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WS 04 - Eine wichtige Aufgabe: Demokratielernen in Ost und West

Wolfgang Wildfeuer, sächsischer Regionalberater des Förderprogramms und Zeitzeuge des politischen Wandels in der ehemaligen DDR, hat diesen Workshop moderiert. Die Teilnehmer konnten sich hier mit dem Demokratielernen in Schulen auseinandersetzen sowie damit, ob ein bedeutender Unterschied zwischen Ost und West bestehe.

Demokratisches Bildungswesen – eine Hauptforderung des "Zentralen runden Tisches"

Einen wichtigen Impuls für den Workshop lieferte ein zweiter Zeitzeuge, Dr. Jan Hofmann vom LISUM in Berlin/Brandenburg. Jan Hofmann hat seinerzeit in der Bewegung "Aktionsbündnis Bildung und Erziehungsreform - ABER" Forderungen nach einem demokratischen Bildungswesen am damaligen "Zentralen Runden Tisch" in der dortigen "Arbeitsgruppe Bildung, Erziehung, Jugend" konzipiert und vertreten. Danach war er im Aufbau eines demokratischen Bildungswesens und einer zugehörigen Administration in Brandenburg beteiligt. Mit neun Prinzipien zur Erneuerung des Bildungswesens forderte der "Zentrale Runde Tisch" seinerzeit vor allem Chancengleichheit für die Entwicklung eines jeden Menschen entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten und damit eine schulpolitische Anspruchsposition, die Individualität, Freiheit und Gerechtigkeit – mithin zentrale Grundlagen demokratischer Gesellschaften – zu Leitprinzipien erhoben hat.

Von der Demokratieforderung zur Demokratieskepsis

Laut aktuellen Befunden jedoch sei das Verhältnis der Bevölkerung zum demokratischen System gerade in den neuen Bundesländern "signifikant negativer" geworden. Außerdem fühlten sich Menschen aus Ost und West einander immer noch fremd. Der Anteil der politischen Bildung in den Schulen entspricht zudem noch lange nicht den in der KMK getroffenen Vereinbarungen – und das gelte nicht nur im Osten der Republik. Hier könnte, so Jan Hofmann, auch ein Grund dafür liegen, weshalb Schülerinnen und Schüler generell kaum Kenntnisse zur deutschen Teilung und Wiedervereinigung haben, weshalb also dieser eigentlich enorme historische Transformationsvorgang nicht die prägende Beachtung finde, die er für eine solide Bildung und Erziehung zur Demokratie als Wert überhaupt verdiene.

Daneben stellte Hofmann Ergebnisse einer Schulinspektion bzw. -visitation in Berlin und Brandenburg vor. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sowohl Schwächen im Unterricht als auch in der Schulkultur vorliegen: Demokratielernen hat noch nicht alle Schulen erreicht oder bestehendes Potenzial bleibt ungenutzt. Diese Differenz müsse man jedoch im Kontext der Entwicklung letzten 20 Jahre betrachten: Während bis 1989 in der DDR darauf Wert gelegt wurde, das "richtige" – also ein marxistisch-leninistisches – Geschichtsbild zu vermitteln, soll heute bei den Schülern das kritische historische Denken gefördert werden, das sich mit Multiperspektivität, Kontroversität und Pluralität auseinandersetzt – wobei auch dieses Problem nicht nur ehemalige ostdeutsche Schulen betreffe. Gleichwohl tragen die unzureichenden Verhältnisse in diesem Lernfeld zu einer unterschiedlichen Demokratieentwicklung in Deutschland bei. Denn diese grundlegende Veränderung des Geschichtsunterrichtes hat sich noch nicht in allen Schulen oder bei allen Lehrern durchgesetzt: Noch immer setzen viele Lehrkräfte gerade in den Schulen der neuen Länder eher "auf Pauken, statt auf Denken". Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur werden im Unterricht kaum gepflegt.

Das LISUM wolle, genauso wie Demokratisch Handeln, Schulen, Schülerinnen  und Schüler motivieren, sich mit dem Demokratielernen stärker auseinanderzusetzen. Glücklicherweise, gibt es daher auch Schulen, die anderen Schulen ihre Schule als demokratischen Lebensraum aufzeigen und so einen Multiplikatoreffekt auslösen.

Demokratielernen – auch eine Sache der Elternhäuser

In einer anschließenden Diskussion merkten die Teilnehmer an, dass das Elternhaus stärker in die Schulkultur eingebunden werden müsse, mehr Kommunikation in der Lehrerschaft bestehen und eine Feedbackkultur etabliert werden müsse, um demokratisches Handeln im Schulleben und nicht nur im Geschichts- oder Politikunterricht zu fördern.

In Bezug auf das Thema "Ost-West" ließen die Teilnehmer ihre persönliche Perspektive einfließen. So mündete die Diskussion in ein Gespräch über die nach wie vor vorhandenen Differenzen in der Entwicklung zwischen den neuen und alten Bundesländern. Es wurde hervorgehoben, dass nach der Friedlichen Revolution der Osten dem Westen in vielen, vor allem wirtschaftlichen, Aspekten nachstand und dem Westen vielleicht sogar nacheiferte. Andererseits sei aber auch die "Ostalgie", die zwar sehr subjektiv gefärbt sei, aus heutiger Sicht partiell verständlich.

Trotzdem betonten die Teilnehmer, die aus den neuen und alten Bundesländern stammen, dass die These, derzufolge das Interesse des Ostens für den Westen immer viel größer gewesen sei als andersherum, vor allem einem Klischee entspringe und wenig reale Geltung habe.

"Ostdeutsch" als Differenz, als Fremdsprache: Ein heiterer Blick auf fehlende Integration

Jan Hofmann stellte den Workshopteilnehmern abschließend noch ein kurzes Video vor, in dem ein Azubi aus dem Westen der Republik seine Arbeit in der ostdeutschen Firma verrichtet. Er versteht jedoch den sächsischen Dialekt des Chefs nicht so recht. Der Chef wundert sich, warum der Azubi seine Aufgaben nicht richtig ausführt. Ein anderer Mitarbeiter weist den Arbeitgeber darauf hin, dass der Azubi kein "Ostdeutsch" könne. Daraufhin wird folgender Schriftzug eingeblendet: "Über 60 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig Ostdeutsch."

Dieser Videoclip veranlasste die Teilnehmer dazu, ein Resümee zu formulieren. Statt Konfrontation müsse man mehr auf Kommunikation setzen. Man solle nicht ständig Gegensätze hervorheben, sondern das Verbindende. Demokratiepädagogik in den Schulen sei dafür genau der richtige Ansatz. Im Programm Demokratisch Handeln selbst sei die Regionalberatung, die in westlichen wie östlichen Bundesländern besteht, ein produktives Mittel zur Bearbeitung dieser Differenz im Bewusstsein davon, dass für beide Landesteile die Zielrichtung eines bürgerschaftlich gehaltvollen Lernens für die Demokratie das Entscheidende sei.

(Linda Roeder, Jena, im November 2009)

 
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