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Eine Geschichte von der Maus – Die Klosterkirche Andechs

Überrascht von einem recht heftigen, wenn auch kurzen Regenschauer erreichen wir nach einem steilen Aufstieg den "Heiligen Berg" über dem Ort Herrsching am Ammersee: den Wallfahrtsort Andechs.

Klöster: Kulturelle Zentren vom Mittelalter bis heute

Im überdachten Hof des Klosters bestaunen wir ein Modell der Anlage mit Wirtschaftsräumen, Wohn- und Arbeitsbereichen der Mönche, der Klosterkirche und der bekannten Brauerei. Die Wallfahrtskirche mit ihrem charakteristischen Zwiebelturm befindet sich auf dem höchsten Punkt des "Heiligen Berges" über 700 Meter über dem Meeresspiegel und ist dem heiligen Nikolaus von Myra sowie der heiligen Elisabeth von Thüringen geweiht. Bevor wir die Kirche betreten, erfahren wir einiges über die Geschichte von Andechs, die bereits im 10. Jahrhundert ihren Anfang nahm. Damals brachte Graf Rasso (880-954) aus dem Heiligen Land Reliquien auf die Burg Andechs. Die Heiligen drei Hostien gelangten jedoch erst 1180 nach Bayern. Nach einer ersten kurzen Einführung in die Bedeutung von Reliquien, Wallfahrten und der örtlich-konkreten Bindung des katholischen Glaubens an diese Elemente sind wir alle sehr gespannt darauf, den wohl bekanntesten Wallfahrtsort Deutschlands von innen zu sehen.

Kirche und Reliquie

Im Inneren der Kirche erwartet uns ein lichter barocker Kirchenraum, der auch kleine Elemente der Gotik und des Rokoko bereithält. Der Raum wirkt trotz seiner Länge von nur 30m und Breite von 15m offen und weit. Auffällig sind der berühmte Doppelchor und die durchlaufende Galerie mit Bildern und Texten zur Geschichte des Ortes sowie die Stuck- und Deckenbilder von Johann Baptist Zimmermann. Dies und die "Schmerzhafte Kapelle", in der Prinz Heinrich von Bayern und der Komponist Carl Orff beigesetzt wurden, wirken sehr beeindruckend. Vor dem imposanten Doppelhochaltar erfahren wir von politischen Verstrickungen, Verbannungen und Rehabilitierungen der Grafen von Andechs, die meist mit der Zerstörung von Burg und Kapelle einherging. Durch den Tod von Otto II., der letzte einflussreiche Spross der Familie Andechs-Meranien im Jahr 1248 stirbt das Adelsgeschlecht aus und alle Besitztümer fallen an das Haus Wittelsbach. Erneut wird die Burg geplündert und zerstört, doch auch die heiligen Reliquien gehen verloren. Jahrzehnte lang wird nach ihnen gesucht. Da weist unsere Reiseleiterin uns auf ein kleines Detail am Boden des Altars hin: eine Maus! Sie war es, der Sage nach, die am 26. Mai 1388 während einer Messe aus ihrem Versteck trat und einen Reliquienzettel ans Tageslicht gezerrt haben soll, ein Hinweis auf den verschollenen "Reliquienschatz".

Wie dem auch gewesen sei, man fand den Schatz und mit dem Fund kamen auch die Pilgerströme nach Andechs zurück. 1455 wurde das Stift in eine Benediktinerabtei umgewandelt. Seitdem betreuen Benedektiner den Reliquienschatz und die Wallfahrtsseelsorge. Einen Blick auf einen Teil der Reliquien können wir in der zweiten Etage unserer Führung erhalten. Über der Sebastianskapelle liegt das eigentliche "Herzstück" von Andechs, die 1472 geweihte "Heilige Kapelle". Hinter einer schweren Holztür mit ausgeklügeltem Schließsystem sind u.a. die drei in Bergkristall eingelegten Hostien zu sehen. Auf den Hostien erschienen folgende durch Blut sichtbaren Zeichen: Ein Fingerglied, ein Kreuz und die Inschrift IHS. Nachdem wir all diese Gegenstände betrachtet und viele interessante Neuigkeiten erfahren haben, schließen wir die Tür hinter uns wieder sicher ab. Wir kommen weg von dem tiefreligiösen Element der Reliquien, der "Überbleibsel" von Menschen und Funktionsträgern im Katholizismus, die bis heute eine glaubensbezeugende Bindekraft in der so sinnen- und erfahrungszugewandten katholischen Kirche erzeugen. Die Abstraktion in der Glaubenswelt reformierter Christen und die Nüchternheit säkularer Weltbetrachtung steht dem doch immer wieder staunend gegenüber.

Sammelpunkt im Voralpenland

Wir treten hinaus in den Garten der Kirche mit einem atemberaubenden Ausblick. Bei klarem Wetter kann man wohl die Zugspitze sehen. Doch wir haben nicht ganz so viel Glück. Dennoch ist das Panorama überwältigend. Warum das Kloster Andechs ein Publikumsmagnet mit ungefähr 1½ Millionen Besuchern im Jahr ist, zeigte uns die imposante und unterhaltsame Führung durch die Klosterkirche. Nicht minder beeindruckend ist die Umgebung des Klosters. Inmitten des Fünf-Seen-Landes im Landkreis Starnberg und im Angesicht der Alpenkette. Die Geschichte von der Maus als Entdecker des lang verloren geglaubten Schatzes von Andechs macht das in ihrer Mischung aus Glauben, Symbolkraft und religiöser Bindung nur noch sympatischer. Kirche – das war deutlich erkennbar – stiftet auf ihre Weise eben eine unmittelbare und starke Gemeinschaft. Bis heute ist die Frage offen, was davon die moderne demokratische Gesellschaft direkt mitnehmen kann.

(Michaela Weiss, Jena im August 2011)

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07.09.2011 (LR)

 
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