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Workshop 12 | Bericht

"Wie demokratisch kann und soll Schule sein?"

Barbara Winter, Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Ich öffne die Tür, acht Köpfe drehen sich zu mir. Der Workshop "Wie demokratisch kann und soll Schule sein?" ist für Lehrer. Mitleidige Blicke verraten mir, dass etwas nicht stimmt. Man schickt mich zu Dr. Zoltan Samu, zur Zeit Habilitand in Jena: "Workshop Nr. 12 wurde mangels Teilnehmern abgesagt". Von den neun Personen verlassen vier den Raum, um andere Workshops zu besuchen.

Eine abrupte Wendung!

Ein Raum von der Größe eines Klassenzimmers für ganze fünf Personen und mich! Sehr karg: ein Tisch, viele Stühle. Die Teilnehmerzahl ist von 19 auf eins gesunken. Die zwei Leiter des Workshops, eine studentische Hilfskraft und eine technische Assistentin beraten über den Fortgang des Tages. Nach kurzer Zeit wird festgelegt, die Veranstaltung nicht vollkommen abzusagen. Schnell werde ich zum zweiten Teilnehmer gemacht, obwohl ich eigentlich nur als stiller Beobachter eine Reportage verfassen sollte und kein Lehrer bin. Der Laptop wird hochgefahren und die Power Point Präsentation gestartet. Diese Entwicklung erfreut vor allem Klaus Mögling, Politiklehrer eines Oberstufengymnasiums, der selbst mit zwei Schülern hier bei der 15. Lernstatt Demokratie ist, um ein Projekt vorstellen.

Das BLK-Programm "Demokratie lernen und leben"

Jetzt geht es also darum, uns das BLK-Programm "Demokratie lernen und lehren" vorzustellen. Die Situation bei vielen Jugendlichen sei alarmierend: rechte Gewalt, Gewalt an den Schulen und Politikverdrossenheit führten zu einer bedenklichen Einstellung gegenüber der Gesellschaft. Schule werde nurmehr als permanente Konkurrenz angesehen, Misserfolge führten zu Desorientiertheit und Leistungsschwächen. Zum Teil versuchten Jugendliche, diese Mängel durch Gewalt auszugleichen. Die Tendenz der Gewaltsteigerung werde hervorgerufen durch Gruppenzwang, Globalisierung und die Nachwehen der "Wende" und damit der deutschen Wiedervereinigung. Der Markt und die Medien führten zu einer neuen - ja etwa: falschen? - Schwerpunktsetzung bei den Jugendlichen und auch die Komplexität der Politik sei für viele Jugendliche nur schwer verständlich und wecke eher das Interesse an politischen Randgruppen.

Das Programm "Demokratie lernen und leben" setzt nun genau hier an. Seine Aufgabe ist es, Jugendliche mit Demokratie vertraut zu machen, Jugendlichen mehr Erfahrung des Miteinanders zu ermöglichen und dadurch den "Rückzug in das Privatleben" zu minimieren. Es will ihr Interesse am gesellschaftlich-politischen Leben zu wecken und vor allem zur Einsicht beitragen, dass sich mit Demokratie mehr erreichen lässt, als mit Gewalt. "Die Idee die hinter dem Programm steht ist die demokratische Verbesserung schulischer und außerschulischer Bildung und Erziehung", erklärt Karen Ritze.

Bildungsziele des Programms sind die demokratische Handlungskompetenz der Schüler, deren wichtigster Bestandteil "kritische Loyalität" ist und das Aneignen von Kompetenzen durch praktisches Umsetzen des theoretischen Wissens. Das soll dazu führen, dass man demokratisches und solidarisches Handeln selbst einübt. Dieses Ziel fordert von den Lehrern ein ausgewogenes Verhältnis von Theorie und Praxis im Unterricht. Das Erreichen dieser Ziele jedoch ist schwierig, weil Fächer wie Ethik und Sozialkunde im Stundenplan mit viel zu wenigen Stunden bedacht sind.

Schüler sollen aktiv werden

Gefordert wird auch mehr Schüler-aktiver Unterricht (z.B. Projekte), bei dem Jugendliche lernen mit Kritik umzugehen, andere Meinungen zu akzeptieren und zu tolerieren, Methoden der Arbeitsteilung erlernen und Verantwortung übernehmen. Solche innovativen Unterrichtsprojekte sollen dazu führen, dass der Schüler den Stoff hinterfragt und ihn nicht nur auswendig lernt. Außerdem soll "die Selbstständigkeit des Schülers gefordert werden und er soll sich leichter eine eigene Meinung bilden können.", sagt Dr. Zoltan Samu. Schwerpunkt des Projekts ist deshalb nicht nur Gewaltprävention, sondern auch interkulturelles Lernen, die zur Integration von ausländischen Mitschülern und Minderheiten beitragen soll.

Die Programmträgerschaft für das Projekt "Demokratie lernen und leben" wurde dem Interdisziplinären Zentrum für Lehr- und Lernforschung (IZLL) an der FU Berlin übergeben, finanziert wird es vom Bundesministerium für Bildung und dem Kultusministerium.

An dem Programm nehmen Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen / Regelschulen, Gymnasien, Förderschulen und assoziierte Schulen teil. In Jena sind dies z.B. die Jena Planschule, das Staatliche Förderzentrum "Johann-Heinrich-Pestalozzi" und das Staatliche Gymnasium Am Anger. Bundesweit wirken etwa 180-200 Schulen mit, hier in Thüringen sind es 12.

Erste Ergebnisse

2002 lief das Projekt an, erste Ausschreiben wurden an die Schulen geschickt. Die Laufzeit beträgt 5 Jahre. Nach drei Jahren lassen sich jedoch noch keine direkten Ergebnisse feststellen, diese seien nur individuell in den Schulen zu erkennen, erklärte Karen Ritze. Da die Präsentation der Ergebnisse einzelner Schulen aber abgesagt wurde und die Präsentierenden selbst an anderen Workshops teilnehmen, wird nur von einem Gymnasium in Neuhaus berichtet, an dem Schulleiter Ralph Leipold die Einrichtung eines Schülerparlaments befürwortete, das eigenständig in Ausschüssen arbeitet und die Organisation des Schulfests und vieles mehr übernimmt. Diese innerschulische Partizipation beweise, dass sich eine Schule durchaus demokratischer organisieren lasse, sagen Frau Ritze und Herr Samu. Zu diesem Fazit kam auch unsere Diskussion, die durch das große Interesse von Klaus Mögling nie versiegte. Warum aber gibt es daran nur so wenig Interesse bei den Lehrern? Diese Frage bewegt mich doch auch: "Viele Lehrer sehen es als zusätzliche Belastung, zusätzlichen Job", erläutert Dr. Zoltan; Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass sich einige Schulen nur anmeldeten, um Fördermittel bewilligt zu bekommen.

Gegen 12 Uhr entschließen wir uns dazu, eventuelle letzte Fragen per E-Mail zu klären, nehmen die vielen Informationsmaterialien, die uns während des Gesprächs überlassen worden waren und verlassen den Raum. Ein recht kurzes, aber dafür intensives Vergnügen liegt hinter uns.

Ein zwiespältiges Resümée

Am nächsten Tag dem 17.06.2005, an dem alle Workshops ihre Ergebnisse präsentieren, entdecke ich nur Herrn Mögling wieder, der wie ich als Zuschauer die Wundertaten der anderen Workshopteilnehmer verfolgt, da wir zu dem Schluss kamen, dass mit nur zwei Teilnehmern keine Präsentation zu machen sei.

Ich persönlich fand alles in allem den Tag nur bedingt erfüllend. Als ich die Erzählungen meiner Schüler-Reportage-Kollegen und -Kolleginnen hörte, wurde ich ganz neidisch! Ich fand es auch komisch, dass die Veranstalter der Workshops kaum über unser Kommen informiert waren, außerdem hätte man mir ruhig zügiger sagen können, dass "mein" Workshop nicht stattfindet.

Ich hatte mich für diesen Workshop doch auch deshalb entschieden, weil ich dachte, dass man unter Lehrern viel neues über die Organisation der Schule erfahren und vielleicht auch mal ein bisschen hinter die Kulissen blicken könnte - da habe ich mich aber leider getäuscht! Wenigstens habe ich viel über das BLK Programm "Demokratie lernen und leben" erfahren (BLK steht übrigens für Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung).

Ich muss allerdings sagen, dass ich von der Notwendigkeit des Programms noch nicht vollends überzeugt bin. Die wichtigste Instanz für das Verhalten von Schülern ist nach meiner Meinung immer noch das Elternhaus. Natürlich prägt uns auch die Schule entscheidend, aber wie das chinesische Sprichwort schon sagt: "Lehrer öffnen die Tür, eintreten musst du selbst".

Doch auch wenn mir mein Workshop nur bedingt gefallen hat, so denke ich, dass die Lernstatt Demokratie eine sinnvolle Veranstaltung ist, die ich jederzeit wieder besuchen würde.

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