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Workshop 04 | Bericht

Arbeit in einer Erinnerungsstätte, Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte: Das sind Themen und Aufgaben einer Gedenk- und Geschichtskultur und zugleich der Stärkung der Demokratie. Das ist soweit Konsens. Wie aber kann man das im Einzelfall erreichen oder in Richtung Zukunft weiterdenken? Hierauf wollte der Workshop in der Villa ten Hompel Anschauung und Antwort geben. Mit einem Bilderbogen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster begrüßt. Darauf folgte ein interaktives Stein-Schere-Papier-Aktionselement für alle zum „Wachwerden“, bevor die Workshop-Leiter eine knappe Einführung in die Geschichte der früheren Fabrikantenresidenz gaben. Das Gebäude war während des Zweiten Weltkriegs Sitz von NS-Schreibtischtätern aus den Reihen der Ordnungspolizei und wurde 1999 als städtischer Geschichtsort der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das dortige Team sieht sich der historischen Annäherung an Opfer und der kritischen Analyse des Handelns von Tätern und Mitläufern verpflichtet. Es spart dabei auch die demokratiepädagogischen Grundsatzfragen zur gesellschaftlichen Gegenwart in Deutschland nicht aus. Der Lernstatt-Workshop präsentierte daher „Spezialitäten“ aus der „eigenen Methodenküche“ in altersgerechter und zudem bewusst provokanter Form.

Handlungsoptionen im Einsatz gegen Diskriminierung und Gewalt

Es begann mit in der Villa erprobten und bewährten Methodenarrangements. So wurde das Prinzip der Vier-Ecken-Abstimmung erklärt, das in Seminarprojekten des Hauses als diskursives Modul angewendet wird. Zwei Beispiele - ein rassistischer „Asylantrag“ und „Einkaufsregeln“ in einem „Tante-Emma-Laden“, der „Ausländer“ vom freien Geschäftszugang ausgeschlossen hatte - wurden kontrovers diskutiert. Dabei wurde beispielhaft besprochen, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Situationen und Ereignisse in beiden Fällen - die sich tatsächlich zugetragen hatten - bewerten und welche Handlungsalternativen bzw. Protestmöglichkeiten sich hierzu ergeben könnten. Da jedes Gruppenmitglied bei der Vier-Ecken-Abstimmung sich für eine Meinung oder Haltung entscheiden muss, kam eine rege Debatte in Gang. Nachfolgend wurden noch andere Vier-Ecken-Abstimmungen als Angebote kurz vorgestellt (Umgang mit „Hakenkreuz“ -Schmierereien auf einem Schulklo, mit „Schulhof-CDs“ der NPD sowie der Onlineversteigerung einer KZ-Karte). Nach diesem Einblick in Methoden und Materialien wurde die Gruppe geteilt mit dem Ziel, eigenständig neue Vier-Ecken-Module zu entwerfen. In beiden Teams wurden daraufhin zunächst Erfahrungen mit Diskriminierung sowie Möglichkeiten für neue Vier-Ecken-Optionen emsig besprochen. Nach dem Mittagessen wurden die neuen Beispiele der jeweils anderen Gruppe vorgeführt. Die erste Gruppe legte gleich drei mögliche Vier-Ecken-Abstimmungen vor, von denen aufgrund der fortgeschrittenen Zeit lediglich zwei ausführlicher besprochen werden konnten: Es ging einerseits um eine Managerin, die in einem großen Konzern einen Leitungsposten übernehmen sollte. Weil sie aber schwanger wurde, blieb ihr der Aufstieg letztendlich verwehrt. Die Diskussion um die Diskriminierung von Frauen im Alltags- und Berufsleben stand im Mittelpunkt! Das zweite Beispiel nahm einen Soldaten in den Blick, der sich für eine Tätigkeit als Ausbilder bei der Bundeswehr beworben hatte. Aufgrund der Tatsache, dass er homosexuell war, erhielt er den Posten allerdings nicht und wurde in die Schreibstube versetzt. Diese Arbeitsphase abschließend wurde noch eine Debatte um Bildungschancen von Kindern aus sozial schwächeren Familien angeregt. Die zweite Gruppe gab eine Situation im schulischen Sportunterricht vor, bei der im Zuge einer Mannschaftswahl ein sehr beleibter Schüler „übrig“ bleibt und sich sogar noch beleidigende Bemerkungen anhören muss - vermutlich ein „Normalfall“ aus den dunklen Ecken der bundesdeutschen Sportdidaktik. Gegenstand der Diskussion war, ob man dem Jugendlichen möglicherweise eine Verantwortung für seine Leibesfülle geben müsse. Insgesamt war man sich aber einig, dass niemand - egal warum - deshalb Diskriminierungen ausgesetzt sein dürfe. Denn in diesem Falle handele es sich um Mobbing in perfider Form, sogar seitens des Lehrers, der es unterlässt, hier an entscheidender Stelle zu intervenieren.

Zur Hausgeschichte der Villa: Wie und warum an NS-Täter erinnern?

Nun sollte Geschichte und Aufgabe der Münsteraner Arbeits- und Erinnerungsstätte in den Fokus rücken. Das gelang mit einer das Nachdenken anregenden Provokation: Der Schauspieler Andreas Breiing (Münster) überraschte die Runde in der Villa ten Hompel. Er präsentierte zunächst einen Ausschnitt aus dem „Buschtrommel“-Kabarettprogramm mit dem so genannten „Scherzengel Gabriel“. Bei dieser Figur kehrt der als verdreht-verkleidete Adolf Hitler im Nachtgewand mit Engelsflügeln auf die Erde zurück, um sich für das NS-Terrorregime zu entschuldigen, es sei „ja nicht so gemeint gewesen“. Anschließend trug er eine gekürzte Version der authentischen „Tischgespräche“ Hitlers vor. Tischgespräche, das erinnert an die geistreichen Intellektuellengespräche bspw. zwischen Goethe und dessen Freund Eckermann. Tischgespräche bei Hitler? Dabei handelt sich um private und erschreckend banale bis bösartige Monologe Hitlers, die als historische Quellen in Schriftform überliefert sind: „Meine Schäferhündin Blondi ist in gewisser Hinsicht auch Vegetarier - sie frisst bestimmte Grasbüschel geradezu mit Behagen!“, von solchen geistlosen-dummen Parallelisierungen bis hin zum unsäglichen Vergleich seiner selbst mit dem Genie Mozarts reicht das Spektrum kleinbürgerlich-autorepressiver Äußerungen: „Das Schlimmste ist doch, wenn man in einer Umgebung lebt, die für das, was man schafft, kein Verständnis hat. Wenn ich denke, dass man Mozart in ein Massengrab geworfen hat! Ich habe doch ein unerhörtes Glück gehabt, und noch größeres Glück hat das deutsche Volk!“ (vgl hierzu Ausschnitte auf: www.tischgespraeche.net). Man hat Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“ im Blick auf den Jerusalemer Eichmann-Prozess und auf die Erscheinung dieser abstrusen Täter-Figur des öfteren Verharmlosung der ideologischen Hintergründe und der moralischen Verantwortung des Einzelnen in totalitären Systemen vorgeworfen. Diese Vorstellung hat es nochmals gezeigt, dass in gewisser Weise das Sprachbild, das Arendt gewählt hat, zutreffend und dennoch fragwürdig ist: Ist das nur banal? Nach beiden Darbietungen, die auch als Varianten der Auseinandersetzung mit Täterschaft und der NS-Diktatur zwischen 1933 und 1945 auf provokante Weise im Raum standen, wurde rege erörtert, inwieweit man solche Stücke in Schule oder Jugendarbeit aufführen sollte. Es ging dabei darum, ob sie „pädagogisch sinnvoll“ seien oder ob von ihnen nicht vielleicht sogar im Gegenteil eine Gefahr ausgehe. „Darf über Hitler gelacht werden?“, so eine zweite Frage, die ja gerade vor künstlerischem Hintergrund schon Zeitgenossen heftig entzweite. Beispielhaft erwähnt seien nur Ernst Lubitsch (To be or not to be) und Charles Chaplin (Der große Diktator) mit ihren bizarren Hitler-Komödien. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops waren sich in ihrer eigenen Analyse der Darbietungen darüber einig, dass man sich mit dem Nationalsozialismus auseinander gesetzt haben sollte. Viele der Jugendlichen empfanden die Tischgespräche als Impuls zu einer solch intensiven Auseinandersetzung. Kabarettistische Überzeichnung bringe weniger Erkenntnisgewinn, so das einhellige Urteil. Andreas Breiing betonte, dass er sich darüber bewusst sei, dass es sich beim „Scherzengel Gabriel“ um eine Art „Tabubruch“ handele, der bewusst auf der Bühne vollzogen werde und mit dem auch kein bildender oder gar aufklärerischer Anspruch einher gehe, eher eine Art Demaskierung und Provokation. Das Format der „Tischgespräche“ habe dagegen dokumentarischen Charakter und bringe bei Abendveranstaltungen regelmäßig Menschen aus den unterschiedlichen Generationen ins Gespräch. Intensive Gespräche, substanzielle Informationen zu Aufgabe und Alltag einer lokalen Erinnerungsstätte, die sich insbesondere mit dem Aspekt der Täterschaft im Nationalsozialismus befassen möchte sowie die provokative Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass der Bruch mit universellen Normen des Humanen und mit der demokratischen Ordnung im Politischen nicht ein historisches Phänomen ist, das sich im Nationalsozialismus Bann gebrochen hat, sondern in je eigener und nicht konkret beschreibbarer Art dauerhafte Gefahren beschreibt, denen die offene Gesellschaft nur mit bewusst gepflegter demokratischer Kultur und Haltung begegnen kann. Dies war insgeheim Botschaft und Ertrag dieses Workshops, der zudem nicht verheimlichen wollte, das auch diese Arbeit spielerische Momente enthalten sollte und die Menschen ansprechen kann und muss. (Münster, 10.6.2008 Dajana Ritz/Stefan Querl unter Mitarbeit von Wolfgang Beutel)

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