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Zwischen den elementaren Vorträgen: Diskussionen und Gespräche

Unübersehbar haben die drei großen Vorträge einen gemeinsamen Bezugspunkt in ihrer perspektivenvarianten Begründung. Sie diskutieren das Ziel der Schulqualität in Blick auf ein pädagogisches Schulethos und auf der Basis von politischem und bürgerschaftlichem Engagement durch Zeit, Professionalität, Politik und Geld. In Hinsicht auf eine solche Qualitätstheorie von Schule haben zwei die Tagung bereichernde Podiums-Gespräche zur Schulreform und Schulqualität sowie zur Frage von Aufgabe und Wirkungskreis bürgerschaftlichen Engagements von Stiftungen und Initiativen in diesem Feld eine wichtige Ergänzung bieten können.

Unter dem Motto „Lebenserfahrungen und Lebenszeugnissen“ haben in einer morgendlichen Runde drei Führungspersonen von Reformschulprojekten miteinander gesprochen: Gisela John, Leiterin der Jenaplan-Schule in Jena, Wolfgang Harder, langjähriger Leiter des Landerziehungsheimes Odenwaldschule sowie früherer Geschäftsführer der LEH, und Enja Riegel, vormals Leiterin der Gesamtschule Helene Lange in Wiesbaden und aktuelle Mitbegründerin einer neuen freien Schulinitiative, dem „Campus Klarenthal“, ebenfalls in der hessischen Landeshauptstadt.

Dieses natürlich auch von biographischen Prägungen unterlegte Gespräch hat interessante Aspekte reformpädagogischer Praxis aufscheinen lassen. So wurde von Gisela John unterstrichen,  dass die Dynamik der Veränderung Anfang der 1990er-Jahre bei der deutschen Wiedervereinigung nicht nur Bereicherung erbracht, sondern auch manche Wahrnehmung zugedeckt oder verzerrt habe: „Ich musste begreifen, dass die Reformschule auch in Westdeutschland nicht der Normalfall war und ich musste verstehen lernen, dass wir in Mitteldeutschland – vor dem Hintergrund der DDR-Einheitsschule – zwar Gerechtigkeit wollten, aber dabei zu sehr nach dem Gymnasium verlangt haben, das in der ehemaligen DDR eben nicht allen lernstarken Schülerinnen und Schülern offenstand“, argumentierte die Jenaplan-Schulleiterin. Dabei ist sie von ihrem Leitmotiv nicht abgerückt, demzufolge „jede Schule versuchen kann, jedem Schüler und jeder Schülerin gerecht zu werden“.

Wolfgang Harder hat daran erinnert, dass die reformorientierten Landerziehungsheime zwar gute Erziehungsarbeit geleistet haben und leisten, aber immer wieder die Frage bearbeiten müssen, „wie auch gute Unterrichtsqualität sichergestellt werden kann“. Vielfältige Initiativen sind hierfür ergriffen worden, zuvorderst der Reformschulverbund „Blick über den Zaun“, der seit über 15 Jahren die Entwicklungsqualität wechselseitiger Schul- und Unterrichtshospitationen hervorhebt, denn – so Harder – „Erfahrung entsteht, wenn man sich wechselseitig besucht“.

Enja Riegel wiederum betont, dass es schon jetzt für jede Schule sehr viele Freiräume gibt, die eben durch engagiertes und professionelles Handeln im Sinne von Schulqualität aktiv genutzt werden müssen. „Der Wandel der Helene-Lange-Schule vom Gymnasium zur Gesamtschule vollzog sich innerhalb des Regelschulsystems mit anfangs der Duldung, später der Unterstützung der Schulverwaltung“, sagt sie. Viele Einwände und Befürchtungen entsprächen eher vorweggenommenen Hinderungsgründen und Ängsten der Personen, die in der Schule nicht wirklich etwas Neues wagen wollten. Dabei sei es immer um eine nicht technokratische Form der Gesamtschule gegangen, die eben nicht nur nach äußeren Kriterien differenziere, sondern pädagogisch und individualisierend arbeite, „denn als Gesamtschullehrerin war ich maßlos davon enttäuscht, dass in den Gesamtschulen der ersten Generation niemand wusste, wie man mit den Unterschieden bei den Kindern umgeht“.

Alle Beteiligten – auch die Kommentatoren Heike Kahl und Helmut Frommer – haben dabei das enge Beratungs- und Entwicklungsverhältnis zwischen begleitender wissenschaftlicher Reflexion und praxisnahem Ideenfundus hervorgehoben. Sowohl Anregungen als auch kritisch fragende Korrektive würden dabei sichtbar und zeigten, wie effektiv die Kooperation zwischen universitärer Schulpädagogik und praktischer Reformpädagogik sein könne.

Eine weitere – durch die Rundfunkjournalistin Kate Maleike moderierte – Diskussionsrunde hat sich dem Verhältnis zivilgesellschaftlichen Engagements von Initiativen und Stiftungen zur staatlichen Aufgabe im Bildungswesen gewidmet. Hierbei hat sich natürlicherweise auch die vielfältige Verknüpfung der reformpädagogischen Entwicklungsarbeit für die Schule am Fauserschen Lehrstuhl mit den Partnern aus der Stiftungs- und Vereinswelt widerspiegeln können. Nicht nur die großen Eigenprojekte – wie die IMAGINATA und das Förderprogramm Demokratisch Handeln – sind in Vereinsform etabliert, sie bedürfen von Anbeginn ihrer praktischen und wissenschaftlichen Wirkung auch der Partnerschaft und Förderung durch Stiftungen. Günter Gerstberger, Bereichsleiter Bildung der Robert Bosch Stiftung GmbH, die gegenwärtig das Entwicklungsprogramm für Unterricht und Schulqualität (EULE) ebenso begleitet wie sie den vom Jenaer Lehrstuhl mit moderierten „Deutschen Schulpreis“ gemeinsam mit der Heidehof Stiftung verantwortet, verwies auf die Unabhängigkeit und Initiativkraft von Stiftungen gerade auch auf Bundesebene in Zeiten des gestärkten Bildungsföderalismus mit seinen desintegrierenden Nebeneffekten: „Stiftungen können bundesweit Akzente setzen und Bildungs-Themen etablieren, aber sie können natürlich nicht die Aufgabe und Verantwortung des Staates für das Bildungswesen schultern“. Heike Kahl, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung hat hervorgehoben, dass eine entscheidende Wandlung der letzten Jahre darin liege, „dass zwischen den im Bildungssektor tätigen Stiftungen ein Klima der Kooperation entstanden ist und vermehrt an die Stelle der früheren Konkurrenz tritt“. Daraus resultiere eine Stärkung von Einfluss und Gestaltungskraft der schul- und jugendbezogenen Stiftungen. Dass durch das Renomée etablierter Stiftungen zudem die Schulen und die für die Projektträgerschaft verantwortlichen Personen ermutigt werden, mehr zu wagen und zu riskieren, als im normalen Modus ihres Lehrerberufs, liege zudem auf der Hand – so Alexander Urban von der Heidehof Stiftung, die von Anfang an die IMAGINATA fördert.

Kurt Edler, Vorstandsmitglied der Dt. Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe) hat allerdings im affektiven Hochflug dieser Einschätzungen davor gewarnt, die Gestaltungskraft zivilgesellschaftlicher Initiative zu überschätzen. „Wir sollten uns da keiner Reichweiten-Illusion hingeben“, sagt Edler und hat dieses neue Wortgeschöpf sogleich dem Jubilar Peter Fauser gewidmet. Der – wenig verlegen – konterte sofort mit dem Bonmot, anstelle der Reichweiten-Illusion ermutige er gerne zu einer „weitreichenden Imagination“, also einer ideenreichen Vorstellungskraft, die sich nicht allzu früh angesichts begrenzender bildungspolitischer Realitäten mit dem Vorhandenen zufriedengeben sollte. So mischte sich verhaltene Anerkennung für die fortgeschrittene Einfluss- und Gestaltungsmacht von zivilgesellschaftlicher Initiative mit ebenso verhaltener Skepsis. Jan Hofmann, stellv. Vorsitzender der Akademie für Bildungsreform, und Kurt Edler haben unterstrichen, dass die Diskriminierung gegenüber Kindern in der alltäglichen Schulwirklichkeit – von der Leistungsbeurteilung bis zum Umgang mit Heterogenität im Unterricht – ein Alltagsproblem unseres Schulwesens bleibt, dem alle Stiftungsinitiative bislang wenig entgegensetzen konnte.

 
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