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Erkenntnisse aus langjähriger Erfahrung treffen auf Fragen der Jugend

Eine zwanzigminütige Pause folgte auf die Preisverleihung des Hildegard Hamm-Brücher-Förderpreises am Donnerstag-Abend in den Räumen der IMAGINATA. Daraufhin kamen auf dem Podium Frau John, Herrn Prantl und Frau Schwan zu einem Gespräch zusammen. Moderiert wurde es von Stella, Thea und Pascal, alle drei sind mit einem Projekt zur Lernstatt gekommen. Die drei Schülerinnen und Schüler haben sich die Fragen selbst überlegt und souverän die Redebeiträge der Politikerinnen und Politiker zeitlich begrenzt, denn sie hatten wirklich viele Fragen, die alle beantwortet werden sollten - man kommt ja nicht täglich in den Genuss, so erfahrene Protagonisten der demokratischen Diskurse auszufragen.

Nun ist diese Preisverleihung keine reine Festveranstaltung, sie dient zur Vernetzung von engagierten Menschen und politisch aktuellen Themen. Frau Hildegard Hamm-Brücher ist der "Inbegriff von Zivilcourage in der Parteienpolitik" (Gesine Schwan) und Vorbild demokratisch handelnder Menschen, denn "Demokratie ist mehr als nur eine Wahlstimme in der Urne" (Heribert Prantl). Bei der Frage nach scheinbarer Politikverdrossenheit in der Jugend und zunehmendem Rechtspopulismus sieht Frau John "die Demokratie bei der Jugend in guten Händen, weil sie erkennt, dass die jungen Menschen weitaus internationaler agieren und die zunehmende Einwanderung der letzten Jahre die Horizonte geöffnet habe". Frau Schwan ist dahin gehend doch eher besorgt darüber, dass Vorurteile wieder wachsen und sich Ressentiments entfalten, sie sieht die aktuellen Anfeindungen gegen Griechenland sehr kritisch.

Als das Morden des NSU bekannt wurde, fragten Medien, Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit, wie es nur sein konnte, dass die Behörden – man vertraute ihnen, dass sie im Sinne der Bürgerinnen und Bürger handeln und bei Straftaten in alle Richtungen ermitteln - in der Aufklärung versagten. Diese Fragen haben auch die Schülerinnen und Schüler der Lernstatt den drei Politikerinnen und Politikern gestellt. Frau John hat einen bildlichen Vergleich angebracht: Wie hätten die Behörden wohl ermittelt, wenn die Opfer deutsche Kleinunternehmer oder Abgeordnete gewesen wären? Wohl kaum hätte man davon geredet, dass das familiäre und soziale Umfeld - mafiöse Strukturen, kriminelle Machenschaften - Grund dafür tragen würden, dass die neun Männer ermordet wurden. Weiter hat Prantl das politische Verständnis der Behörden so erklärt, dass sie meinen, dass "Linksaußen klug und deswegen gefährlich und Rechtsaußen dumm und deswegen ungefährlich sei". Ihn ärgert es, dass es keine Konsequenzen auf fremdenfeindliche Aktionen gibt, während bei den Ermittlungen gegen die RAF-Mitglieder und Sympathisanten große Untersuchungsgremien, Ermittlungsausschüsse und mediale Aufgebote ins Rollen gebracht wurden.

Da stellt sich folgend die aktuell im thüringischen Parlament diskutierte Frage, braucht man den Verfassungsschutz überhaupt oder bringt er sogar mehr antidemokratisches Potenzial mit sich? Frau John sagte recht nüchtern, dass sie die Idee unterstütze, schließlich habe er in seiner Aufgabe die Verfassung zu schützen versagt, "eine Verfassung kann man nicht töten, sie ist aus Papier, aber Menschen kann man töten und als das passiert ist, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht reagiert". Frau Schwan fügte hinzu, dass sie es wichtig findet, dennoch darüber zu diskutieren, ob der Verfassungsschutz auf Bundesebene weiter existieren solle, aber dann muss er sich "radikal ändern, transparent werden und [bedingungslos] sorgfältig kontrolliert und geprüft werden".

Bei so viel ernüchternden Tatsachen wollten die Schülerinnen und Schüler aber auch wissen, ob die Podiumsgäste ein wirksames Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit kennen. Direkt antwortete Frau John: "Mit Migranten reden, das bildet Verständnis gegenüber Anderem", das Publikum applaudierte. Frau Schwan lachte zustimmend und ergänzte, dass das Problem von Fremdenfeindlichkeit in den Existenzängsten der Menschen läge, man müsse an einer stabilen und ausgeglichenen Gesellschaft ohne Zukunftsängste arbeiten. Wie sei es anders zu erwarten, ermutigte Herr Prantl das Publikum und die jungen Demokraten zuzuhören, aufzuschreiben und in die Öffentlichkeit zu treten.

Dies waren Perspektiven auf kommunaler Ebene, aber was könnte eine humane Lösung in der europäischen Flüchtlingspolitik sein? Selbst wenn es einen flächenmäßig weitaus größeren Rahmen bedeutet, ist es auch in diesem Fall grundlegend mit den Menschen zu reden, ihre Bedürfnisse zu erfragen, "sie selbst entscheiden zu lassen, wo sie leben wollen und daraufhin die Gelder unter den Kommunen und Ländern zu verteilen" (Heribert Prantl) sowie den Menschen soziale Anlaufstellen und Unterstützung bieten. Außerdem ist es notwendig weiterhin Kritik an konservativen Werten zu äußern und für sozialen Fortschritt und Integration einzutreten, politisch aktiv zu bleiben und den Blick über die Grenzen von Deutschland zu wagen, internationalen Austausch und Politik zu betreiben.

Im Anschluss des Gespräches und der Preisverleihung haben sich Besucherinnen und Besucher des Abends im Sinne "Aufgeklärter Freiheit" in geselligen Runden an Stehtischen mit Vitamin-Spießen und Getränken zusammengefunden um den Abend der Lernstatt ausklingen zu lassen.

(Laura von Hirschhausen, 19. Juni 2015, Jena)

08.07.2015 (DI)

 
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