflächlichen Wiederholung, sondern zur sicheren Reformulierung des Handlungswissens werden zu lassen. Der „Deutsche Schulpreis“, in den Eckpunkten seines Konzeptes aus den Erfahrungen der Jenaer Reformprojekte heraus maßgeblich mitbeeinflusst, wurde ebenso vorgestellt und in seinen Ergebnissen diskutiert wie das Thema „Ganztagsschule“, das hier von der Dt. Kinder- und Jugendstiftung im gegenwärtigen Entwicklungsstand und mit einem Beispiel aus der Freien Ganztagsschule LEONARDO in Jena lebhaft dargestellt wurde – waren doch Schülerinnen und Schüler mitgekommen, um zu berichten. Der IMAGINATA-Stationenpark wurde mit seinen praktischen Erfahrungsmöglichkeiten erläutert.

Besonders eindrücklich und auch etwas ratlos zugleich geriet die Vorstellung des Interviewfilms „Und wir sind nicht die Einzigen“ des Odenwaldschülers und Regisseurs Christoph Röhl. Die Präsentation und die nachfolgende Diskussion wurde von Wolfgang Edelstein begleitet, der über ein Jahrzehnt lang in den 1950er und 60er Jahren Lehrer und Studienleiter an der OSO gewesen war. Hier wurde nochmals das destruktive Potenzial der Ära Gerold Becker deutlich. Aus Edelsteins Sicht hat sich Becker durch eine Außerkraftsetzung der wechselseitigen Kontrollinstanzen in der Schulleitungs-Gruppe Voraussetzungen für seine Bemächtigung der Schule geschaffen, die dann von einer „Verwahrlosung“ der sozialen Verhältnisse und deren Wahrnehmung begleitet wurde – und die heute jenseits aller Verstehensversuche eine tiefe Erschütterung spüren lässt.

Demokratisch Handeln: Praxisbeispiele aus Soest und Bremen

Schließlich wurden in zwei Workshops des Förderprogramms Demokratisch Handeln das Konzept zur Suche nach demokratiepädagogisch gehaltvollen Schulprojekten und deren Stabilisierung sowie öffentlicher Präsentation dargestellt. Eine lebendige Anschauung von solchen Projektaktivitäten bot dabei einerseits Ulrich Dellbrügger vom Conrad-von-Soest-Gymnasium, der die ökologisch-europäische Profilbildung dieser Schule im Bereich der Biologie kompakt und beeindruckend genau dargestellt hat. Hier wurde einmal mehr sichtbar, dass demokratische Schulentwicklung nicht nur eine Angelegenheit für sogenannte „Best-Practice-Schulen“ ist, sondern eine Herausforderung gerade für Schulen mit durchschnittlichen Profilen und Strukturmerkmalen werden kann, weil sich Reformpotenziale in einzelnen Bereichen etablieren und somit nicht mehr abgewehrt werden können. Auf der anderen Seite hat Hans-Wolfram Stein, bis zum Sommer 2011 Lehrer für Politik an der Gesamtschule Bremen-Ost, das bundesweit beachtete Projekt „Wählen ab 16“ vorgestellt, das er als erfolgreiche Intervention in ein positives, weil aktives, Erstwähler-Verhalten darstellen konnte. Der politische Gehalt von Projekten demokratischen Handelns wurde aus erster Hand eindrücklich sichtbar gemacht.

Reformpädagogik – ja oder nein?

Gespannt waren viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine mögliche Auseinandersetzung mit Jürgen Oelkers. Doch dieser berichtete in seinem Vortrag am letzten Symposiums-Tag zuerst und detailgenau von den Bedingungen praktischer Schulreform in der Schweiz, die er unter den Blickwinkel einer professionsorientierten Optimierungsstrategie zu stellen wusste, „denn pädagogische Lösungen sind immer umstritten, deshalb kann nur die Praxis entscheiden.“ Dass dort dann Qualitätsmaßstäbe die Leitlinie des Handelns und Entscheidens sein müssen, war für Oelkers glasklar, „denn wir müssen vor allem die guten Lehrkräfte behalten und die anderen aus dem System nehmen“, so seine Folgerung. Für die Politik hakte der Magdeburger Bildungsstaatssekretär Jan Hofmann mit der Frage nach, was er denn mit den anderen zu machen gedenke. „Das“, so Jürgen Oelkers schlagfertig und provokativ zugleich, „regelt der Schweizer Arbeitsmarkt.“

Die Bandbreite von Zugängen, Themen und Methoden für Demokratie-Lernen und demokratisches Handeln in der Schule hat Wolfgang Beutel im abschließenden Plenumsvortrag aufgezeigt. Dabei wurde vor allem deutlich, wie groß die Spannung zwischen demokratiepädagogischen Zusammenhängen in den Strukturen und Handlungsformen von Schule im Verhältnis zur realiter doch eher geringen Wahrnehmung dieser Dimension von Schulreform durch die etablierte Erziehungswissenschaft ist. Zugleich ist die demokratiepädagogische Schulentwicklung vor allem eine Angelegenheit von Netzwerken und Initiativen in zivilgesellschaftlicher Fundierung. Beutel warnt jedoch davor, anzunehmen, dass private Initiative alleine diese Herausforderung bewältigen könne. Demokratiepädagogik sei ebenso eine Aufgabe der zivilgesellschaftlich motivierten Reform in der Schule wie der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Schulen.

Dialogischer Kommentar: Miteinander und voreinander über das Gehörte nachdenken!

Ein besonders gelungenes Reflexionsmodell bei allen Vorträgen waren die „dialogischen Kommentare“ – am ersten Tag von Käte Meyer-Drawe und Kurt Edler sowie am zweiten Tag von Wolfgang Edelstein und Käte Meyer-Drawe mit genauer Beobachtung und großem Assoziationsreichtum in Sprache gesetzt. Die Zuhörerschaft konnte sich förmlich am Mit-Denken dieser Experten beteiligen und dabei neue Akzente im zuvor Gehörten entdecken: „Nicht nur die Demokratie ist eine Lebensform“, so Frau Meyer-Drawe in Ergänzung der strukturellen Mangel-Diagnose zur Weimarer Verfassung und gesellschaftlichen Verfasstheit, vielmehr sei eben „Bildung die Gestaltung der Lebensform“ und somit zugleich Voraussetzung der Demokratie. In der Bilanzierung der historisch orientierten Vorträge verweist Wolfgang Edelstein darauf, dass „die Entwicklungen, die wir als Einzelne sehen, eben nicht immer die Wahrheit auf einen Blick eröffnen“, die Republik von Weimar mithin ein sehr vielschichtiges und deshalb hochdramatisches Phänomen gewesen sei – so wie das heutige deutsche Schulsystem bereits am Maßstab der Weimarer Verfassung gemessen „nicht zeitgemäß ist“ – auch dies eine ebenso verhaltene wie provokative Feststellung am Rande einer argumentationsreichen Gesprächstagung.

Höhepunkte des Reformdiskurses: Die Podien

Zwei Podien waren zugleich Höhepunkte des Jenaer Symposiums. Bei der ersten Runde haben vier Leiterinnen und Leiter profilierter Schulen – Gymnasium Karlstadt, Bosch-Gesamtschule Hildesheim, Gesamtschule Bremen-Ost, Regelschule Buttelstedt – detailgenau gezeigt, wie Reformimpulse entstehen, gefördert und klug moderiert werden können. Dabei sind zuvorderst eine souveräne Kenntnis der Schulen und der Umfeldbedingungen bedeutsam sowie durchweg die Gabe, Entwicklungschancen in Kommune und Umfeld zu nutzen: Keiner der Vier hat über Einschränkungen und politische Vorgaben gesprochen. Martina Weyrauch von der kleinen Regelschule in Buttelstedt im Weimarer Land hat lediglich daran erinnert, dass gerade kleine Schulen das nötige Personal für ihre Stundenausstattung benötigten, weil sonst das für Reformengagement nötige Kräftefeld blockiert werde. Doch jeder der vier vermag vorhandene Reformpotenziale zu erschließen und dabei immer eine größere Gruppe an Kolleginnen und Kollegen sowie Mitgestaltern im Umfeld der Schule zu bewegen. Schulreform ist sicherlich eine politische Aufgabe, da war man sich einig, die sich gleichermaßen allerdings nie in der Politik erschöpfe. „Gelegenheiten muss man nutzen“, so Franz Jentschke, der Schulleiter der Bremer Gesamtschule-Ost, „aber vorher muss man sie vor allem ganz aktiv suchen.“ Die Notwendigkeit von Reform in der Schule sei gleichermaßen groß wie die Möglichkeit, dabei selbstverantwortlich und konzeptionell mitzugestalten.

Auf dem von Peter Fauser moderierten Abschlussplenum saßen unter anderen Wolfgang Edelstein und Jürgen Oelkers. Es war dennoch kein Ort konträrer Zuspitzung, sondern wurde ein konstruktiver Dialog. Edelstein beharrte auf einer „Pädagogik vom Kinde aus, da sie der Vorgriff auf die Kinderrechte“ war und diese die aktuelle Richtschnur pädagogischen Handelns und demokratischer Schulentwicklung seien. Dass hier die Weimarer Zeit Vorgaben und Möglichkeiten geschaffen habe, „die bis heute nicht eingelöst sind“, so Edelstein, darin war man sich einig. Um dies zu tun, brauche man ­aber, so Oelkers, keine „kodifizierte Reformpädagogik“, sondern eine qualitätsorientierte Begleitung und Evaluation pädagogischen Handelns: Die „Pädagogik der Reformen“, das wurde deutlich, ist lebendiger denn je. Aber so wenig es heute „eine“ Reformpädagogik gibt, gab es sie damals: Pluralismus und genaue Analyse sind gefragt – die Erziehungswissenschaften ebenso wie die praktische Schulpädagogik sind aus diesem Grunde gegenwärtig und zukünftig in der Ausgestaltung einer Pädagogik der Reformen gefordert!

(Wolfgang Beutel, Jena/Dortmund im November 2011)

(02.12.2011, LR)

 
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