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Der 2. Oktober 2006 - der erste "Demokratie-Tag" in Rheinland-Pfalz

Es ist deutlich zu sehen, dass sich das rheinland-pfälzische Teilprojekt des BLK-Modellprogramms „Demokratie lernen und leben“ viel Anerkennung und möglicherweise auch eine Anschlussperspektive erarbeitet hat. Der Ministerpräsident des Landes ist der Schirmherr, die Kultusministerin und ihr Staatssekretär nehmen am ersten „Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz“ teil, dem – so hoffen die Organisatoren – in künftigen Jahren zahlreiche weitere folgen sollen. Auch ist zu vernehmen, dass man auf zwar geringfügige, gleichwohl praxiswirksame Ressourcen für die Fortführung der mit diesem Projekt erreichten Arbeitssituation und Erfahrungslage rechnen kann. Also: „Demokratie lernen und leben“, ist das nicht doch ein Projekt, das politisch-praktisch wahrgenommen wird?

Zu wünschen wäre es, denn was alleine durch die Schulen – die an diesem Tage mit Lehrkräften, aber auch zahlreichen Schülerinnen und Schülern in das Tagungszentrum „Erbacher Hof“ der Diözese Mainz gekommen waren – gezeigt wurde, war beeindruckend: Klassenrat, Schulhofumgestaltung, Partizipation und Ganztagsschule, Schüler- und Stufenparlamente, Lernkooperationen mit Gemeinden und Betrieben, Medienarbeit, Deliberationsforen und vieles mehr skizziert die Bandbreite der Praxismodelle in den fünfzehn BLK-Modulschulen des Landes. Zugleich sollten diese Schulen nicht nur Ergebnisse präsentieren, sondern auch am Nachmittag knappe Workshops anbieten: Ein viel versprechender Ansatz des Erfahrungstransfers. Entsprechend hat die Schulministerin des Landes eine positive Bilanz gezogen, sich dabei auf diese Beispiele gestützt und zur Nachahmung geraten: „Die Ergebnisse können sich sehen lassen“, sagt Doris Ahnen.

Demokratie als Praxis und als Wert

Wolfgang Edelstein als Gastredner und, so der pfälzische Modulverantwortliche Hans Berkessel, „als Nestor“ des BLK-Modellprogramms nahm sich vor, den Begriff der Demokratiepädagogik zu entfalten. Dabei versuchte er, die entscheidende Konnotation auf die Demokratie und ihre theoretische und praxisnahe Erörterung in deren Dualität als Sachverhalt, der beschrieben werden kann und als Wert, der vom Wollen und Handeln des Einzelnen abhängt, zu fassen. Demokratie als Wert beschreibt einen „positiv besetzte innere Disposition; etwas, das uns bewegt“, so Edelstein, der in diesem Zusammenhang nicht nur an die Aufgabe und Erfahrung des Fachunterrichts Politik, sondern v.a. auch an dessen Angewiesenheit auf eine Schulkultur und ein schulpädagogisches Professionswissen erinnert, aus dem heraus Demokratie als Erfahrungsqualität schulischer Alltagsverhältnisse sich erst gestalten lässt. Demokratie als Wert – der Menschenrechte, soziale Inklusion und Nachhaltigkeit umfasse – sei auch „eine Sache der Herzens“ und der biographisch bedingten Erfahrung, die zu ermöglichen heute eben eine der vornehmsten Aufgaben der Schule sei. „Die Schule erricht alle über zehn Jahre mit einer großen Inanspruchnahme von Zeit“, sie sei deshalb eines der zentralen Korrektive gegenüber der zunehmenden materiellen Spreizung von Besitz-, Einfluss- und damit auch Lebensgestaltungsmöglichkeiten, wie sie derzeit auch die Sozialstaaten der westlichen Moderne kennzeichnen. Provokativ zugespitzt: wo es Gewinner und Verlierer, Arm und Reich gibt, wird die einigende demokratische Aufgabe der Schule, die alle Kinder und Jugendlichen im Lande ansprechen muss, umso bedeutsamer. Eine demokratische Schule sei deshalb nicht nur eine im inneren Kern gerechte Schule, sondern v.a. auch eine Schule, die nachhaltig wirksame demokratische Erfahrungen ermöglichen müsse, mit einem Wort von Jürgen Habermas „entgegenkommende Verhältnisse“ von Inklusion und Beteiligung zu kultivieren habe, so Edelstein. Mit seinem Vortrag verstand es der emeritierte Direkro des Max-Planck-Institus für Bildungsforschung trefflich, den Zusammenhang einer gesamteuropäischen Entwicklung demokratischer Schulkultur aufzuzeigen, die nicht nur sich an fachübergreifenden pädagogischen Kompetenzen orientiert ist, sondern v.a. auch die Effektivitätssteigerung einer darauf ausgerichteten Kultur von Schule und Lernen in den Mittelpunkt stellt. Die Demokratiepädagogik ist in einer solchen Blickrichtung eben nicht nur ein Additum zu einer Schule, das da und dort gelingen möge, aber nicht wirklich zum Kernbestand pädagogischen Alltags gehört. Vielmehr entfaltet sich in einem solchen auf Nachhaltigkeit gerichteten Perspektive Demokratiepädagogik als Kernelement pädagogischer Professionalität und als Bestandteil des alltagsprägenden Umgangs in der Schule. Dass dabei die zur Zeit entstehenden Reformkorridore – wie sie sich etwa im Trend zu Ganztagschulen oder wenigstens pädagogisch sinnvollen Betreuungsangeboten zeigen – weitere Anknüpfungspunkte bieten, liegt auf der Hand.

Demokratie in der Schule – ein Podium

Podiumsdiskussionen sind ein Testfall für die Demokratie. Unumgänglich und notwendig, weil ein mögliches und praktizierbares Forum für politische Funktionsträger und interessierte Bürgerschaft, sind sie zugleich immer auch ein Prüfstein für die Geduld der Zuhörerinnen und Zuhörer, weil beispielsweise in Mainz alleine fünf hochkarätige Expertinnen und Experten etwas sagen müssen und natürlich auch sagen wollen. Das fordert Zeit, Aufmerksamkeit und zugleich Podianten, die ihr Anliegen und ihre Erfahrung plastisch im Wort präsentieren können– ohne der Gefahr der Verflachung zu erliegen.

Insbesondere die Vorsitzende der Landtags-Enquete-Kommission in der Pfalz, die Landtagsabgeordnete Ulla Brede-Hoffmann, hat mit ihrem Arbeitsergebnissen aus dieser Landtagskommision beeindrucken können. Hier hat sich pädagogische mit bürgerschaftlicher und bildungspolitischer Argumentation gekonnt verbunden. Auch der von ihr vorgelegte Bericht der Kommission an den Landtag beeindruckt mit viel Wissen, geschickter Recherche und dem im Ansatz erkennbaren Einbezug von Kindern als Expertinnen und Experten für ihr Lernen. Frau Brede-Hoffmann hat dem Publikum das Dokument zur Verfügung gestellt. Dort wird sichtbar und auf Schule und Jugendarbeit bezogen, was die Pädagogik oftmals schon weiß, so beispielsweise das grundlegende Problem, wie „das begeisterte Mitmachen von Kindern in der Grundschule schnell abreißt“. Wenn man bedenkt, wie wichtig ein stabiles und handlungsfestes Selbstkonzept bei Kindern alleine dafür ist, um Kompetenzen überhaupt ausbilden zu können, wird schlaglichtartig klar, dass die gegenwärtigen Versuche eines veränderten Übergangs von der Elementarstufe in die Schuleingangsphasen in vielen Bundesländern einen wichtigen demokratiepädagogischen Beitrag zur Schulentwicklung leisten können.

Gerade aber die kritischen Nachfragen aus dem Publikum verweisen allerdings auch auf reale und nicht leicht veränderbare Grenzen für die demokratiepädagogische Erneuerung der Schule. „Fehlende Zeiträume“, „zu hohe bürokratische Hürden und Regelungsdichte“ wurden von Schulleitern angesprochen – von Schülerinnen und Schülern die eben immer noch dominierende Erfahrung, in der Schule meist nicht als Partnerin und Partner mit Gestaltungsanspruch wahrgenommen zu werden.

Informelle Räume und „Kreatives Theater“

Eine Mittagspause bot Gelegenheiten für informelle Gespräche und die Ergebnispräsentationen von Programmschulen und Partnern des rheinland-pfälzischen BLK-Projektteils. Hier konnte auch der Wettbewerb „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ auf seine Angebote aufmerksam machen und hofft damit zu verdeutlichen, wie wichtig eine bundesweit und fachöffentlich sichtbare Bilanzierung der Arbeitserträge der BLK-Demokratie-Modellschulen ist. Wenn der Wettbewerb „Demokratisch Handeln“ bislang zwar immer wieder herausragende Ideen und Praxisbeispiele aus der Schullandschaft des Südweststaates erhalten hat, so fehlen doch verbindliche Strukturen von Beratung und Anknüpfung. Hier besteht für beide – den Bundeswettbewerb des Förderprogramms wie die Schulen des BLK-Projekts – ein schmaler Korridor für eine über die BLK-Laufzeit hinausgehende weitere Entwicklungsarbeit: Wir sollten die darin liegenden Chancen gemeinsam wahrnehmen.

Der Nachmittagsteil des Demokratie-Tags wurde eingeleitet von bezaubernden Theaterimprovisationen zum Thema „Schule und Demokratie“. Beeindruckend war die Vielfalt an Deutungsmustern, die den Theaterleuten bspw. zu „innerkollegialen Verhältnissen in der Schule“ und zum demokratiepädagogisch wirksamen Umgang mit und der Erfahrung von „Schnullern in der frühen Kindheit“ einfiel, um nur zwei beeindruckende Theater-Improvisations-Reaktionen auf vorher erfragte Publikums-Stichwörter zu benennen. Auch diese im besten Sinne geschärften Stegreif-Szenen haben deutlich gezeigt, wie elementar das Thema der Demokratieerziehung den Alltag von Schule sowie Kindern und Jugendlichen prägt.

Nachfolgend war eine Fülle von fünfzehn Workshops angeboten, die von den Partnerinnen und Partnern des Programms sowie den Modellschulen verantwortet wurden. Auch eine gedruckte Broschüre mit Vorträgen, Dokumenten und Arbeitshilfen war schon fertig und in der Tagung präsent, einer intensiven und gelungenen Organisation und Vorbereitung sei Dank!

Der „Demokratie-Tag“ hat in der Summe reiche Perspektiven aufgezeigt vor dem Hintergrund einer berechtigten Bilanz zu einer nahezu fünfjährigen Entwicklungsarbeit, die in dieser Zeit, vor allem aber in der der Zukunft von Schulentwicklung und Bildungspolitik nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern in ganz Deutschland noch mehr Aufmerksamkeit und politische Zuwendung benötigt. Ob sie die letztlich bekommt – über die übliche kurzfristig einsetzende Erregung und noch kürzer andauernde Unterstützung hinaus, die das Thema erhält, wenn die NPD in Landtage einmarschiert und rechtsradikale Jugendgewalt pressesensationelle Aufmerksamkeit erreicht – lässt Experten und die kritische Öffentlichkeit skeptisch werden. Beginnen wir letztlich nicht doch, uns zu sehr an die Präsenz antidemokratischer Kräfte und Stimmungen zu gewöhnen? Auch deshalb braucht dieser Demokratie-Tag weitere nachfolgende Demokratie-Tage. Im Herzen der Bürgerinnen und Bürger am besten 365-mal pro Jahr!

(Wolfgang Beutel, Jena)

 
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