Direkt zum Inhalt springen

Sie befinden sich: Informationen » Veranstaltungen&Termine »

"Oberkante Unter-Lippe" - Engagement zwischen Umweltkrise und Phylogenese

Am einem spätsommerlichen Abend  Mitte September war am Conrad-von-Soest-Gymnasium wieder einmal die offensiv-selbstverständliche Art zu besichtigen, mit der an dieser Schule „Projektdidaktik“ mit „Demokratiepädagogik“ verknüpft wird. Mit einer Ergebnispräsentation und einem Symposium „Hochwassersschutz als grenzüberschreitende Aufgabe“ verband sich ein ehrgeiziges Abendprogramm, das nicht Selbstzweck war, sondern eine mehrfunktionale Veranstaltung, die verschiedene Aufgaben erfüllen musste: Das Projekt „Oberkante UnterLippe“ – durchgeführt in einer gemeinsamen Lern- und Arbeitswoche mit jungen Gästen und ihren Lehrkräften der holländischen, polnischen und ungarischen Partnerschulen aus Kampen, Strzelce Opolskie und Sàrospatak in der ersten September-Hälfte – findet seine Ergebnispräsentation und damit einen öffentlich sichtbaren Abschluss. Das Projekt „Paläontologischer Lernpfad“, bei dem ein handwerklich und künstlerisch professionell gestalteter Weg durch den Schulhof gelegt wurde, der zugleich Zeitleiste der Entwicklung des Lebens und Gestaltungsaufgabe für die Veranschaulichung  entscheidender Zeitpunkte der Evolution und der Phylogenese der Arten geworden war – in wissenschaftlich fundiertem und in künstlerisch-schöpferischem Sinne – wurde eröffnet und vom Bürgermeister der früheren Hansestadt „eingeweiht“.  Dabei sollte es aber nicht bleiben. Vielmehr verstanden es die Projektleiter Ulrich Dellbrügger und Benno Dalhoff zusammen mit ihrem Schulleiter und dessen Stellvertreterin, eine Veranstaltung zu moderieren, die Chancen für einen Auftritt der Schulband mit grundlegenden Einlassungen zu Verantwortung  von Wissenschaft und Kulturentwicklung gegenüber Natur, Umwelt und der weiteren kulturellen Entwicklung verbinden konnte – ein Symposium, ein Forum des Gesprächs, des Nachdenkens und des gemeinsamen Feierns sollte es werden.

Viele Partnerinnen und Partner der Schule – von der Tutzinger Umweltstiftung bis hin zum Schulträger – waren gekommen um zu hören und zu diskutieren. Bei einem Podiumsgespräch haben Karl-Horst Dieckhoff, der Europa-Abgeordnete  Peter Liese, Rolf Schulz vom Düsseldorfer Schulministerium, Wolfgang Beutel vom Wettbewerb Demokratisch Handeln  mit Schülerinnen und Schülern aus Kampen, Strzelce Opolskie, Sàrospatak und Soest über Fragen der Nachhaltigkeit, der Umweltverantwortung und der Projektpädagogik diskutiert. Helmut Albers, Leiter der Soester Volkshochschule hat dabei die Gelegenheit genutzt, auf die Dringlichkeit der durch die menschliche Kulturleistung geschaffenen und kaum lösbaren Umwelt- und Verteilungsproblemen hinzuweisen – schönfärberische Anerkennungsreden waren seine Sache nicht.

Karl-Horst Diekhoff, Leitungsmitglied der Tutzinger Stiftung für Umweltbildung unterstrich, wie wichtig ökologische Bildung und vor allem ein zum Handeln und Engagement befähigendes Lernen ist.  Nicht zuletzt aufgrund der dort liegenden Substanz der Soester Projekte sind diese Arbeiten in den Blick der Öko-Stiftung geraten. Auch  2007 erhält deshalb die Biologie-AG erneut einen Tutzinger Umweltpreis.  Peter Liese, der die Region Südwestfalen-Sauerland im Europaparlament vertritt, unterstrich die Bedeutung eines bewussten auf das Gleichgewicht der natürlichen Kräfte gerichteten Handelns im Alltag. Die Schulprojekte aus Soest haben ihn sichtlich beeindruckt und „er komme deshalb immer gerne an das ConvoS“, weil dort über Perspektiven des Handelns gearbeitet werde und nicht nur in Blick auf die Kritik der bestehenden  Probleme.  Ökologisches Handeln sei deshalb immer auch notwendig fundiertes wirtschaftliches Handeln, sagte Liese, der bei der Gelegenheit kritisierte, dass Industrie und Wirtschaft bisweilen mehr Fortschritt anbieten könnten, als der Verbraucher wahrnehme.  Er fahre „mit einem Drei-Liter-Auto“ zu seinen Terminen, das von der Industrie angeboten, von der Kundschaft aber bekanntlich nicht angenommen worden sei.

„In Blick auf die von Helmut Albers aufgeworfene Frage, wieweit unser Umgang mit den ökologischen Quellen und Reserven der Natur Fragen der Gerechtigkeit und der Demokratie berührt“, sagte Wolfgang Beutel vom Wettbewerb Demokratisch Handeln, „kann ich nur betonen, dass es eben eine politische Frage ist, ob wir uns weiterhin einen unbegrenzten Wasserverbrauch und eine nur gegen Geld eingeschränkte Nutzung von Energie aller Art leisten können und wollen“. Dass Ökologie, Umweltbildung und Demokratiepädagogik zusammengehören, war für ihn eine klare Sache: „Denn die Demokratie ist – gerade als Lebensform und als kulturelle Errungenschaft, die wir gemeinsam beständig pflegen, erneuern und verantworten müssen – nicht nur eine Sache Deutschlands und Europas, sondern eine Aufgabe von globaler Dimension, ebenso wie die ökologische Frage“. Dies in das fachlich-biologische Lernen und in eine verantwortungsethische Grundbildung einzufügen, ist aus Beutels Sicht eine besondere Stärke der zahlreichen Projekte, Arbeiten und Aktionen der Biologie-AG im ConvoS.

Eine besondere Qualität besitzen Projekte wie „Oberkante UnterLippe“  aus dieser Perspektive auch darin, „dass sie im Verbund mit Schülern und Lehrenden der Partnerschulen dieses Gymnasiums in Europa durchgeführt werden. Hierbei ist Europa eine gemeinsam gestaltete Lern- und Handlungsaufgabe und nicht nur ein touristisches Ereignis oder ein folgenloses politisch abstraktes Konstrukt im fernen Brüssel oder Straßburg. Die vielen, kontinuierlich weiterentwickelten und didaktisch-methodisch ausgefeilten Projekte dieser Schule sind über die Jahre gewissermaßen ein Markenzeichen des ConvoS geworden, das über die Stadt hinaus in der Biologiedidaktik und bei der Demokratiepädagogik in Deutschland wahrgenommen wird“, verwies er auf die demokratiepädagogische Erfahrung des Soester Best-Practice-Ansatzes.

In der fachlichen und öffentlichen Evaluation solcher expertenbasierter Arbeiten mit politischem Handlungserfolg kann der Wettbewerb Förderprogramm Demokratisch Handeln helfen, so Beutel weiter. Dies erfolge zwar nicht im materiellen Sinne, aber im Sinne der fachlichen und politisch-öffentlichen Anerkennung gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern sowie gegenüber den vielen Jugendlichen, die die Projekte durchführten. „Diese pädagogische Praxis, in der Projekte dokumentiert und der Öffentlichkeit gezeigt werden, belegt, dass auch das Engagement für das Gemeinwesen und demokratisches Handeln Felder sind, in denen besondere Leistungen sowie exzellente Ergebnisse in der Schule von Schülern und Schülerinnen erreicht werden.  Talent, Begabung sind eben nicht nur eine Sache der Facholympiaden,  von ‚Jugend musiziert‘ oder von ‚Jugend forscht‘, sondern auch Größen des Lernens und Handelns für die Demokratie“. Dies, so der Tenor in der Diskussion weiter, müsse in die gegenwärtige Schulleistungsdiskussion in Deutschland  ja erst noch intensiv hineingetragen werden.  „John Dewey, der große amerikanische Philosoph und Pädagoge des Pragmatismus, des ‚learning by doing‘  hat einmal ganz markant gesagt, dass die Demokratie nicht nur eine Regierungsform sei, sondern  vielmehr ‚in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsam und miteinander geteilten Erfahrung‘. Die Soester Projekte zeigen erneut, wie lebendig dieses kulturbasierte Demokratiekonzept Deweys ist. Das anzuerkennen, ist Aufgabe des Wettbewerbs ‚Förderprogramm Demokratisch Handeln‘, schloss Wolfgang Beutel sein Plädoyer für die Verknüpfung von fachlicher Exzellenz mit politisch-demokratischem Engagement.

Das ConvoS wird – so darf gehofft werden – weiter zeigen, dass die Verknüpfung von guter Projektdidaktik mit demokratischem Engagement nicht zwangsläufig besonders herausragende schulische Rahmenbedingungen erfordert, sondern an einem klassischen großen Gymnasium seinen eigenen Platz finden kann. Es ist zu wünschen, dass möglichst viele andere Schulen dort interessiert hinschauen und Anregungen mitnehmen.

(WB, November 2007, Jena)

 
© 2007 Demokratisch Handeln | Impressum