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Workshop 07 | Bericht

"WortWerkStattFlüstern" -
Schreiben und mit Texten umgehen

Christin Herzer, Kl. 11 Carl-Zeiss-Gymnasium Jena

Es ist der Donnerstag Morgen. Mit einem kleinen Text-Ausdruck in der Hand stehe ich auf dem Imaginata-Gelände in Jena, dem diesjährigen Austragungsort der 15.Lernstatt Demokratie: "WortWerkStattFlüstern - Ein Textworkshop, Ort: Trafobox 3."

Trafobox. Ich schlucke. Denn obwohl ich in Physik nie wirklich eine Leuchte war, bringe ich mit dem Begriff des Transformators unbewusst Elektrizität in Verbindung. Aber Optimist wie ich bin, sagen wir zusammenfassend: für Spannung ist gesorgt! Mein Blick bleibt an einem Schild mit riesigen Lettern und einem schwarzen Pfeil hängen. Na dann, Trafobox, ich komme.

Etwas unbehaglich wird mir dann aber doch als ich auf die schmale Eisentreppe zusteuere, die mich unkrautbewachsen, am hinteren Ende des Gebäudes, zu meinem Workshop bringen soll. Auf dem unebenen Weg, der sich anschließt und vorsichtshalber von einem mit grünem Teppich belegten Holzsteg versehen wurde, laufe ich weiter. Das Holz knarrt unter meinen Füßen, als der Weg vor einer Tür abrupt endet. Trafobox 3. Ich drücke die Türklinke nach unten und betrete den Raum. Der Transformator, der hier einmal gestanden haben muss, ist nicht einmal mehr annährend erahnbar.

In Gedanken lache ich mich selber aus. Was hast du erwartet? Zwischen riesigen Spulen und Kabelsalaten deinen Workshop fristen zu müssen? Mit vier Schritten habe ich den Tisch erreicht und stehe etwas unschlüssig davor. Die schon anwesenden Teilnehmer sehen mich interessiert und überrascht, auch leicht irritiert an. Ich will mich gerade vorstellen, als eine weitere Tür aufgeht und die restlichen Teilnehmer ausspuckt. Ein großer, schlaksiger Mann, sportlich gekleidet, tritt auf mich zu. Offensichtlich der Moderator, Tobias Petzoldt. Wir reichen uns die Hand und bevor Fragen kommen können, beginne ich den mir zuvor zu Recht gelegten Text abzuspulen. Er nickt und tritt zum Tisch. "Okay, ein neues Mitglied." Ich lächle in die Runde und lasse mich auf einen Stuhl am Tisch plumpsen, froh endlich nicht mehr im Mittelpunkt allen Interesses zu stehen.

Spannung mit Texten

Einige Minuten später finde ich mich, noch immer am selben Ort, vor einem Blatt Papier sitzend und auf ein Metronom starrend wieder. Das pyramidenförmige Holzgestell schlägt in seinem eigentümlichen Rhythmus und gibt einen Takt vor. Gleichbleibend. Monoton. Für drei Minuten! Dann beugt Tobias sich vor, schaltet es ab und sieht erwartungsvoll in die kleine Runde, die sich hier zusammengefunden hat. Insgesamt neun Leute, einschließlich ihm und mir. Einer nach dem Anderen trägt vor, was er oder sie bei dieser Übung - im Takt des Metronoms zu schreiben - festgehalten hat. Verblüffend sind die Häufungen von "Zeit", "Leben" und "Uhr" in fast allen Texten.

Wir lehnen uns zurück und schauen der nächsten Aufgabe entgegen. "Schreiben ist immer beschränken", Tobias blickt langsam von einem schweigenden Gesicht zum nächsten, "sich Konzentrieren auf das Wesentliche". Verwundert und zum Teil auch verunsichert starren nun alle auf das vor ihnen liegende Blatt Papier. Ein Blatt mit nichts weiter als ein paar Strichen, die in einem bestimmten Muster angelegt sind oder zumindest so scheinen, als hätte ihre Anordnung eine Bedeutung. Und richtig: "Ich möchte, dass ihr zu eurem jeweiligen Projekt schreibt." Die fünf zu füllenden Zeilen sind dabei jeweils mit Thema, Assoziationen zum Projekt, persönlichen Erfahrungen, einem Satz mit "Ich" und einem Fazit zu füllen. Nur: die Anzahl der zu verwendenden Wörter ist begrenzt.

Schreiben, verändern, und wieder schreiben und: Beobachten

Die anderen Teilnehmer verfallen nun in einen Rhythmus von Schreiben, überlegen, wieder schreiben, etwas wegradieren oder durchstreichen und schließlich wieder schreiben. Ich kann mich zurücklehnen und habe Zeit mich umzusehen, da ich die Einzige bin, die nicht an dem Wettbewerb "Demokratisch Handeln" teilgenommen hat. Die Einzige, die nicht der Aufforderung "Gesagt! Getan!: Gesucht werden Beispiele für Demokratie. In der Schule und darüber hinaus" nachgekommen ist - zu meiner Verteidigung muss ich vorbringen, dass ich das Förderprogramm nicht einmal kannte - und somit die Einzige bin, die hier nicht wegen eines besonderen Projektes am Workshop teilnehmen kann.

Das ist Reporter-Dasein, schätze ich: Dabei sein, aber nicht dazugehören müssen oder sogar sollen. Beobachten. Trotz allem komme ich mir nicht überflüssig oder gar ausgegrenzt vor. Im Gegenteil. Meine anfängliche Skepsis ist längst überwunden und vergessen. Kurz: Ich fühle mich hier wohl. Ebenso wie die anderen Teilnehmer. Mir kommt in den Sinn, was ich zuvor über die Workshops und ihre Aufgaben gelesen haben: "In den Workshops werden Jugendliche und Erwachsene verschiedener Generationen, verschiedener Schularten und verschiedener Herkunft zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit finden müssen." Ich lächle leicht. Aufgabe erfüllt. Eindeutig.

Zum ersten Mal seit ich diesen Raum betreten habe, sehe ich mich eingehender um. Die Trafobox ist ein fast quadratischer, mit hellen Farben getünchter Raum. Rohrleitungen verlaufen an der hohen Decke, die von grauen Stahlträgern gehalten wird. Die Tür, durch die ich vorhin gekommen war, ist eingefasst in eine Glasfront, durch die das Sonnenlicht einfällt.

Rund um die Wände stehen Stühle, bilden einen leeren Kreis. Im Zentrum des Raumes stehen drei Tische aneinander gerückt, an denen die Teilnehmer Platz genommen haben. Man könnte so weit gehen und den Raum als steril bezeichnen, von einer anonymen Atmosphäre sprechen und das ist sicher auch auf die eine oder andere Art und Weise zutreffend, wäre man hier allein.

Sprich: Es fällt nicht auf, während man in dieser kleinen Runde von Leuten sitzt, wie ich es gerade tue. In diesem geschlossenen Kreis, der Zugehörigkeit vermittelt. Seine eigene Gruppendynamik entwickelt hat. Ich schrecke auf, als ein Zug draußen vorbei rattert und die Stille, die sich über die Trafobox 3 gelegt hat, durchbricht. Seltsam, dass mir das erst jetzt bewusst wird.

Erste Texte und Eindrücke werden ausgetauscht

Die Anderen sind fertig und Tobias bittet sie, vorzulesen, was sie niedergeschrieben haben. Ich höre - wie der Rest der Gruppe - schweigsam und interessiert zu und bin beeindruckt, was man mit dem bloßen Willen zu ändern, zu helfen, erreichen kann.

Die Nachdenklichkeit in die wir verfallen sind, nachdem die Projekte kurz vorgestellt und erläutert wurden, wird bald weggewischt, als Tobias mit einem neuen Text auf uns zukommt. Er grinst, während er die Blätter austeilt und gibt uns die Aufgabe, ihn auf Klischee zu überprüfen. Kaum haben wir gelesen, stöhnt Jana auf: "Ich finde das alles klischeehaft!" Ungerührt stellt Tobias Scheren und Kleber in die Mitte der Tische. Das Erstellen eines neuen Textes aus den Wörtern des alten und bitte ohne Klischee wird uns nun die nächste Stunde beschäftigen. Während ich schneide, habe ich Zeit mich mit meiner Sitznachbarin zu unterhalten: Birgitt aus Bremen. Auf die Frage, was ihr von der Woche in Jena am meisten in Erinnerung bleiben wird, antwortet die Deutschlehrerin mit neunzig Prozent Ausländern in ihren Klassen: "Der Workshop wird besonders haften bleiben, eben weil es Spaß macht. Weil ich hier in erster Linie kein Deutschlehrer bin, sondern das für mich mache. Wieder mehr Spaß am Wort finde. Solche Dinge können Steine ins Rollen bringen. - Ein Kurs an der Volkshochschule", fügt sie lächelnd hinzu. Auch die zweite Deutschlehrerin in unseren Reihen, Kerstin, ist begeistert. "Schüler sagen oft, dass Schreiben eine Nummer zu groß für sie wäre. Hier sieht man, dass man es schaffen kann. Was ich auch beeindruckend finde, ist dass hier die unterschiedlichsten Leute aufeinander treffen, die alle auf einer anderen Ebene schwingen. Sich austauschen. Neues entdecken."

Kurz vor der Mittagspause drängt Tobias zur Eile ("Wir wollen doch noch soviel machen!") und die ersten Ergebnisse werden präsentiert, diskutiert, die Verfasser mit dem Entstandenen konfrontiert. Andächtige, überlegende Stille schwebt nach dem Lesen der Texte zwischen uns. Nur die gelegentlich vorbei fahrenden Züge und das Brummen einer Hummel im Raum sind wahrnehmbar. Erst langsam und behutsam wird die Ruhe durchbrochen. Erst langsam richten sich die starrenden, glasigen Augen wieder auf den Verfasser. Erst langsam kehrt man vom Text zur Realität zurück. Tobias lächelt wissend. "Vertrautes Öffnen."

"Ich gehe aus dem Haus und die Sonne strahlt mir ins Gesicht. Ich ärgere mich darüber. Ich könnte vor Wut das Telefon an die Wand schmeißen. Das ist wieder einer dieser verdammten Tage…" Annemarie wird beim Lesen vom Lachen der Anderen unterbrochen und vom eigenen Glucksen in der Stimme.

Schreibspiele und eigene Texte

Nach der Mittagspause hatte Tobias sich zu einem Schreibspiel entschlossen. Die Ergebnisse des "Jeder schreibt nur einen Satz und reicht das Blatt dann weiter-Systems" sind mehr als nur erheiternd. Trotzdem fällt es Tobias nicht schwer, die Gruppe dann zum kreativen Schreiben zu führen, das ebenfalls mit viel Begeisterung aufgenommen wird. Nicht nur, weil dadurch die Möglichkeit gegeben ist, Zettel und Stift für anderthalb Stunden mit nach draußen zu nehmen und die Sonne zu genießen. Drei Kursteilnehmer aber bleiben im Raum, konzentriert über ihre Blätter gebeugt. Zu Hören ist nur das beständige Kratzen der Stifte auf dem Papier, vermischt mit dem vom fern tönenden, monotonen Brummen des Verkehrslärms.

Seufzend lasse ich mich in das Polster des Stuhls sinken, froh, nicht mit in die Aufgabe eingebunden zu sein. Froh, für einen Moment einfach durchatmen zu können. Um 16 Uhr strömen auch die anderen Kursteilnehmer wieder in den Raum. Wieder wird vorgetragen, wieder nehmen die anderen es still in sich auf.

Tobias ergreift - nach mehreren verunglückten und dann zufrieden stellenden Versuchen, die Präsentation am nächsten Tag vorzubreiten - das Schlusswort. Er fragt, wie wir den Tag empfunden haben und sieht nach der ausschließlich positiven Resonanz glücklich und zufrieden in die Runde.

Was bleibt?

Auf dem Nachhauseweg beginne ich, den Workshop für mich zu reflektieren. Stellte sich mir noch zu Beginn des Tages die Frage, was Schreiben mit Demokratie zu tun hat, konnte ich mir nun eine Antwort geben. Ich hatte jetzt einen anderen Bezug zu "Gesagt! Getan!" gefunden und konnte dem Zustimmen, was auch die anderen Teilnehmer mir auf diese Frage antworteten. So sagt beispielsweise Marieke: "Schreiben ist reflektieren. Sich mit sich selbst und anderen auseinandersetzen." Oder Jana: "Schreiben heißt Gedanken besser ausdrücken zu können. Führt zu einer größeren Tiefe."

Man muss es als Erfolg sehen, dass die Menschen in den Workshops gleichberechtigt miteinander umgehen. Ohne Vorurteile. Sich einfach in einer Gruppe zusammenfinden. Unter dem Motto "Gesagt! Getan!" ein Zeichen für die Demokratie setzen. Und am Ende das Tages verstand ich: Schreiben kann und sollte Vorraussetzung für "Gesagt!" sein, nach der Art wie Jana und Marieke es äußerten. Denn, wie auf dem Ausdruck zum Textworkshop zu lesen war: "Schreiben macht frei, Schreiben ist Ventil, Schreiben verbindet."

Die Idee, die hinter dem Projekt "Demokratisch Handeln" steht, finde ich großartig. Der Tag im Workshop hat nicht nur viel Spaß gemacht und mir eine neue Sicht auf Texte und Das Verfassen von Texten gegeben, sondern mich auch nachdenklich gestimmt. Nachdenklich, wenn ich mich mit den Menschen vergleiche, die dort waren, wegen eines Projektes, an dem sie selbst gearbeitet haben und größtenteils noch immer arbeiten. Nachdenklich, wenn ich ihr Engagement sehe, ihren Willen, etwas zu ändern. Nachdenklich, wenn ich dann erkenne, wie einfach ich es mir selbst von Zeit zu Zeit doch mache. In dem Sinne hat mich der Gedanke begeistert, der dieses Projekt ausmacht und all diese Menschen miteinander verbindet. Umso mehr finde ich es schade, wie wenig präsent dieses Förderprogramm im Alltagsleben doch ist und wie viele Menschen nicht davon wissen. Menschen, zu denen ich mich bis vor kurzem auch zählen musste.

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