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Michael Retzar sieht viele Wege, um politisch aktiv zu werden. Für ihn ist es eine Verpflichtung, Demokratie als Lebensform und als Gesellschaftsform immer wieder zu erneuern. Retzar möchte in Schulen und bei Lehrern Begeisterung für Demokratie wecken. Bereits in der Lehrerbildung sollten alle Lehramtsstudierenden Konzepte und Erfahrungen der Demokratiepädagogik kennen lernen und in der Schule sowie diesen Ausbildungsphasen eben auch selbst Demokratie erleben können; verhaltene Kritik an der tradierten Lehrerbildung war hier zu spüren. Retzar spricht sich für eine Mischung von repräsentativer und direkter Demokratie aus. Mehr direkte Demokratie gebe dabei Anlässe, um sich mit politischen Angelegenheiten auseinanderzusetzen. Durch Beschluss der KMK etwa sei ja jetzt auch das Thema Demokratiepädagogik auf dieser Ebene in Gang gekommen. Das Ganze scheine gegenwärtig allerdings auch wieder an Schwung zu verlieren. Marion Walsmann wies aufgrund dieser Einschätzung deutlich darauf hin, dass die Demokratiepädagogik ein Eckpunkt für Bildungspolitik in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD in Thüringen sei. Man müsse jetzt natürlich erst mal die neue Thüringer Regierung abwarten.

Rahmenbedingungen für Demokratie in der Schule seien vorhanden, formuliert Peter Fauser seine Ausgangsthese. Doch die formalen Strukturen allein erzeugen keine Begeisterung für Demokratie. Sie seien zu weltfern im Alltag der an der Schule Beteiligten. Begeisterung für Demokratie entstehe vielmehr aus einer Mischung von persönlicher Motivation und günstigen Rahmenbedingungen. Dies ergebe sich beispielsweise in der Schule durch "wirkliche Aufgaben", für die sich Kinder und Jugendliche engagieren und bei denen sie zugleich lernen, politisch zu handeln. Solches Engagement müsse aber auch Erfolge zeigen, sonst gehe es über den Moment nicht hinaus. Weitere Rahmenbedingungen sind aus Fausers Sicht die "gelebte Anerkennung" und ein "achtungsvoller Umgang in der Schule". Demokratie leben müsse ein Selbstverständlichkeit sein, worüber man nicht erst zu reden brauche.

Warum sind andere von Demokratie weniger begeistert?

Hildegard Hamm-Brücher hält die heutige Demokratie für vitaler und stabiler als noch in den ersten Jahren der Bundesrepublik. Viele Menschen hätten jedoch den Eindruck, alles sei schlecht und die Politik würde nicht helfen. Die nachlassende Wahlbeteiligung führt Hamm-Brücher auf einen Wahlkampf zurück, der die Leute nicht angesprochen habe. "Parteien fehle es an Attraktivität", kontert Michael Retzar. Die Parteiendemokratie solle deshalb erneuert werden, beispielsweise durch andere Formen von Kommunikation und basisnahe Entscheidungsprozesse. Die Menschen sollten auch "ohne großen Marathon" politisch aktiv werden können. Auch das hohe Wahlrechtsalter würde engagierte Kinder und Jugendliche von wirklich politischen Aktivitäten abhalten. Retzar fordert – mit einem gewissen Mut zur Alternative, gar zur Utopie – ein Wahlrecht von Geburt an.

Peter Fauser erinnert daran, dass seine Generation sich aufgrund der lebensbiografisch angelegten Differenzerfahrungen in Familie und Gesellschaft für mehr Demokratie engagiert habe. "Demokratie war damals ja nicht wirklich überall gewollt", sie sei zwar alternativlos gewesen, gleichwohl wäre die Elterngeneration der 1948er natürlich auch im Nationalsozialismus groß geworden – der eine oder andere bekanntlich auch als Täter. Die heutige Generation erlebe Demokratie hingegen als etwas Entgegenkommendes. Zudem hätten sich viele Menschen an die bestehenden Verhältnisse gewöhnt. Das sei nicht unproblematisch. So lassen sich nicht alle für mehr Demokratie in der Schule begeistern. Zu stark sei die Macht der Gewohnheit. Fauser meinte allerdings auch , dass man "tauben Ohren nicht predigen müsse." Das sei Energieverschwendung. Hier kam nun doch eine kleine kontroverse Debatte in Gang: "Lehrerinnen und Lehrer brauchen eben Fortbildungen in Sachen Demokratiepädagogik", verlangte Hildegard Hamm-Brücher, die Lehrerkräfte eines der freiheitlichen Demokratie verbundenen Gemeinwesens "seien zur Loyalität durch Tat und Haltung gegenüber der Demokratie gebunden", so die Altliberale weiter, "denn was passiert denn sonst mit den Kindern?", gab sie zu bedenken. Auch Marion Walsmann hält es für falsch, alle einfach "machen zu lassen, die nicht wollen". Stattdessen solle man sich ernsthaft um jeden bemühen, jeden und jede für die Chance der offenen Gesellschaft und für die Demokratie zu gewinnen, bevor dieser auf Mittun, Werthaltung und Verantwortlichkeit angewiesenen Staats- und Gemeinschaftsform die loyalen Mitglieder entgleiten oder zu gering werden.

Das Oszillieren zwischen "Begeisterung für die Demokrati"“ und der darin inhärenten Skepsis gegenüber einer normativen Beteiligungsidee, die alle in die Pflicht oder gar in Zwang nimmt, ist nicht alleine nur ein Leitmotiv dieses interessanten und inter-generativen Abends – zwischen dem jüngsten Teilnehmer und der ältesten Teilnehmerin klafft eine Lebens- und Erfahrungsspanne von immerhin 70 Jahren –, sondern kennzeichnet die gegenwärtige Debatte über Demokratie in den  Sozial- und Politikwissenschaften ebenso wie in den kritisch engagierten Medien und Zeitungen. So gesehen war diese Runde ziemlich nah am Puls der Zeit.

(Veit Polowy, Leipzig)

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