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WS 01 - "Demokratisch Handeln" - Was heißt das im Unterricht?

Im Zentrum des Eingangsstatements von Kurt Edler standen fünf Thesen zum demokratischen Handeln im Unterricht, die hier nachgelesen werden können. Bei diesen einleitenden Vorbemerkungen löste vor allem Edlers "psychologische Vorbemerkung" "(d)ie Schule der Demokratie verlangt von den in ihr tätigen Erwachsenen ein aufgeklärtes, unneurotisches Verhältnis zur Machtfrage. Unsichere Menschen […] sollten keine Lehrer werden" eine rege Diskussion über die Qualifikationen angehender Lehrer aus. Konsens war, dass sich Lehrerinnen und Lehrer während ihres Studiums frühzeitig ausprobieren müssten, um ihre Berufsvorstellungen anhand der Erfahrung von Schulrealität in der Lehrerrolle zu überprüfen. Durchaus kontroverse Positionen wurden sichtbar: Dem Standpunkt, dass gute junge Lehrer von den in der Lehrerbildung tätigen Professoren, Seminarleiter, schulischen Mentorinnen und Mentoren sofort erkannt werden könnten, stand die Position gegenüber, dass es arrogant sei, zu denken, man könne gute junge Lehrer sofort erkennen und dabei gleichzeitig diejenigen aussortieren, die nicht zu den Guten gehörten. Zu bedenken sei überdies, dass es vielmehr eine positive Entwicklung innerhalb der Anfangsjahre des Berufslebens junger Lehrer nachweislich und in der Mehrheit gebe. Dies wiederum erfordere in jener Phase eine intensive Betreuung durch die Lehrerbildung.

Das Paradoxon von Demokratie und Schule traf Gerhard Himmelmann die Meinung der Workshop-Teilnehmer über dieses Begriffspaar sinngemäß mit den Worten: "Alle Schulgewalt geht nicht von den Schülern aus, sie sind nicht souverän. Die Schule ist eine staatliche Anstalt. Aufgrund der Schulpflicht können Schüler mit Zwang dem Unterricht vorgeführt werden." Dennoch macht die aktuelle Diskussion zur demokratischen Schule selbst in der Kultusministerkonferenz sowie in der Pädagogik in Wissenschaft und Praxis unter dem Stichwort und Konzept der "Demokratiepädagogik" Hoffnung auf mehr Demokratie in der Schule.

Demokratiepädagogik ganz praktisch, kaum mit Büchern, gar nicht mit Belehrung!

Ausgehend von seiner Projektarbeit mit Schülerinnen und Schülern, die den üblichen wort- und symbolhaltigen Medien und Vermittlungsformen von Politischer Bildung und Demokratie gegenüber kaum Zugang finden, muss sich Demokratieerfahrung und Demokratiepädagogik andere Wege suchen, wenn diese Schülerklientel nicht ausgeschlossen werden soll. Ein aktueller Anlass - die Ablehnung eines Asylantrags eines der Schüler und dessen Verschwinden aus der Öffentlichkeit - waren Ausgangspunkt früher Filmprojekte, die den mit dem Asylrechtsgebrauch in Deutschland entstehenden Konflikt in der Schule aufgegriffen haben. Michael Ridder betonte, dass bei der Projektarbeit für "[…] uns Lehrer die Themen auf der Straße liegen. Als Lehrer muss man nur sensibel genug sein, um diese aufzugreifen, man muss ein Gespür dafür haben."

So auch bei dem von seinen Schülern produzierten Film "Wo ist Sindbad?". Nachdem Michael Ridder aufgrund des längeren Fernbleibens seines Schülers Sindbad fragte, ob die anderen Schüler wüssten, wo dieser sei, kam er mit Fingerspitzengefühl darauf, dass Sindbad untergetaucht war. Sindbad und seine Familie sollte abgeschoben werden. Heraus kam ein Film über Abschiebung und das Leben von Migranten und Migrantinnen in Deutschland. Ridder hat die Erfahrung gemacht, dass man für eine erfolgreiche Projektarbeit in der Schule Unterstützung durch Kollegen, einen langen Atem gegenüber der Schulleitung und den Mut, "auch mal Dinge aus dem Lehrplan wegzulassen" haben muss. Das Engagement eines Lehrers in der Projektarbeit stärke die Akzeptanz eines Lehrers bei den Schülern und "trockenere Phasen im Unterricht können so leichter überwunden werden". Es gibt also einen positiven Effekt der Projektarbeit auf den Unterricht. So ändere sich neben dem Unterricht auch das Verständnis eines Lehrers von seiner eigenen Rolle. Dies wiederum wirke sich positiv auf die Projektarbeit aus. Es bestehe damit eine positive Wechselwirkung zwischen dem Unterricht, der Projektarbeit und der Lehrer-Rolle.

Weiterhin könne die Schule für die Schüler nicht zuletzt durch Projektarbeit eine dauerhafte Bindung darstellen, einen "festen Halt" bieten und ihnen einen persönlichen Sinn geben. Denn die meisten solcher Schülerinnen und Schüler in Klassen und Gruppen mit einer hohen Dichte an schwierigen sozialen Situationen lebten immer mehr in nicht-dauerhaften familiären Beziehungen und Strukturen.

Biologie praktisch machen heißt: politische Konsequenzen in der Kommune demokratisch durchsetzen

Ulrich Dellbrügger arbeitet in Schüler-Projekten hauptsächlich im Feld biologisch-ökologischer Themen. Dabei steht der Einsatz für den Naturschutz an vorderster Stelle. Biologie wird so zu einer praxiswirksamen Wissenschaft und Einsicht von der Verantwortung  des Menschen für die Natur im Spannungsfeld von wirtschaftlicher und technischer Entwicklung. Auch Dellbrügger betonte die individuelle Bindung von Projektchancen, das Situative an der Gelegenheit, ein im Nachhinein gesehen gutes und demokratierelevantes Projekt zu gestalten: Oft entstünde aufgrund der Initiative eines Schülers oder einer Schülerin ein ganzes Projekt. So war das beispielhaft an einem Projekt der Biologie-AG für die Installation von Krötentunneln in einem neu erschlossenen Soester Wohngebiet. Hier engagierten sich die Schülerinnen und Schüler eines Biologie-Kurses Dellbrüggers im Stadtrat Soest für den Bau solcher Tunnel und waren damit erfolgreich.

In einem anderen Projekt setzten sich die Schülerinnen und Schüler im Stadtrat für den Schutz eines Brut-Gebiets vieler Vogelarten ein. Es kam dabei sogar zur Konfrontation mit den Rechtsanwälten der Gegenpartei. Dellbrügger schilderte eindrucksvoll diese Realsituationen des Lernens im kommunalpolitischen Ernstfall: Nach kurzer Unterbrechung der Sitzung zur Beratung des weiteren Vorgehens mit seinen Schülern, machten diese ihm ohne Zögern deutlich, auch eine solch ernste Konfrontation nicht zu scheuen. Die Sitzung wurde deshalb weitergeführt und der entschiedene Einsatz zahlte sich letztlich aus, denn das Gebiet blieb unter Naturschutz. Diese Art von Engagement und Einsatz schaffe bei den Jugendlichen ein Gefühl von Stolz und sie stärke den Zusammenhalt sowie die Kooperation untereinander. Zudem handele es sich dabei um ein "Lernen mit Ernstcharakter, es ist also welthaltig, um es mit den Worten von Peter Fauser auszudrücken", betonte Ulrich Dellbrügger. Zudem lernten die Schüler, ihre Standpunkte durchzusetzen und sich öffentlich zu präsentieren: "Wenn die Schüler im Stadtrat erfolgreich umweltpolitische Forderungen durchsetzen konnten, ist doch die mündliche Abiturprüfung für sie ein Klacks", folgerte der erfahrene Pädagoge auch auf mit diesem Lernen einhergehende Erfahrungen für schulisches Lernen generell. Mehrere Fernsehberichte über die Projekte der Biologie AG des ConvoS-Soest belegen den Erfolg, den sie damit haben.

Projekte für den Naturschutz finden auch auf internationaler Ebene statt. Die Schüler arbeiten mit europäischen Partnerschulen zusammen, um Belange des Umweltschutzes voranzubringen, die grenzüberschreitend eine Rolle spielen. So entstehen Aufenthalte in Nachbarländern, bei denen "Schüler wirklich miteinander arbeiten, anstatt nur ihre Besuchsprogramme getrennt voneinander durchzuführen." Es komme durch das Miteinander-Arbeiten zu einem engeren Kontakt zwischen den Schülern, als es bei "normalen" Auslands-Besuchen der Fall ist.

Unterricht als Startpunkt und die projektdidaktische Reform der Lehrerbildung

Insbesondere die beiden Projektleiter haben betont, wie wichtig für solche innovativen und situationsnahen Ansätze des Lernens die unterstützende und anerkennende Wirkung von Wettbewerben wie Demokratisch Handeln sei. Das würde dabei helfen, das Prestige von Schüler-Projekten in der Öffentlichkeit zu erhöhen und einen vermittelbaren Eindruck von der Qualität des damit verbundenen  Lernens nach zu geben. Zugleich hat der Workshop aber einmal mehr deutlich gemacht, dass Demokratielernen im Fachunterricht Ausgang nehmen kann, insbesondere aber dann, wenn in der politischen Realität der Kommune beispielsweise mitgestaltet, mitentschieden und mitbestimmt wird, dann ist das übliche enge Zeit-, Raum- und Didaktikkonzept des Fachunterrichts schnell zu eng und wird überschritten. Dennoch war allen Diskutanten wichtig, die enge Wechselwirkung von Unterricht und daraus resultierenden erweiterten Lern- und Lehrformen zu betonen: Demokratiepädagogische Projekte verändern den Unterricht, sie sind aber nichts generell Konträres, sondern eine systematische Erweiterung. Gerade das aber müssten auch Lehrerinnen und Lehrer in ihren professionsspezifischen Teilen der Lehramtsstudiengänge stärker vermittelt bekommen als das in der Regel noch der Fall ist!

(Matthias Brock, Jena, im November 2009)

 
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