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Eine erfolgreiche demokratiepädagogische Initiative

Einige skizzenhafte Eindrücke aus der Abschlusskonferenz des BLK-Modellprogramms „Demokratie lernen und leben“

Das Umweltforum in Berlin befindet sich in einer säkularisierten Kirche, in einem ehemaligen Gotteshaus, das trotz moderner multifunktionaler Ausrichtung dennoch seine ursprüngliche Zweckbestimmung für eine gläubige Gemeinschaft weiterhin erkennen lässt. In diesem Tagungs- und Bürgerhaus fand am 2. und 3. März 2007 die Schlusskonferenz zum BLK-Programm „Demokratie leben und lernen“ statt. Vom Geist der Örtlichkeit inspiriert, versammelten sich die Mitglieder der Demokratie-Gemeinde, legten ein Bekenntnis zur Notwendigkeit der demokratischen Erziehung und des Engagements für die Zivilgesellschaft ab und sprachen von ihren Erfahrungen aus der Arbeit im nunmehr fünf Jahre laufenden BLK-Programm, das mit dieser Veranstaltung seinen öffentlich sichtbaren Abschluss fand.

Bilanzierende Ergebnisse wurden vorgestellt – CD-ROM-Dokumentationen von beeindruckendem Format, Begleitstudien zu den Verlaufs- und Entstehungsbedingungen demokratiepädagogischer Schulpraxis und ein „Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik“ – und mögliche Perspektiven für die Fortführung des hier entstandenen bundesweiten Arbeitszusammenhangs wurden in einem „Memorandum des Fachbeirats“ gefordert, der das Programm begleitet hat.

So bleibt der Ort auch ein Symbol und mahnt an das Besserung versprechende Element, das in der Demokratiepädagogik auch eine wichtige Rolle spielt: Dass mit einer elementaren zivilgesellschaftlichen Unterfütterung von Schule und Erfahrungswelt der Kinder und Jugendlichen dem allseits grassierenden Demokratieverdruss und seinen gefährlichen Begleitelementen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt wirkungsvoll begegnet werden kann!

Bund und Länder zusammen – Ein letztes Mal?

Mit dem BLK-Programm „Demokratie lernen und leben“ hat sich zweifellos eine dringlich notwendige und verdienstvolle schulpädagogische Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern etablieren lassen, die mit dazu beigetragen hat, dass Fachöffentlichkeit und Bildungspolitik heute über eine Pädagogik zu sprechen bereit sind, in der die Erziehung zum zivilgesellschaftlichen Engagement im Mittelpunkt steht. Dass Demokratie nicht nur Bildungsgut des Fachunterrichts Politik und Wissensbestand von Kindern und Jugendlichen in den Schulen der Republik sein muss, scheint inzwischen unumstritten.

Es wird vielfach akzeptiert, dass Wissen alleine nicht genügt, sondern durch demokratische Werthaltungen und eine auf positiven Erfahrungen gründende Handlungskompetenz ergänzt werden muss. Gleichwohl gibt es über die Schwerpunktsetzungen und die Wege zur demokratischen Handlungskompetenz in der Pädagogik, der Fachdidaktik und der Politik nach wie vor keinen übergreifenden Konsens. Wo liegen also die Erträge und die Perspektiven des in Berlin öffentlich bilanzierten Demokratie-Programms?

Die eigentliche Aufgabe: „Die Schätze in das Regelschulwesen hineintragen“

Wenn nun ausgerechnet dieses wichtige bildungspolitische Kooperationsprojekt nicht zuletzt aufgrund der Folgewirkungen einer Gesetz gewordenen Förderalismusreform, die auf den ersten Blick dem Bund nahezu alle schulpolitischen Initiativen und Begleitinstrumente aus der Hand zu schlagen scheint, keine Fortführung erhalten kann, um die gewonnenen Erfahrungen und Konzepte gezielt in das Regelschulwesen hinein zu tragen, so wirkte dies tragisch. Entsprechend hilflos hörten sich auch die Appelle und Grußworte der Verantwortlichen von Bund und Ländern an: So forderte der Berliner Staatssekretär Fokal, der anstelle von Landesschulsenator Zöllner sprechen durfte, „nicht nur Wissen“ um die Demokratie und die „Benennung ihrer Defizite“ bei den Schuljugendlichen, sondern eine „demokratische Kultur des Umgangs“. Auch er hofft, es möge „weitergehen, wenigstens in den dreizehn Ländern des BLK-Modellprogramms“. Die Frage blieb dennoch offen: Wie soll es weitergehen?

Hans-Konrad Koch, Leiter der das Projekt begleitenden Unterabteilung „Bildungsreform“ im BMBF, unterstrich den sichtbar gewordenen Ertrag des Programms. Er hob hervor, dass demokratische Werte eben nicht „ex cathedra“ verkündet werden könnten, sondern „früher Förderung und einer besonderen demokratischen Schulkultur bedürfen“. Deshalb, so folgerte Koch, beginne jetzt „die eigentliche Aufgabe, diese Schätze in das Regelschulsystem hineinzutragen“. Koch betonte zu Recht, dass die Transferierung der vorliegenden Ergebnisse – er wies dabei besonders auf die Regelfortbildung der Lehrerinnen und Lehrer hin – nunmehr eine Aufgabe der Länder sein müsse und verwies auf die Brücke einer weiterhin möglichen Kooperation von Bund und Ländern insbesondere im Rahmen der Fortführung der Ganztagsprogramme, die um das weiter laufende Investitionsprogramm Bildung und Betreuung der Bundesregierung vorhanden sind sowie innerhalb der „Neuen Gemeinschaftsaufgaben Bildung“ von Bund und Ländern, die das Begleitgesetz zur Föderalismusreform vor allem in „Gemeinsamen Empfehlungen“ und in der „Transferforschung zur Bildungsforschung“ benennt.

Die Praxis spiegelt sich im Lernkarussell – Beispiele aus Bremen

Podiumsgespräche, informelle Kontakte und Absprachen sowie Projektpräsentationen bildeten nur einen Teilausschnitt aus dem großen Rahmen dieser Demokratie-Versammlung. Viel zu weniges konnte der Einzelne nur mitnehmen. Im Lernkarussell ist der Autor bei der Präsentation aus dem Bremer BLK-Modul hängen geblieben – und wurde von den Ergebnissen immerhin beeindruckt: So gefiel am intensiv entwickelten und öffentlich mehrfach vorgestellten Modell der „Nacht der Jugend“ die Verknüpfung von Auseinandersetzung mit und Aufklärung über die nationalsozialistische Vergangenheit und ihre Opfer mit aktuellen Aufgaben und Spannungsfeldern der Schülerinnen und Schüler heute. Interessant war es zudem, davon zu hören, wie die Idee und Praxis der „Schülermitwirkung“ mit substanziellen Aufgaben verbunden wird und nicht alleine bei der formalen Gremienarbeit alleine verbleibt. Ein weiteres Bremer Demokratie-Element gefiel: So wurde bei den Bremer Schulen von Schülerinnen und Schülern die Idee zu einem „Qualitätscheck Beteiligung an Schule“ aufgeworfen, erprobt und damit und auch konkretisiert.

Vieles anderes aus dem breiten Feld konnte der einzelne Besucher nur peripher wahrnehmen. Es ist aber deutlich geworden, dass einige Projekte versiert externe Unterstützung zu nutzen vermochten – sei es bei den Demokratie-Beratern, die im Projekt parallel zur Entwicklung und Begleitung der Schulmodelle qualifiziert wurden (und bei Gelegenheit dieser Tagung feierlich ihre Zertifikate erhalten haben), sei es durch Teilnahme am Förderprogramm „Demokratisch Handeln“ und seinen Angeboten. Man mag den Schulen und v.a. den beteiligten Lehrkräften wünschen, dass die hier gewonnene Erfahrung und Einsicht in die demokratiepädagogische Praxis weiterhin Früchte tragen möge.

„Man kann der Demokratie ihre Langsamkeit nicht abgewöhnen“

Mit dieser mahnenden These begründet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse zu Beginn der Arbeitsphase am Samstag seine Skepsis gegenüber den Anwandlungen breiter Bevölkerungskreise ebenso wie einiger Funktionseliten, die Demokratie als ineffizient und nicht schnell genug im politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfall globaler Dimensionen zu sehen. Langsamkeit und das mühselige Geschäft des Integrierens, Argumentierens und Kompromisse-Schließens sind die Kehrseite der möglichst breiten und weitgehenden Partizipation, in der für Thierse demokratische Kultur sich entfaltet: „Diktaturen können schnell sein, aber die Zeche zahlen die anderen“, ergänzte der Bundestagsvizepräsident seine Kritik am Primat des Effizienz-Merkmals. Damit formulierte er einen zentralen Merkposten in einer Zeit, in der selbst in der politikwissenschaftlichen Demokratietheorie aufgrund des globalen Drucks und des durch wirtschaftliches Handeln gebotenen Effizienz-Diktats eine „post-demokratische“ Formalstruktur beschrieben wird, in der den universell gültigen Freiheits- und Menschenrechten sowie einer aktiven Zivilgesellschaft durchaus die Gefahr droht, dass sie ins Hintertreffen geraten könnten.

Wolfgang Thierse umriss einen demokratiepolitischen Rahmen, in dem der Zusammenhang von Politik, Sprache und Kultur das Maß abgibt. Er erinnerte an die ständige Dynamik demokratischer Praxis und Kultur, denn alleine „die politischen Aufgaben des Wandels bleiben noch lange Zeit“. Thierse übte zugleich Kritik an der „grassierenden Politiker- und Politikverachtung“, die durch den Aufmerksamkeitsdruck und die Konkurrenzlage in den Medien gefährlich verstärkt werde: „Demokratie ist als Regelwerk auf verantwortliche Akteure angewiesen“, betonte er und meinte nicht alleine die möglichst große Zahl bewegter Bürgerinnen und Bürger, sondern die moralische Selbstevaluation der neuen und der alten Medien.

Deshalb und weil Demokratie die einzige Herrschaftsform sei, die – nach Oskar Negt – „in ständiger Kraftanstrengung neu gelernt werden muss“, habe die aus dem BLK-Programm heraus gegründete „Dt. Gesellschaft für Demokratiepädagogik“ Recht damit, von den Kommunen, den Ländern und vom Bund Unterstützung einzufordern. Das hat man in Berlin sicherlich gerne gehört und es wäre der DeGeDe zu wünschen, dass solche Aufmerksamkeit nicht nur punktuell bleibt, sondern sich vielmehr in starken Handlungspartnerschaften und entsprechenden Projekten ausmünzen ließe. Der demokratiepädagogischen Gesellschaft wächst eine Fülle an Aufgaben zu und es bleibt zu hoffen, dass ihre Mitglieder diese schultern können.

Fachliche Angebote, die Transferfrage und die Kinderrechte

Viele weitere Aspekte des BLK-Modellprogramms wurden im Verlauf der drei Tage angesprochen. Gerhard de Haan hat in die Transferproblematik eingeführt und betonte, dass Innovation nur schwer übertragen werden könne. Vielmehr müsse man der Zielgruppe – in diesem Falle den Pädagoginnen und Pädagogen sowie den Schulen – die Nutzungsperspektiven verdeutlichen. Die Innovationsleistung muss so gesehen jeder selbst erbringen, was natürlicherweise eine Perspektivendifferenz zwischen Erfahrungsträgern und den Handelnden in neuen Kontexten mit sich bringe.

Was folgt daraus? Eine Anregung gibt de Haan selbst dahingehend, dass man die Emotionen – die mit Innovation strukturell einhergehen können – in ihrer handlungsregulierenden Funktion stärken müsse. Innovation, so der Berliner Zukunftsforscher, wird im Falle der demokratiepädagogischen Transferaufgabe möglicherweise zu einer Art „Freude auf eine demokratische Zukunft“ führen können. Der Bundestagspräsident würde das sicherlich gerne gehört haben – aber er musste zu der Zeit bereits einen anderen Termin wahrnehmen.

Den Schlusspunkt dieses Kongresses setzte der UN-Beauftragte für die Kinderrechte in Deutschland, Prof. Lothar Krappmann vom Berliner MPI für Bildungsforschung. Er hat mit deutlichen Worten darauf verwiesen, dass das Modellprojekt gerade in diesem sensiblen Themenfeld von Demokratie und Gerechtigkeit nicht auf wenige Schulen – seien es auch jetzt schon 120 – begrenzt bleiben könne, wenn es denn einen ernsthaften Sinn haben solle. Alleine die internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik würden es gebieten, dass die Demokratiepädagogik eine Aufgabe für alle Schulen sei. Aber, so Krappmann in einer wortspielreichen Doppelfrage zum Abschluss: „Haben die Schulen genug Feuer gefangen – und haben genug Schulen Feuer gefangen?“ Eines zumindest ist sicher: Diese Frage bleibt, ebenso die Aufgabe, der sich das BLK-Programmschulen und die vielen Menschen fünf Jahre lang gewidmet haben, die an diesem Programm beteiligt gewesen sind. Etwas Wehmut lag eben doch über dieser Abschlusskonferenz.

(Wolfgang Beutel, Berlin/Jena, März 2007)

 
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