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Workshop 10 | Bericht

Im Adlerflug zum Flugblatt

Sie schwebten zu Hunderten durch die Luft: knisternde, bedruckte Seiten. Überall. Es war ein Regen von Flugblättern, der bei der Abschlussveranstaltung der "Lernstatt Demokratie" auf die Teilnehmer herunterging. Die Flugblätter entstanden auf dem Gelände der IMAGINATA Jena. In einem von zwölf Workshops, der sich dem Flugblatt als Form und Medium von freier Meinungsäußerung, ja Widerstand und damit als Mittel der Demokratie widmete.

Demgegenüber haben sich andere Workshops etwa mit sportlichem Zusammenhalt oder einer musikalischen Interpretation von demokratischen Grundlagen befasst. Zusammen produktiv werden, kreativ sein, das war von der Projektleitung als Ziel ausgeschrieben.

Das Flugblatt – ein vergessenes Mittel des Widerstands?

Im Flugblatt-Workshop passierte das in vielfältiger Art und Weise. Einerseits setzten sich die 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Flugblättern vergangener Jahrzehnte auseinander. Vorbild war dabei etwa die studentische Widerstandsgruppierung "Weiße Rose" um Hans und Sophie Scholl. Denn, was sie zur Zeit des Nationalsozialismus zu sagen hatte, gilt auch heute noch: "Das Höchste, das ein Mensch besitzt", sind der "freie Wille" und die "Freiheit, selbst einzugreifen in das Rad der Geschichte".

Trotz Internet ist so ein Flugblatt auch Heute eine gute Sache, um die eigene Meinung kund zu tun. "Es gibt schließlich immer noch genug Themen, über die es sich aufzuregen lohnt", sagt Workshopleiterin Elke Urban, die in ihrem Hauptberuf als Leiterin des Schulmuseums Leipzig einen guten Überblick über Widerstand und Meinungsvielfalt durch Flugblätter besitzt.

Zeitzeugen – Die Suche nach freier Meinungsäußerung in der DDR und eine alte Schreibmaschine

Ihre Schützlinge nahmen wahrlich kein Blatt vor den Mund. "Demokratie ist ein Spiel. Spiele es mit!", forderte etwa einer von ihnen und ein anderer wusste "Der Staat ist nicht etwas Fremdes. Der Staat, das sind Du und Ich!" Zum Schluss schrieben alle an einem Blatt: auf einer geradezu prähistorischen Schreibmaschine. "Dieses DDR-Teil verlangt seinem Schreiber ganz schön was ab", bemerkte Sozialkundelehrer Jörn Priemer aus dem pfälzischen Landau, als er quasi nach der Adlerflugmethode in die Tasten einer alten Reiseschreibmaschine hämmerte, denn mit dem Durchschlag hatte er so seine Probleme.

Eine solche Maschine hatte auch Rainer Müller benutzt, der am 9. November 1988 zusammen mit Freunden ein Flugblatt für Demokratie und gegen Neonazis und Diktatur hergestellt und anschließend in der Leipziger Nikolaikirche verteilt hatte. Nach dem Tippen hatten sie das Flugblatt mit einem Ormic-Gerät, so war der Name des DDR-Matritzen-Kopierers, vervielfältigt. Auch Rainer Müller wurde verhaftet. Im Workshop war er als Zeitzeuge zu Gast und hat eindrücklich von der Bedeutung des Freien Wortes gesprochen, das für den Gang der deutschen Diktaturgeschichte so gesehen wirklich zentral mit Schreibmaschine und Spiritus-Vervielfältiger zusammenhängt.

Was ist uns wichtig – lassen wir es fliegen

Letztlich lagen dem Team etwa 200 Flugblätter vor, die bei der Abschlussveranstaltung traditionell fliegender Weise unters Volk gebracht wurden. Ein beispielhafter Einsatz für die Demokratie, die man viel öfter feiern sollte, wie Wolfgang Beutel findet. Der Geschäftsführer des Förderprogramms "Demokratisch Handeln" zeigte sich beeindruckt: "Es ist schon toll, was die jungen Leute auf die Beine gestellt haben." Das habe gezeigt, dass es um viel mehr als eine Staatsform geht, nämlich auch um eine Lebenseinstellung. Die gelte es von Seiten der Schulen noch mehr zu fördern, erklärt Beutel. So etwas wie in diesem Workshop, das kann man mit einem Zeitetat von zwei Wochenstunden Sozialkunde kaum erreichen, so der Projektleiter weiter. "Junge Menschen müssen Demokratie erleben und nicht nur erzählt bekommen, was das ist oder sein könnte", fordert er.

Flugblätter können Heute immer noch Medium sein, wie wir wissen. Zugleich sehen wir aber auch - beispielsweise im Iran, wie wichtig neue Verbreitungsmethoden von Meinung, Beobachtung und Information sind. Vielleicht fliegt heute und künftig weniger Papier durch die Welt - dafür Webtexte in "Twitter" und Bilder in "YouTube" – Immer noch sind das Wort und die freie Meinung Wege zur Demokratie. 

(Jena, 22.06.09, Anne Armbrecht)

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