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Fachdidaktik, Projektdidaktik, Demokratiepädagogik

Unter dieser inhaltlichen Trias stand eine Fachtagung am 28. und 29. März im Umspannwerk Jena-Nord der IMAGINATA, die in Zusammenarbeit des Landesverbands Thüringen der DVpB, des Thüringer Lehrerbildungsinstituts ThILLM und des Wettbewerbs „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ veranstaltet worden ist. Im Vordergrund stand weniger die Abgrenzung verschiedener Perspektiven als vielmehr ganz pragmatisch die Frage, was die „Demokratiepädagogik“ von der Fachdidaktik – vor allem von deren ganz praktischem Erfahrungsfeld in der zweiten Phase der Lehrerbildung – aufnehmen kann. Auch die umgekehrte Blickrichtung war von großem Interesse: Wo liegen denn nun Anknüpfungspunkte für eine pragmatische Fortführung didaktischer Diskurse und Theorieanwendung, wenn wir gemeinsam auf Projekte und Erfahrungsberichte blicken, die nicht allein im Fachunterricht „Politik“ oder „Sozialkunde“ entstehen, sondern in anderen Fächern oder im Schulleben verankert sind?

Projekte stellen sich vor

Zunächst wurden anhand einer improvisierten Projektausstellung im ehemaligen 50-Kilovolt-Schalthaus des Umspannwerks Projekte wechselseitig vorgestellt und kritisch diskutiert. Zwei Beispiele:

Das Gymnasium Bergschule in Apolda arbeitet schon seit 1990 an Konzepten und Präventionsformen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Neonazismus. Zentraler Bezugspunkt ist die anhaltende Auseinandersetzung mit dem menschenverachtenden NS-Konzentrationslagersystem. Naheliegender Studienort die Gedenk- und Begegnungsstätte Weimar-Buchenwald. Schülerinnen und Schülern haben sich seit 2005 mit der Dokumentation einer Versteckaktion von 46 politischen Häftlingen befasst. Sie erforschen die Hintergründe – versteckte Personen, Ort, Helfer, besondere Begebenheiten – anhand von Dokumenten, Zeitzeugenberichten und Zeitzeugenbefragungen. Auf Basis ihrer Arbeiten schreiben sie ihr fiktives Hörspiel „Die Rettung der 46“.

Die Regelschule "Alfred Brehm" in Jena-Lobeda stellt ihr wesentlich von der Schulsozialarbeit getragenes Angebot an Projekten vor, die sich einerseits als empirisch gehaltvolles Schulprogramm lesen lassen, andererseits belegen, wie stark die soziale Dimension des Lernens und Handelns Grundbestandteil der dort praktizierten Pädagogik ist. Seit dem Schuljahr 2004/05 als Ganztagsschule organisiert, nutzt die Schule virtuos externe Partner, Programme und Wettbewerbe, um ein breites Spektrum handlungsbezogener Angebote – nicht zuletzt auch für den Ganztagsbereich – realisieren zu können. Auch diese Schule hat zwischenzeitlich einen Anteil von ca. 40% ihrer Schülerschaft, die als Migranten v.a. aus Russland kommen. Die Projekte wollen zeigen, wie Themen und Aufgaben der Demokratie für das Schulleben und das Lernen der Schüler aufgegriffen werden. So gibt es ökologisch-praktische Projektkurse, eine Projektpatenschaft der Klasse 10 F zum "Ronald McDonald-Haus" für schwerstkranke Kinder am Klinikum Jena, Projekte zur Gewalt- und Drogenprävention und ein multikulturelles Projekt "Welten der Kinder", dass die Erziehung zu Toleranz und Verstehen des Fremden fördert. Das konkrete, handlungs- und erfahrungsnahe Aufgreifen aktueller Themen wird von den Lehrkräften der Schule und der Schulsozialarbeit als Eintrittsmöglichkeit für eine auf Anerkennung und Toleranz zielende politische Bildung der Jugendlichen ihrer Schule betrachtet, die in politischem Unterricht so nicht ohne weiteres erreicht werden können. Dabei setzen die Jenaer Pädagogen gezielt auf die Verknüpfung von Aktualität, Erfahrung und Belehrung in der Schule.

Eine Fülle weiterer Themen war präsent, auch zwei Gastprojekte aus den großstädtischen Schulverhältnisse in sozialen Brennpunktschulen aus Bremen wurden vorgestellt und sollten gezielte Akzente und Kontrasterfahrungen vermitteln.

Demokratiepädagogik – Verstehen und Verständigung statt fruchtlosem Streit

Vor dem Hintergrund dieser gesättigten Praxisanschauungen wurde in zwei Arbeitsgruppen um aktuelle Durchführungsfragen des Projektlernens in der politischen Bildung, aber auch in der Schule im fächerübergreifenden Kontext diskutiert. Projekte – so eine Gesprächslinie – können in den Bereichen der „demokratischen Schule“, der sinnvollen und bildungswirksamen „Freizeitgestaltung“ und vor allem auch im Unterricht realisiert werden. Eine Reihe von Themen und Anregungen aus der Projektausstellung wurden aufgegriffen und Ideen für künftige Vorhaben formuliert. Die andere Gesprächslinie konzentrierte sich auf Unterstützungsmöglichkeiten von stadteilnahen und kommunal orientierten Projekten im Rahmen von Schule und Jugendarbeit. Dabei wurde dargelegt, welcher toleranz- und damit demokratiepädagogische Gehalt in einem von Jugendlichen selbst organisierten und betriebenen Kraftsport- und Freizeitraum in einem städtischen sozialen Brennpunkt liegen kann. Nicht nur die praktische Gewaltprävention, sondern auch die von benachteiligten Jugendlichen praktizierte sehr konkrete „Einbeziehung des Anderen“ (Habermas) wirkte überzeugend.

Gemeinsam war beiden Arbeitsgruppen eine intensive Diskussion an vorliegenden Erfahrungen und das Bemühen, Handlungskontexte von Demokratieprojekten genau darzustellen und zu verstehen.

Unterschiedliche Konzepte und Ansätze

Gregor Timme, Referendar am Studienseminar Jena, hat die Unterschiede und Überschneidungen theoretischer Konzepte – Gerhard Himmelmanns „Demokratie- Lernen“, Bernhard Sutors Wendung „Demokratisch Politik lernen!“ und Peter Fausers kontrastive Ausführungen zum Gegensatz von „Demokratiepädagogik“ und „politische Bildung“ vorgestellt und dabei vor allem nach Überschneidungen und Unterschieden in der jeweiligen Konzeption von Politik und Demokratie gefragt. Ziel politischer Bildung müsse es sein, eine generalisierende, aber auch eine erfahrungsorientierte „demokratie-kompetenten Bürgerschaftlichkeit“ bei den Jugendlichen zu fördern. Während Himmelmann daran erinnert, dass wir in der Schule „nicht Fächer, sondern Schüler“ unterrichten und deren „Wachstum an Erfahrung“ in Sachen Demokratie im „didaktischen Zentrum“ der politischen Bildung stehen solle, kritisiert Bernhard Sutor dessen unzureichende Demokratie-Definition. Die Leistung von Fausers Theoriebeitrag hingegen liege in der kontrastiven Unterscheidung des fachunterrichtlich-didaktischen Zugriffs zur schulpädagogisch übergreifenden Perspektive. Gleichwohl sei ein nahezu grenzenloser Universalismus im Vertrauen auf die Grundlegung allgemeingültiger Menschenrechtsprinzipien unübersehbar – Politik finde aber auch außerhalb solcher Idealverhältnisse statt. Deutlich geworden ist durch diesen Referendars-Impuls, dass die kontroversen Debatten um Didaktik und Schultheorie auch in der zweiten Phase der Lehrerausbildung eine Rolle spielen. Darin liegt ein weiterer Grund für Pädagogik und Unterrichtstheorie, nach dem verbindenden und verstehbaren Gehalt der fachdidaktischen und schulpädagogischen Arbeiten zur Demokratieerziehung zu fragen – statt Konflikte zu verschärfen.

Peter Fauser stellt sich in einem lehrreichen Wechselgespräch am Abend dem Auditorium und verdeutlicht mit schulpraktischen Beispielen, wie sehr das „Verstehen“ die Basis allen – auch des politisch-demokratischen – Lernens ist. Durch Verstehen organisieren wir unser Verhältnis zur Wirklichkeit „unter dem Anspruch humanisierender Aufklärung“, so Fauser. Dabei seien drei Erfahrungen gekoppelt, die für den Aufbau eines selbstständigen Lebens, für Mündigkeit und Kompetenz grundlegend sind: die Erfahrung, die Welt der Gegenstände und Aufgaben verstehen zu können (Kompetenzerfahrung); die Erfahrung, auf das eigene Denken und Handeln vertrauen zu können (Autonomieerleben) und die Erfahrung, der Welt mit der Gemeinschaft anderer Menschen zu teilen und dieser Gemeinschaft anzugehören, also andere zu verstehen (Eingebundenheit). Aus dieser von psychologischen Interessentheorien hergeleiteten Grundlage leitet sich eine für demokratisches Politik-Lernen basale Kompetenzstruktur ab, die in der Schule sozialisatorisch und unterrichtlich gefördert und aktiviert werden müsse. Dabei sind, so betonte Fauser, ein Gutteil der bisherigen Kontroversen auch den wissenschaftskulturell bedingten Perspektivendifferenzen geschuldet: „Zwischen ‚sozialem Lernen’ und ‚Demokratie lernen’ oder ‚Politik lernen und Politischer Bildung’ besteht keine kategoriale Differenz, sondern die Konzepte beziehen sich auf die gleiche Grundaufgabe, überschneiden sich praktisch und sind durch viele gestufte Übergange miteinander verbunden.“

Anerkennung in- und außerhalb der Schule, Öffentlichkeitsarbeit, Demokratie

Das anfangs doch noch zögerliche Gespräch, die streckenweise beobachtbare Skepsis zwischen Fachlehrern der Politik und fachfremdem Lehrern, die erfolgreiche und demokratiepädagogisch wirksame Projekte durchgeführt haben, waren am Ende der Tagung aufgelöst. Zwar sind aus der ganz schulpraktischen Perspektive erfahrener Pädagogen ebenso wie bei den Referendaren und den Lehrerbildnern die Unterschiede zwischen Fachdidaktik und Demokratiepädagogik nicht gegenstandslos geworden. Aber sie haben sich in den Hintergrund geschlichen, weil die Berührungspunkte und das wechselseitige Anregungspotenzial im Laufe der Gespräche viel stärker geworden sind. Was dieser modellhaften Diskussion bei der Jenaer Tagung im Kleinen gelungen ist, mag auch der Debatte im Großen und Grundsätzliche  zu wünschen sein: Sie sollte ohne Nivellierung die Klärung suchen und die Bereicherung, die in Erfahrung und Wissen der jeweils anderen Wissenschafts- und Entwicklungstradition steckt: Demokratiepädagogik und Fachdidaktik sind nicht nur aufeinander angewiesen, sondern miteinander verbunden.

Eine Bremer Kollegin hat das „schulpraktisch“ zusammengefasst, indem sie betont, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit und außerschuliche Anerkennungsformen auch für die didaktische Weiterentwicklung von Unterricht sind. „Öffentliche Anerkennung“ sagt sie, „bildet die Grundlage für Erfahrungen von eigener Kompetenz und Eingebundensein in einer Gemeinschaft, die für das Lernen von Demokratie so wichtig sind, da sie eine über die Schule hinausgehende Anerkennung geleisteter Arbeit darstellt“. In diesem Zusammenhang wurden besonders die Bedeutung der „Lernstatt Demokratie“ – eines Schüler-Lehrer-Arbeitstreffens im Wettbewerb Demokratisch Handeln – hervorgehoben. Eine Workshopteilnehmerin sprach dabei von „unersetzbaren Erfahrungen“ und „beseelten Schülern“. Um ein erfolgreiches Projekt durchführen zu können, seien derartige Möglichkeiten grundlegend für die Motivation und das Erfahren von Demokratie, ebenso wie die Notwendigkeit, Schüler und Lehrer als gleichberechtigte Partner anzuerkennen. (Wolfgang Beutel unter Mitarbeit von Michael Wiegleb)

 
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