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WS 03 - "Ich hätte nie geglaubt, das wir so viel bewegen können." Erfahrungen und Perspektiven für Demokratisches Handeln über die Schule hinaus

Für "Demokratie begeistern", das bedeutet in der Schule, auch neue Wege zu beschreiten, will man Engagement für die Gesellschaft aktivieren. Derart ragen die Projekte, die im Förderprogramm Demokratisch Handeln dokumentiert werden, oft über den Tellerrand und Binnenraum der Institution ‚Schule‘ hinaus. Und genau mit diesen Aspekten des Programms befasste sich der Workshop. Die leitenden Fragen:

  • Welche Folgerungen und Perspektiven ergeben sich aus den bisherigen Erfahrungen mit den Projekten?
  • Sind Forderungen an eine qualitative Fortentwicklung zu stellen?
  • Wären Kurskorrekturen vonnöten?

Vorab vergegenwärtigen sich die Teilnehmer nochmals die zentralen Ergebnisse und Fragen der Tübinger Programmentwicklungs-Tagung zum Förderprogramm von vor 20 Jahren. In der Dokumentation zur damaligen Diskussion in Tübingen hieß es: "Wenn wir davon ausgehen, dass Politik kein abgegrenztes und abgestecktes Feld außerhalb der Schule ist, lassen sich für eine ‚Schule der Demokratie‘ folgende Fragen aufwerfen:

  • Wie sehen Erfahrungsräume aus, in denen Kinder und Jugendliche sich selbst wiederfinden und in denen sie mit anderen und mit Erwachsenen zusammen einen ‚kooperativen Individualismus‘ erfahren und ausbilden können?
  • Wie müssen Schulen gestaltet werden, damit sie zum politischen Handeln einladen und politische Handlungsbereitschaft nicht als nutzlose Anstrengung erscheinen lassen?
  • Wie muss Unterricht aussehen, um nicht nur abstraktes Wissen, sondern erfahrungsgesättigte Einsicht vermitteln?
  • Wie können Rückzugsräume und Freiräume gestaltet werden angesichts der Erkenntnis, dass ein Zuviel an Politik und Engagement blind macht?"

Beispiel gebende Anschauungen

Anschauung zu diesen Fragen bieten zwei aktuell ausgezeichnete Beiträge aus dem Förderwettbewerb. Mit ihnen befasst sich die Workshopgruppe ausgiebig. So stellt Cornelia Lüttgau das Hamburger Projekt "Kontrapunkt" vor. Daran beteiligen sich 20 Schulen und 170 Schülerinnen und Schüler. Für das Jubiläumswochenende des Konzerthauses der Hansestadt, der "Laeiszhalle" entwickeln sie projektartig und im Verlauf eines gesamten Schuljahres eine moderne Klangcollage, die das Haus mit der Jugend verbinden und diese stärker als bislang in das Konzerthaus als öffentlichen Raum bringen sollte. Der avantgardistische Komponist Hans-Joachim Hespos führt dabei die Klang- und Raumregie. Intensiv arbeiten sich die beteiligten Schüler und Schülerinnen mittels dieser Person an einer ebenso modernen wie keineswegs unumstrittenen Musikauffassung ab, die bewusst in den öffentlichen Raum hineinwirkt und auch provozieren will. Auch ihr Auftritt bleibt nicht ohne kritische Resonanz.

Hans-Wolfram Stein berichtet indes vom Bremer Projekt "Das Recht anders zu sein". Schülerinnen und Schüler einer berufsbildenden Schule befassen sich darin mit den nach wie vor unterschwellig im Alltag wirkenden Ängsten und Vorurteilen gegenüber Homosexuellen. Ihre Studien dazu sind so umfangreich wie alltagsnah. Es kommt zu vielfältigen Kooperationen mit politischen Handlungspartnern. Ihre Ergebnisse tragen sie durch verschiedene Präsentationsformen in die Bremer Öffentlichkeit. Die mediale Resonanz darauf ist überwältigend. Insgesamt führt das Projekt die beteiligten Schüler – oft solche mit Migrationshintergrund - an so manche Grenze ihrer bisherigen Erfahrungen.

Bestätigungen...

Beide Beispiele, so sind sich die Teilnehmer einig, stehen für engagierte Partizipation. Sie sind zwar schulisch verankert, ragen aber über die Schule hinaus. Sie öffnen das Feld des Erfahrungslernens zur aktuellen Politik, zur großstädtischen Öffentlichkeit und damit in eine politisch gehaltvolle Ebene, das Hamburger Projekt konfrontiert die Jugendlichen mit der bürgerlichen Hochkultur und zugleich mit einem der zentralen öffentlichen Räume einer gewachsenen Stadtkultur. Beide Projekte erzeugen eine hohe Motivation sowie Identifikation mit dem Projektinhalt, dessen Zielen und den gewählten Arbeits- und Auftrittsverfahren. Der Zugewinn an Kompetenzen ist unbestritten für die beteiligten Schüler. Wiederholt kommen von ihnen so erstaunte Reaktionen wie: "Und das alles haben wir geleistet?" oder: "Ich hätte nie geglaubt, dass wir so viel bewegen können."

.. und Problemzonen

Doch die Projekte verdeutlichen auch "Problemzonen" und Ungeklärtes. Beide Male steht der Projektverlauf auf der Kippe. Durchhaltevermögen, Konfliktfähigkeit, aber auch eine kreative wie gegenseitig faire Nach-Justierung von Zielen, Aufgabenverteilungen und Anteilen bei den öffentlichen Präsentationen waren und sind in aller Regel erforderlich. Solche Projekte führen nicht nur die Schülerinnen und Schüler an Grenzen (und über sie hinaus!). Auch die Lehrkräfte sind stärker gefordert, als es ihnen ihre reguläre fachorientierte Ausbildung als Qualifikationen mitgibt. Projekte demokratischen Handelns sind für Lehrende so gesehen auch eine Art "training on the job", der nur in einer stützenden, fördernden, anerkennenden schulischen Umgebung wirklich erfolgswirksam und prägend für die pädagogische Professionalität der Kolleginnen und Kollegen sein kann. Noch zu klären bleibt ebenso der tatsächliche Zugewinn an nachweisbarer Demokratiekompetenz sowie eine Reihe weiterer Fragen wie etwa:

  • Was ist Binnenperspektive?
  • Was ist eher von außen als Maßstab angelegt?
  • Wie lassen sich diese konstituierenden Merkmale verifizieren, sodass sie die Projektarbeit noch stärker demokratiepädagogisch prägen?
  • Und ‚last but not least‘: Wo bleiben die wichtigen und engagierten Jugendprojekte, die nie die Schule von innen sehen?

Die Ergebnisse und Thesen

Die Erfahrungen der Projekte und die ausgiebige Diskussion wurden in einer Reihe von Thesen zusammengefasst:
  • Schülerinnen und Schüler sind sehr wohl in der Lage, einen aktiven Beitrag für gesellschaftlich relevante wie aktuelle Themen zu leisten. Es fördert ihre Motivation und stärkt ihre Persönlichkeit.
  • Das Potenzial für solche Projekte ist in den Schulen in der Regel längst nicht ausgeschöpft.
  • Auch die Lehrkräfte brauchen eine noch größere Unterstützung, will man Projekte demokratischen Handelns fördern. Es wird angeregt, hierzu spezielle Workshopangebote bei der Lernstatt Demokratie einzurichten, die sich mit dieser praktischen Dimension von Projektarbeit im öffentlichen Raum befassen.
  • Ebenso wichtig sind derartige Elemente in der Lehrerausbildung wie in der Lehrerfortbildung. Bislang kommen Forschendes Lernen und Projektarbeit in diesem Bereich immer noch zu kurz.
  • Das jugendliche Engagement für die Bürgergesellschaft ist umfassender, als es Schulen alleine abbilden können. Angeregt wird deshalb auch, Projekte aus der Freizeit und Jugendarbeit in das Förderprogramm zu integrieren. Sie wären, so die einhellige Meinung, eine Bereicherung für alle Beteiligten.

(Heinfried Tacke, Berlin, im November 2009)

 
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