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"Begeisterung für Demokratie? Erziehung vor und nach der Wende – Fragen an Politik und Pädagogik" Ein Podiumsgespräch

 

Bei einem pädagogischen und politischen Podium am ersten Abend der Tagung trafen – unter der bewährten Moderation von Kate Maleike, der Bildungsjournalistin des Deutschlandfunks - verschiedene Erfahrungen, Sichtweisen und Handlungsebenen des Engagements um eine demokratische Schule aufeinander. Gäste waren Dr. h.c. Hildegard Hamm-Brücher, Mitbegründerin und "Grande Dame" auch des Förderprogramms, die über die Jahre in außergewöhnlicher Treue und mit großem, zeitlichem Engagement dessen Geschicke mitgestaltet und durch ihre Präsenz gegenüber den Teilnehmern auch politisch und ethisch mitverantwortet hat. Weitere Gäste waren die Justizministerin in Thüringen, Marion Walsmann, eine beredte Zeitzeugin der politischen Wendezeit im Übergang von der ehemaligen DDR zum geeinten Deutschland und Prof. Dr. Peter Fauser, der wissenschaftliche Leiter und Begleiter des Unternehmens. Eine jugendspezifische Perspektive haben dabei Michael Retzar, ein Student und engagiertes JuSo-Mitglied – zugleich auch stud. Mitarbeiter am Jenaer Lehrstuhl für Schulpädagogik – sowie Wieland Krispin eingenommen, ein Schüler der  IGS Erfurt, der zudem bereits in der Jury des Förderprogramms mitgearbeitet hat sowie als Landessieger Thüringens im Wettbewerb „Jugend debattiert“ sich engagieren konnte.

Die persönliche Begeisterung für Demokratie hat unterschiedliche biografische Hintergründe.

Hildegard Hamm-Brücher ist 1946 in die Politik gegangen, um sich "am zweiten Anlauf" um die Demokratie in Deutschland, wie sie es formulierte, zu beteiligen. Ihre Motive sind zeitgeschichtliche Erfahrung pur: Der Weimarer Republik mangelte es an überzeugten Demokraten und aus ihrer Sicht verinnerlichten die Menschen damals kaum die demokratischen Grundlagen: Demokratie war in Weimar kein Wert, kein wirkliches Ziel! Ihr "Ur-Demokratie-Erlebnis" habe sie in den Jahren 1949-50 gehabt, als in Boston Bürgermeisterwahlen stattfanden und sie in ihrem amerikanischen Studienaufenthalt diese demokratische Wertorientierung kennengelernt habe. Da in Boston ein korrupter Politiker immer wieder gewählt worden sei, wollten die Studierenden etwas ändern und unterstützten einen Gegenkandidaten. Dieser entschied schließlich die Wahl für sich. "Alle waren begeistert", so Hamm-Brücher und sie hatten zuvor nicht über den Staat und das System geschimpft, "sondern die Sache ganz selbstverständlich in ihre Hand genommen".

Marion Walsmann, Justizministerin in Thüringen, hat die DDR-Diktatur bewußt erlebt. Die Volkskammer der DDR sei eine reine "Schaudemokratie" gewesen. Das Wende-Jahr wiederum habe sie als "beschleunigte Zeit" erlebt, in der sich die Ereignisse überschlugen: Öffnung der Grenze zwischen Österreich und Ungarn, die Botschaftsflüchtlinge, Montagsdemonstrationen in Leipzig, der "ideologische Mief" des ganzen Landes seinerzeit. Es habe eine "explosive Stimmung" geherrscht. Sie erinnert sich an die Kerzen, die symbolische Oberhand des Wunsches nach gewaltfreiem Wandel und an den Wunsch, "etwas verändern zu wollen". Am Runden Tisch wurden erstmals freie Wahlen vorbereitet, "aber so richtige Demokratie-Erfahrung hatte von uns niemand. Der Runde Tisch war für uns ein Lernprozess. Und das in jeder Sitzung", so Walsmann weiter, die in Blick auf Fragen der Verfassung als Juristin Mitglied am Zentralen runden Tisch gewesen ist. Sie sei bis heute begeistert davon – so Walsmann –, dass der Weg für freie Wahlen gewaltfrei eröffnet wurde. Sie und ihre Mitstreiter wollten frei und selbst bestimmt sein und Verantwortung übernehmen. Deshalb sei sie bis heute stolz darauf, am Anfang, 1989, etwas auf dem Weg in die Freiheit mitgestaltet zu haben.

Michael Retzar, Student und JuSo-Mitglied in Jena, engagiert sich aus einer ganz anderen (strukturell letztlich doch ähnlichen) Motivlage in der Politik – auch wenn er weder Krieg noch die DDR als biografische Erfahrung bezeugen kann. Er sei eher spielerisch in der Demokratie groß geworden. Angesichts der zunehmenden Ausbreitung des Rechtsextremismus auch in seiner Heimatregion sei in ihm das Bedürfnis gewachsen, sich politisch zu engagieren. Zudem wollte er als Jugendlicher einen Oberbürgermeisterkandidaten – den derzeitigen Amtsinhaber – in Jena unterstützen. Michael Retzar engagierte sich zuvor bereits im Schülerrat seiner Herkunftsstadt sowie im dortigen Kinder- und Jugendparlament. Mit 16 Jahren trat er in dann die SPD ein.

Wieland Krispin, Thüringer Landesgewinner beim schulbezogenen Gruppenwettbewerb "Jugend debattiert" und Schulsprecher der Integrierten Gesamtschule Erfurt, bringe sein politisches Interesse von zu Hause mit, wie er sagte. Sein Vater habe ihn da stark beeinflusst. Er sei begeistert davon, wie über Kommunikation aus Worten gemeinschaftliche Idee werden könnten: "Es ist toll, was man erreichen kann, wenn man Schülern den richtigen Anstoß gibt".

Wie lassen sich andere für Demokratie begeistern?

Hildegard Hamm-Brücher hält es für eine Illusion, zu hoffen, dass alle Menschen von Demokratie begeistert sein müssten, das könne nicht der Zielanspruch sein. Es solle niemand zur Beteiligung gezwungen werden, denn das käme einer diktatorischen Verhaltensvorgabe gleich. Entscheidend seien Aufklärung über Möglichkeiten der Teilnahme, über den sozialen und auch psychischen Gewinn verantwortlicher Teilnahme am Gesamtwesen für die Verbesserung der Verhältnisse von Demokratie, Politik und Partizipation. Denn auch wenn sich schon Vieles verbessert habe, gebe es in der deutschen Demokratie noch viele Defizite. So habe die Bildungspolitik immer noch einen zu geringen Stellenwert, obwohl sie eigentlich die oberste Priorität verdiene. Demokratiepädagogik versteht Hamm-Brücher als ein Programm der Schulentwicklung und der Bildungsreform zugleich: Neben der Verbesserung der Qualitätsverhältnisse von demokratischer Atmosphäre und Lernqualität im Einzelfall trete genauso die Erfordernis auf, Beteiligung und Gerechtigkeit im Schulsystem insgesamt zu optimieren. An den Schulen solle hierbei Demokratie als Lebensform verwirklicht werden. Gemeinsam mit Peter Fauser werde sie sich demnächst mit Bundespräsident Horst Köhler treffen, um auch darüber zu sprechen, so Hamm-Brücher. Im Übrigen meine die erfahrene Politikerin auch, dass Deutschland endlich mit Elementen und Formen der direkten Demokratie beginnen solle: Die Schweiz gebe dafür ein gutes Beispiel.

Für Marion Walsmann steht die Idee und das Konzept der Demokratie als Begriff, Metapher und praktische Aufforderung für "Mitgestalten und Mitentscheiden". Auch wenn es anstrengend sei, funktioniere Demokratie letztlich doch nur mit Leuten, die mitmachten. Es brauche "kritische Geister und Leute, die sich trauen nachzufragen, statt die Dinge einfach hinzunehmen." Schule solle deshalb Schülerinnen und Schüler zu selbstständigen Menschen erziehen, die Fragen stellen könnten. Schule solle Raum dafür lassen, demokratisches Gestalten einzuüben und zu erfahren. Es gebe doch schon heute mit den Vereinen vor Ort oder den Stadt- und Kommunalparlamenten viele Gelegenheiten, um sich zu engagieren. Von Zeitzeugen könnten Schülerinnen und Schüler zudem immer noch über Diktaturen in Deutschland und die politisch-gesellschaftliche Gewaltverbrechen des Holocaust erfahren. Die Bürgerinnen und Bürger sollten ihr politisches Wahlrecht nicht verschenken, weil sonst Extremisten an die Macht kommen könnten. Im Wahlkampf zudem sollten sich aus Sicht der Ministerin und auch der Wahlkämpferin Walsmann die Kandidaten und Parteien so präsentieren, dass klar werde, welche Position man vertrete und worin Unterschiede bestehen. Walsmann hält die vorhandenen Elemente direkter Demokratie wie Bürgerhaushalt und Bürgerbegehren für ausreichend. Sie müssten nur endlich auch von der Bürgerschaft genutzt werden.

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