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Wozu Schülerwettbewerbe? Impulse für Bildung und Lernen

Ein Bericht von einer Fachtagung

Die Zahl der Schülerwettbewerbe in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen. Die Angebote reichen vom einfachen Wissensquiz bis zur anspruchsvollen Forschungsaufgabe. In Schulen kreist das Wort von der „Wettbewerbsflut“. Für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer wird es immer schwieriger, zu entscheiden, ob eine Teilnahme sinnvoll ist und inwieweit Talente, besondere Begabungen und Fähigkeiten durch eine Wettbewerbsbeteiligung nachhaltig gefördert werden.

Auf einer gemeinsamen Tagung der Körber-Stiftung und des Förderprogramms »Demokratisch Handeln« wurde am 30.November und 1. Dezember 2006 im Hamburger Körber-Forum nach den pädagogischen Funktionen von Schülerwettbewerben für Schule und Lernen gefragt sowie praktische Empfehlungen im Umgang mit ihnen erörtert: Wie sichern die Wettbewerbe die Qualität ihrer Arbeit? Welche Chancen bieten sie für die Schulentwicklung und -profilbildung? Wo liegen ihre Stärken in der Lernförderung, wie können sie Begabungen erkennen und diese sowohl in der Spitze von Lernleistung sowie in der Breite des Lernens in Klassen und Gruppen unterstützen? Wie können Lehrer, Schüler und die Öffentlichkeit erreicht werden? Woraus beziehen die Wettbewerbe die Kriterien und Normen für ihre eigenen pädagogischen und fachlichen Qualitätsansprüche? 120 Vertreterinnen und Vertreter von Wettbewerben, von Schulen und von Ministerien haben sich dem Themenkreis und seinen vielfältigen Verzweigungen in Workshops und Podiumsdiskussionen gewidmet.

Handlungsorientierte Verständigung, Wissenschaftspropädeutik und Ästhetik als Schlüssel zur Welt

Am ersten Tag standen die Potenziale und Möglichkeiten der Kompetenzförderung von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt. Der Jenaer Schulpädagoge Peter Fauser betonte, dass Wettbewerbe im Idealfall gegenüber schulischen Angeboten einen erheblichen »Mehrwert« haben. Denn sie motivieren Schülerinnen und Schüler aus der Zivilgesellschaft heraus zu besonderen Anstrengungen und schaffen dabei eine eigene Anerkennungskultur für  Schülerleistungen. Zur Werteerziehung junger Menschen können Wettbewerbe wichtige und qualitätsfördernde Impulse geben, da sie ein fruchtbares Wechselspiel von verständnisorientiertem Handeln und handlungsorientierter Verständigung in Gang setzen: Lernqualität stärken und die Besonderheit der Schule als öffentlicher Einrichtung in „private-public-partnership“ zu entwickeln kann deshalb als besonders bedeutsame Aufgabe der Wettbewerbe verstanden werden. Der Kasseler Schulforscher Rudolf Messner wies darauf hin, dass Wettbewerbe, die vor allem Methodenschulung und Wissenschaftspropädeutik leisten wollen, eine optimale Lernumgebung für selbstgesteuertes wissenschaftliches Arbeiten und Forschen schaffen können. Die gerade auf „Wissenschaftspropädeutik“ setzende Funktion der Wettbewerbe kann sich auf das Erbe der humboldtschen Gymnasialkonzeption besinnen, in dem Wissenschaftslernen und Wissenschaftsausübung durch Leistungswettbewerbe „Inseln der Kulturbetätigung“ etablieren und pflegen. Messner unterstrich zudem, dass gerade die Universität in ihrer wissenschaftsnahen Lehre von guten und gelungenen Schülerwettbewerben lernen könne, appellierte aber auch an die wissenschaftlichen Leistungswettbewerbe, diejenigen Schülerinnen und Schüler nicht aus dem Blick zu verlieren, die an  den dort gesetzten Anforderungen scheiterten. Der Erlanger Kulturpädagoge Eckart Liebau machte sich für ästhetisch bildende Wettbewerbe stark. Durch musische Erziehung, bildende Kunst oder das darstellende Spiel böten sich zahlreiche Chancen, auch die persönliche Entwicklung und Kreativität von Schülern zu fördern. „Man hofft in der Auseinandersetzung mit den Künsten gewissermaßen auf Nebenwirkungen“, so Liebau, der im Wechselspiel zwischen Kultur und Natur die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nach „Werkzeug, Wahrnehmung und Darstellung“ als anthropologische Grundkategorien aufgegriffen hat. Mit einem breiten Kulturverständnis geraten allerdings nicht allein die höheren Künste im engeren Sinne in den Blickwinkel der ästhetischen Erziehung, sondern die kulturelle Leistungen von Leiblichkeit und Weltbeeinflussung beim Menschen insgesamt: Sowohl die gelungene Durchdringung und Aufführung einer klassischen Violinsonate, als auch die handwerklich kultivierte Bearbeitung eines Holzgegenstandes leisten ihren Beitrag zur ästhetischen Bildung. Wettbewerbe können diesen Bildungsauftrag, der über fachunterrichtliche Domänen von Kunst und Kultur hinausreicht, besonders fördern.

Begabungen fördern – Wettbewerbe als Weg zur Spitzenleistung

Die Bedeutung von Wettbewerben für die Begabungsförderung stand im Mittelpunkt eines Podiumsgesprächs zwischen Lothar Dittmer – verantwortlich für den Bereich Schule und Hochschule in der Körber-Stiftung – mit dem Münchner Lernpsychologen Heinz Neber und Experten aus der Schulpraxis. Es wurde deutlich, dass Schülerwettbewerbe nicht nur Begabungen sichtbar werden lassen, sondern für Schülerschaft ebenso wie für Lehrerinnen und Lehrer nachhaltige Lerneffekte zeitigen können. „Begabung“ als Konzept und Norm ist nicht mehr eindimensional und statisch zu verstehen. „Multiple Begabungskonzepte“, so formuliert Neber, fordern auch multiple Angebote und Unterstützungsleistungen. Insbesondere benötigt die Schule unter diesem Blickwinkel „Wettbewerbe, an denen Schülerinnen und Schüler mehrfach teilnehmen können, damit sie selbst erfahren können, wo sie sich verändert haben“. Sichtbar wurden aber auch Unterschiede zwischen der Rolle von Schülerwettbewerben in Deutschland und im internationalen Kontext. Die deutsche Wettbewerbslandschaft gibt ein bunteres Bild, als die internationalen Leistungswettbewerbe, die sich vor allem auf Mathematik und naturwissenschaftliche Anwendungsfächer konzentrieren. Zugleich fehlt der Förderung von Leistungsspitzen in Deutschland die Entkoppelung von der sozialen Herkunft. Was dem Bildungswesen insgesamt bis heute ein Makel – ja letztlich ein Gerechtigkeitsproblem – ist, spiegelt sich auch in den Funktionen von Wettbewerben für die Spitzenförderung. Hier sind Veränderungen nötig. Wie das im Kontext der vorfindlichen Schulsituation gerade bei den Wettbewerben möglich gemacht werden kann, ist beides zugleich: Eine offene Frage und eine Herausforderung für die Leistungswettbewerbe.

Qualität sichern und Entwicklungspotenziale ausloten – kritische Selbstreflexion für Wettbewerbe

Anderntags standen nicht so sehr die Fragen von Lernförderung, Bildung und Pädagogik im Mittelpunkt, sondern Aspekte der Qualitätssicherung und der Entwicklungsbedingungen der Wettbewerbe selbst. Öffentlichkeitsarbeit, Bewertungsstandards und Schulentwicklung waren Stichworte und Aufgaben für die Workshops, die – getragen auch durch Ansprüche und Erfahrungen von Wettbewerbsmoderatoren, ehrenamtlich dort tätigen Lehrkräften und Projektleitern aus unterschiedlichen Wettbewerbsdomänen – systematisch und mit vielen Argumenten entfaltet werden konnten.

Auf den ersten Blick einte diese Arbeitsgruppen vor allem, dass sichtbar wurde, wie groß der Gesprächs- und Koordinationsbedarf bei denjenigen überhaupt ist, die mit Wettbewerben arbeiten. Das Fazit: Schülerwettbewerbe sind sehr unterschiedlich konzipiert und es gilt, jeweils für den einzelnen Wettbewerb wirkungsvolle Maßnahmen passgenau zu entwickeln. Für alle Wettbewerbe gleichermaßen wird es jedoch aufgrund schulischer Rahmenbedingungen zunehmend schwieriger, Lehrerinnen und Lehrer für eine Teilnahme zu begeistern. Für alle Wettbewerbe gilt auch, dass sie nachvollziehbare und öffentlich zu vermittelnde Aspekte ihrer Wirksamkeit und Qualität erarbeiten oder hervorheben müssen – der Zug zur Evaluation und zum Nachweis eigener Wirksamkeit geht auch an Schülerwettbewerben nicht vorbei. Die Aufgabe – auch das zeigten die Gespräche – dürften in allen hier verhandelten Themenfeldern mehr darin liegen, das Vorfindliche aufzuklären, bei den Handelnden bewusst und gegenüber den Lernenden, den Schulen und der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Dass Schulentwicklung nicht nur ein Nebeneffekt von wettbewerbsnutzenden Schulen sein kann, sondern umgekehrt diese eine Teilelement der Profilbildung sein können, lag in vielen Einzelbeiträgen ebenso auf der Hand, wie die qualitative Integration von Fachlehrern in die Kultivierung von Leistungs- und Qualitätsstandards durch bspw. die Beteiligung an Auswahl- und Juryverfahren oder aber an der Aufgabenstellung in Leistungswettbewerben.

Was ist „gut“, was ist Qualität der Schülerwettbewerbe“? – Das Abschlussplenum

Schlusspunkt der Tagung war die Frage: »Was ist ein ‚guter’ Schülerwettbewerb?« Kate Maleike, Redakteurin beim Deutschlandfunk in Köln moderierte eine Runde, in der Schulpraxis, Wissenschaft, Politik und Wettbewerbsveranstalter zugleich und prominent vertreten waren. Die Diskussion kreiste schnell um die Frage, ob es ein „Prüfsiegel“, ein Zertifikat für gute Wettbewerbe geben sollte – als eine Art ethisch verpflichtender Selbstkontrolle der Anbieter und Veranstalter. Aus dem Vorstand der Körber-Stiftung verwies Wolf Schmidt auf die große Zahl von Wettbewerben, die zunehmend als PR-Initiativen allein dem Zweck dienten, wirtschaftlich interessante Daten von „Kunden“ zu sammeln oder Produktbindung – mithin billige Werbung für Konsum – zu betreiben. Schmidt sprach sich dafür aus, diese unsoliden Angebote von den pädagogisch anspruchsvollen Wettbewerben mit  einem Qualitätssiegel abzugrenzen.

Diesem Votum für eine Zertifizierung schlossen sich auch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger und der Schulpädagoge Peter Fauser an. Ferdinand Scherf, stellvertretender Schulleiter des Rabanus-Maurus-Gymnasiums aus Mainz, hielt es hingegen für wichtig, die Auswahl der geeigneten Schülerwettbewerbe bei den Lehrern und in den Schulen zu belassen: „Gute Lehrerinnen und Lehrer wissen, das ein guter Wettbewerb begeistern muss, die Schülerinnen und Schüler motiviert und sie zum selbstständigen Denken bringt“, brachte Scherf sein Pochen auf die Autonomie des Lehrers auf den Punkt. Die Hamburger Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig betonte mit der Formel „so wenig Staat und Norm, wie möglich“ ihren liberalen Standpunkt. Zwar hat das Bild, mit dem sie diese Position zu untermauern suchte – dass auch die Vorgabe des „pädagogisch wertvollen Spielzeugs“ die Willensbekundung und das Interesse von Kindern und Eltern mehr normiert als deren Interessen entsprochen habe – manchen der anwesenden hauptberuflichen Pädagogen zu einem leichten Stirnrunzeln veranlasst. Konsens aber war, dass eine Qualitätskontrolle wenn, dann unter Leitung eines externen Trägers bei Einbeziehung der vorhandenen Expertise bewährter Schülerwettbewerbe erfolgen muss. Selbstaufklärung und Kontrolle müssten sich da kombinieren, auch wenn die Senatorin bei ihrer Linie blieb und betonte, dass die Politik erst bei jugendgefährdenden Angeboten eingreifen sollte: »Bei einer Zertifizierung bin ich sehr zurückhaltend«, so Dinges-Dierig.

Die Norm, an der eine pädagogische Qualitätskontrolle sich ausrichten muss, liegt aus der Sicht von Peter Fauser in der Entwicklungstatsache der Kinder selbst: „Gut sind die Wettbewerbe, die nicht die Kinder instrumentalisieren, die also die Entwicklung und das Lernen von Kindern und Jugendlichen fördern“. Damit war zumindest für das Plenum eine abschließende Konsensformel gefunden. Die Aufgaben liegen nunmehr auf der Hand: Am erreichten Diskussionstand weiterarbeiten, die pädagogische Qualität und das Schulentwicklungspotenzial von Wettbewerben aufklären und öffentlich vermitteln, die Besonderheit  und Vielfalt der bestehenden Angebote bewahren und durch Qualitätsausweis gegen die Flut der Trittbrettfahrer sichern – letztlich so etwas wie eine „Wettbewerbspädagogik“, wie es eingangs Wolf Schmidt formuliert hatte, ausarbeiten! Dass die Körber-Stiftung, das Förderprogramm Demokratisch Handeln und die Arbeitsgemeinschaft bundesweiter Schülerwettbewerbe sich mit dieser Tagung hierbei eine tragende Rolle erarbeitet haben, betonte abschließend auch Kate Maleike, indem sie auf die Adresse der Gastgeber verwies: „Kehr wieder“!. Die Schulpädagogik und die Wettbewerbe werden auf den Fortgang der jetzt entfachten Diskussion warten.

(Wolfgang Beutel/Jena, Sven Tetzlaff/Hamburg)

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Wettbewerbe in Konkurrenz (KLETT-Themendienst, Ausgabe 5/07, S. 7f) als pdf »

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