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Workshop 09 | Bericht

Der Jasager und Der Neinsager - Eine Reportage aus dem Theater-Workshop

Astrid Heinecke, Kl. 11 am Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Lustige Spiele, sympathische Darsteller, Brecht-Theater, Willenskraft und Demokratie: Das alles erleben und verbindet die 13 Teilnehmer des Theater-Workshops, der unter Leitung des erfahrenen Jenaer Theaterpädagogen Andreas Ittner im Rahmen der "Lernstatt Demokratie 2005" durchgeführt wurde.

Die Akteure sind aus sämtlichen Teilen der Bundesrepublik angereist, um ihre Projekte für Demokratisches Handeln zu präsentieren und mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten, in diesem Fall Theater zu spielen. So gibt es auch keinerlei Hemmungen als die Erwärmung von Körper und Stimme eingeleitet wird. Alle beteiligen sich aktiv am Geschehen. Herr Ittner, erfahren in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen in der Form des Bewegungstheaters ohne Worte, fordert die Beteiligten auf, Objekte zu benutzen, die eigentlich kaum zu beherrschen sind. Die wohl widerspenstigsten Gummiblasen der Welt werden aufgepustet: Luftballons, jeder arbeitet an einem. Es soll mit ihnen gespielt werden. Alle sind eifrig bei der Sache. Da kommt es zu Fußtritten, Schlägen, Kicken, Ganzkörpereinsätzen und sogar Beschimpfungen an das Flugobjekt. Vollkommene Lockerheit unter den Anwesenden. Keinem ist etwas peinlich. "Man fährt mit der Anregung nach Hause, das auch mal so zu machen", sagt Elke Otto aus Brandenburg zu den nachfolgenden Übungen und Dialogen zur Gestik, Mimik und Artikulation untereinander. Zum Beispiel sprechen wir das Alphabet in verschiedenen Melodien, Rhythmen und Tonarten; wir bedienen uns einer "Schwabbelsprache" oder unterhalten uns im "Singsang". Auch die bekannte "Theaterohrfeige" wird ausprobiert, wobei der "Geschlagene" diese unterschiedlich interpretiert. Es ist zum Kaputtlachen, mit welchem Engagement die Leute dabei sind, wenn es um das Verteilen von Ohrfeigen geht. Alle kommen richtig in Schwung! Als letztes folgt das "Highlight" der Erwärmung, das "Hexen-Einmaleins" in verschiedenen Darstellungsformen. Auch hier kommt Spaß am Theaterspielen zum Ausdruck. So sagt der 16-jährige Oliver Cholotta aus Marktheidenfeld bei Würzburg auf die Frage, warum er diesen Workshop wählte: "..., weil ich Theater liebe. Schon ungefähr seit der 7./8. Klasse Theater spiele, Workshops gemacht habe und einfach mal ausprobieren wollte, wie es hier werden würde..." Auch Karolina Kosenko (14) aus Berlin bezeichnet Theater als ihr Leben.

Wir lesen ...

15 Minuten Pause. Alles schweigt und liest. "Der Jasager und der Neinsager", ein Lehrstück Bertolt Brechts, das auf einer japanischen Vorlage beruht, ist einzustudieren. Seine Aufführung am nächsten Tag soll die Ergebnisse des Theater-Workshops präsentieren. Das Stück handelt von einem Knaben, der sich mit einer Gruppe auf eine beschwerliche Reise über ein Gebirge begibt, um für seine kranke Mutter lebenswichtige "Medizin zu holen und Unterweisung". Allerdings erkrankt er selber und blockiert somit den weiteren Verlauf der Reise. Gemäß eines alten Brauchs, soll er nun zurückgelassen werden. Aber der Brauch besagt auch, dass man denjenigen befragt, ob er einverstanden sei. Der Knabe antwortet dem Brauch gemäß und wird zum "Jasager". Brecht, mit dem Ausgang des Stücks nicht zufrieden, wiederholt in einem zweiten, nahezu identischen Durchspiel die Fabel bis zu der Stelle, wo der Knabe über sein Schicksal befragt wird. Dabei antwortet der jetzt mit "Nein", entsprechend verändert sich der Ausgang des Stücks. So haben nun acht Lehrer- und Schülerinnen, sowie fünf Lehrer und Schüler die Aufgabe, das Stück zu lesen, sich hineinzuversetzen und es miteinander durchzusprechen.

Ein schweres Unterfangen, denn das Stück, in seiner Struktur zwar in knappen, kurzen, klaren Sätzen verfasst, birgt dennoch einige Unklarheiten, so dass diskutiert werden muss. Verständnisfragen werden geklärt und inhaltliche Erläuterungen vorgenommen, bevor es mit verteilten Rollen gelesen wird. Ohne Umschweife wird entschieden, wer welche Rolle liest. Es scheint niemand mit seiner Rolle unzufrieden. Schon das erste Vortragen fesselt. Allerdings ist die Fassung jetzt noch zu lang. So stellt sich die Frage: "Wie bekommt man das gesamte Stück in einer Zeit von nur 10 bis max. 15 Minuten mit 13 Leuten auf die Bühne?" Doch die Mehrheit wolle es erst einmal aufführen, um sich einen Blick als spielende Figuren zu verschaffen.

Später rede ich mit Oliver darüber. Er war mit dem sofortigen Spielen nicht zufrieden: "Anfänglich hat es mir sehr viel Spaß gemacht. Später wurde es mir etwas zu hektisch, da dann alle nur noch anfangen wollten." Dann gibt es bereits Mittagessen und anderthalb Stunde Pause. Man freut sich auf ein wenig Erholung und genießt anschließend die Sonne.

Danach werden Vorschläge für Kürzungen vorgetragen. Dies alles geschieht in einem der Demokratie als Anspruch verpflichteten Verfahren. Jeder lässt den anderen ausreden, bevor er fragt, ob er reden darf und jeder hört jedem gespannt und kritisch zu. So kommt die Gruppe nach einer Abstimmung zur Entscheidung, das Stück zu teilen. Zwei Gruppen werden gebildet: die "Jasager"- (7er-) und die "Neinsager"- (6er-) Gruppe.

... und beginnen mit der Einstudierung

Klappernde Hölzer der "Mikadogruppe", ein Zug, der vorbeirauscht, laute Musik aus einem Nachbargebäude und störende Windgeräusche. Kevin Schedemolk (15) ist kaum noch zu verstehen. Hintergrund: "Ich fände es besser raus zu gehen, weil wir da größere Entfernungen sprechen, notgedrungen auch lauter und artikulierter sprechen, müssen. Wir sprechen ja nachher für die Bühne. Also eine gute Übung.", empfiehlt zuvor Bernd-Rainer Hellrung (60), Lehrer für Deutsch, Politik, Geschichte, Darstellendes Spiel am Schulzentrum "Geschwister Scholl" in Bremerhaven. Nicht notwendige, überflüssige Textstellen fliegen raus, Abstände zwischen den Spielenden werden je nach Gefühl vergrößert oder verringert.

Die "Neinsager" greifen ein

Die "Neinsager" legen sehr großen Wert auf nicht relevant erscheinende Dinge, die aber eine große Bedeutung für die Aufführung an sich haben. Elke Otto (52) aus Eberswalde bei Berlin ist Real-Lehrerin für Deutsch, Englisch sowie Darstellung und Gestalten. Mit letzterem hat sie ihr Hobby zu einem Teil ihres Berufes gemacht. Da lag die Wahl dieses Workshops auch bei ihr sehr nahe. Sie sitzt unter einem Schatten spendenden Baum und beobachtet die Spielkünste ihrer "Neinsager"-Gruppe. Auf ihren Rat als "Zuschauerin" werden Veränderungen vorgenommen. Auch Bernd Hellrung steckt voller Ideen. Jeder kann seine Gedanken vortragen, denn - obwohl streng in der Form - die Lehrstücke Brechts sind offen für eigene, aktuelle Erfindungen der Schauspieler. Somit sind auch Olivers Ideen, die der Deutsch- und Geschichtslehrerin Frau Steffi Gosdschik (34) aus Dresden und die der 17-Jährigen Karoline Grimm aus Bremerhaven nicht zu verachten. Man macht sich in der Gruppe viele Gedanken darüber, wie das Stück beim Zuschauer ankommt: "Theater lebt davon, dass die Leute zusammen auf der Bühne stehen und Vertrauen zueinander entwickeln", so formuliert das Bernd Hellrung.

Die "Jasager" spielen eher intuitiv

Bei der "Jasager"-Gruppe macht man sich nicht ganz so viele Gedanken über Aufstellungen der Personen und Vermittlung der Charaktere wie bei der "Neinsager"-Gruppe. Hier scheint es, als spiele man das Stück der Übung wegen. Eine tolle Schauspielerleistung bringt dabei in diesem Team Arnbjörn Mechau (18) aus Oldenburg, der die kranke Mutter spielt. Bemerkenswert auch Niklas Gajewski, der den schwer mit sich ringenden Knaben vorträgt. Auch in dieser Gruppe bringt jeder nach stundenlanger Arbeit noch die Kraft auf, dem anderen zuzuhören und sich nicht über ihn zu stellen.

Dennoch: Es hat den Anschein als haben Kraft und Enthusiasmus bei den Schülern insgesamt nachgelassen. Karolina Kosenko hört man nach einer Viertelstunde-Pause mit erschöpfter Stimme zu Herrn Ittner sagen: "Was haben wir ihnen angetan, dass sie uns so quälen?" Dieser äußert sich später dazu: "Dadurch, dass wir zwei Gruppen gebildet haben, war die Arbeit viel intensiver. Logischerweise gab es dann die Schwierigkeit, wie man alles wieder zusammenbekommt. Aber es war nur eine technische Frage, weil es die bevorstehende Präsentation gab. Sonst hätte das gar nicht stattgefunden."

Was zeigen wir dem Plenum der Lernstatt Demokratie?

Nun bestand die Notwendigkeit gemeinsam zu überlegen, wie sich das Stück in max. 15 Minuten spielen ließe, erschwert dadurch, dass die beiden Gruppen zwei unterschiedliche Darstellungen entwickelt haben. Eine Einigung musste her. Stimmen werden laut, wie schwer Demokratie in die Praxis doch umzusetzen sei. Aber wir finden eine Lösung: Der Anfang vom "Neinsager", das bittere Ende des "Jasagers" und dann das Alternativende des "Neinsagers" - das soll nacheinander präsentiert werden. Die gestoppte Zeit: genau 15 Minuten.

Bernd Hellrung bringt die Entscheidungssituation auf den Punkt: "Das kann man nur unter höchster Kompromissbereitschaft und bei demokratischen Verhältnissen machen. Einige müssen unter Berücksichtigung der Zeitknappheit auf ihren größten Rollenteil verzichten." So z.B. Arnbjörn, der seine gesamte Rolle an Steffi Gosdschik, die Mutter des "Neinsagers", verlor. Arnbjörn: "Es macht mir nichts aus. War ja auch besser so." Das fällt nicht jedem leicht, aber wenn wir auch in dieser Gruppe Demokratie kultivieren wollen, bringt dies so etwas eben mit sich.

Es wäre schöner gewesen, das Theaterstück hätte offen geendet, aber die Präsentation brachte noch mal einen Zugzwang und dadurch kleine Spannungen mit, die dann nicht mehr rauszubügeln waren.", sagt Andreas Ittner im Nachhinein über den Verlauf. Auf die Frage, ob die Gruppe aufgrund der zum Ende vorhandenen Spannungen eine Entwicklung durchgemacht hat, antwortet er: "Bei der Präsentation haben sie in der Sprachkultur zugelegt. Sie haben lauter und dynamischer gesprochen, damit man sie besser versteht. Es haben trotzdem alle ihr bestes gegeben. Zugunsten des gesamten Kunstwerks müssen Kompromisse eingegangen werden und nicht jeder kann immer seine Lieblingsrolle vorführen. So wurde ein Grundprinzip der Demokratie deutlich: auf andere hören, sie zu verstehen, ihnen entgegen zu gehen, Kompromisse zu wählen." Herr Ittner ist der Ansicht, dass diese Art und Weise, wie die Probleme diskutiert wurden, wie mit ihnen umgegangen wurde, im weitesten Sinne schon diesen demokratischen Sinn realisieren.

Was kommt dabei heraus?

Hier sind Menschen zusammen gekommen, die eines zusammen geführt hat: der Wunsch, Demokratie und demokratisches Handeln zu fördern und den Willen, es auch in die Tat umzusetzen. Durch dieses gemeinsame Ziel gibt es bei der Zusammenarbeit auch kaum große Probleme und am Ende steht eine Aufführung.

"Man nimmt auf jeden Fall etwas mit", so Karolina Kosenko. Denn schließlich und sagte schon der offensichtlich unter den Teilnehmern der Gruppe sehr geschätzte Bertolt Brecht:

"Lehrt das Lehrstück [doch] dadurch, dass es gespielt wird, nicht dadurch, dass es gesehen wird. Prinzipiell ist für das Lehrstück kein Zuschauer nötig ... . es liegt dem Lehrstück die Erwartung zugrunde, dass der Spielende durch die Durchführung bestimmter Handlungsweisen und Wiedergabe bestimmter Reden ... gesellschaftlich beeinflusst werden kann."

Ich habe als Reporterin in diesem Workshops viele nette Menschen kennen gelernt und beobachten dürfen, wie sie aufeinander zugingen, sich gegenseitig akzeptierten und durchweg demokratisch Entscheidungen getroffen haben. Der Donnerstag hat mir deshalb den Begriff "Demokratie" näher gebracht und der gesamte Theaterworkshop war in seinem Verlauf eine Bereicherung, die ich nicht missen möchte. Hinzu kommt: Dafür, dass die Darsteller nur einen Tag zur Verfügung hatten, stand am Ende eine bemerkenswerte Schauspielerleistung, womit die Teilnehmer ihr Ziel unverkennbar erreicht haben.

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