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Workshop 06

„Europa“ – Ein Exkurs in die Lernstatt Demokratie


Nadine Müller-Dittmann, Carl-Zeiss-Gymnasium Jena, Kl. 11

„Einfach hereinspazieren!“, Benjamin, der erste Workshop-Teilnehmer ermunterte mich, die „Trafobox 2“ zu betreten. Die würfelartige Form des Zimmers mag an eine Box erinnern, dennoch ist es alles andere, als ich mir unter der - für einen Raum - abstrakten Bezeichnung „Trafobox“ vorgestellt hatte.

Wände in beige, ein Stuhlkreis in der Mitte und rechts eine Tafel, die das Thema des Workshops verkündet: „Europa bewegt Schule – Schule bewegt Europa“,fallen zunächst ins Auge. Eine metallfarbene Lampenleiste von der Decke herabragend, ein Tisch mit Informations- und Arbeitsmaterialien in der einen und ein rot leuchtender Feuerlöscher in der anderen Ecke, die Trafobox: „quadratisch, praktisch, gut“.

Die „Box“ verfügt über einen direkten Zugang zum Speisesaal. Auf der Treppe, die beide Räume miteinander verbindet, erscheint ein schlanker, sportlich gekleideter und freundlich wirkender Mann. Den Namen, den er an sein T-Shirt gepint hat, brauche ich nicht zu lesen. Ich weiß sofort: Das ist Harry, der Leiter des Workshops. Er mischt sich sofort in das Geschehen ein, begrüßt alle Teilnehmer auf eine angenehm lockere Art und schlägt eine kleine Übung zum Kennen lernen und Munterwerden vor: Alle Gruppenmitglieder ordnen sich gemäß der alphabetischen Reihenfolge ihrer Vornamen an. So lautet die Aufgabe, die umgehend von den Teilnehmern umgesetzt wird. Das Vergleichen der Namen wird jedoch von der hereinstürmenden Hannelore unterbrochen. Mit Hannelore vor Harry geht die Reihe von „B“ wie Benjamin bis „T“ wie Tim nun ein zweites Mal durch.

Für die erste Aufgabe wählt sich jeder eine Postkarte aus, die er an einen Bekannten schreibt. Themen sind natürlich die Erlebnisse rund um die Lernstatt. Dabei darf auch Kritik angebracht werden und Harry ist keineswegs um ein Beispiel verlegen: „Ich sitze hier mit 6 vertrockneten Hanseln und muss, weil ich den Preis gewonnen habe, diesen Workshop hier absitzen – ich ahbe Arbeit gewonnen!“ Ein kurzes Lachen huscht durch den Raum und geht in einen regen Austausch mit dem Nachbarn über. Bald hört man nur noch die Stifte kritzeln und hier und da ein leises Räuspern. Kirsten wühlt in ihrer Tasche, Frank wirkt mit seinen übereinandergeschlagenen Beinen und dem grübelnden Blick sehr konzentriert und links flüstert Johanna ihrer Mutter etwas zu. Ein kühler Windhauch erfasst mich. Soeben wird eine Pinnwand hereingebracht. Wie für einen Workshop zum Thema Europa wichtig, wird daran eine Landkarte Europas befestigt. Wir kommen später darauf zurück, denn nun steht den Teilnehmern eine durchaus schwierige Aufgabe bevor.

Europa – Was wissen wir davon?

Ein Arbeitsblatt mit Fragen rund um europäische Kulturen soll ausgefüllt werden. Erneut in einer Gruppenarbeit soll man möglichst für jede Aufgabe einen Workshop-Teilnehmer finden, der diese mit „ja“ beantworten kann.

Sofort ist der Raum von regem Schwatzen erfüllt. „Kannst du eine Kirche in Paris benennen?“ ist für die meisten Teilnehmer keine Hürde, doch bei der Frage „Kennst du fünf türkische Wörter“ scheiden sich die Geister. Ein Anfang bildet Tim, der sein multikulturelles Wissen anzubringen versucht: „Ich kenne nur Döner und Kebab!“. In der Auswertung löst Hannelore diese schwierige Frage mit Bravur und zeigt sich sogar auf dem Gebiet türkischer Schimpfwörter bewandert. Das abschließende Gespräch führt zu einem interessanten Austausch von Erlebnissen bei Klassenfahrten bis hin zum Ausländeranteil an den Schulen in den verschiedenen Bundesländern.

Auch die hinzu gekommenen Teilnehmerinnen Kerstin und Silvia aus Bad Berka haben sofort zur Diskussion beizutragen. Harry zeigt sich sehr interessiert, er unterhält, fragt nach und versteht es, verständnisvoll mit sensiblen Themen umzugehen, das Geschehen aber auch mit viel Witz aufzulockern.

Nun kommt die Landkarte zum Einsatz. Die Teilnehmer sollen jeweils europäische Urlaubsländer mit weißem Pin markieren. In der zweiten Runde stehen die Farben grün (Erstwahl), gelb (Zweitwahl) und rot (Abwahl) zur Verfügung, um Partnerländer für den Schulaustausch zu wählen. Nachdem sich die Karte mit vielen bunten Farben gefüllt hat und sich auffällig viele rote Punkte in Großbritannien und Italien häufen, wird im gemeinsamen Gespräch ausgewertet.

Schlechte Erfahrungen in bestimmten Ländern zu Klassenfahrten und Urlauben werden als Ablehnungsgrund genannt. Kirsten und Johanna waren bei ihrer Länderwahl auf den Gegensatz bedacht und wählten je ein nördlich und ein südlich gelegenes

Land. Hannelore führt bereits mit unseren polnischen Nachbarn erfolgreich Projekte durch und setzte daher ihren „grünen Punkt“ nach Polen. In der Entfernung und politisch unklaren Lage sieht sie einen Ablehnungsgrund für Zypern.

Eine Pause für Europa

Nun dürfen die Teilnehmer frische Luft schnappen und sich auf dem IMAGINATA-Gelände besprechen. Harry beschreibt kurz das COMENIUS-Projekt  der Europäischen Union (EU), das europäischen Schüleraustausch fördert. Er schlägt vor, dass in Gruppen pro- und contra-Argumente für dieses Projekt erarbeitet werden. Ausgewertet wird der sogenannte Projektspaziergang jedoch erst nach einer kräftigen Stärkung, denn das Mittagessen lockt.

Wieder zurück in der Trafobox hat Harry einen weiteren Höhepunkt vorbereitet. Wie gut es um unsere Fähigkeiten des aktiven Zuhörens und genauen Beschreibens bestellt ist, demonstriert er uns mit Hilfe eines „Tangram“. Sieben geometrische Figuren (darunter Dreiecke verschiedener Größen, Rechtecke, ein Quadrat und ein Parallelogramm) sollen eine Figur ergeben. Je ein Schüler und Lehrer arbeiten zusammen. Der Schüler versucht die Anordnung der Flächen exakt zu erklären, während der „Pauker“ umsetzt, was er gesagt bekommt, Zwischenfragen sind tabu.

Ein schwieriges Unterfangen und man triumphiert oder scheitert katastrophal! Einige Gruppen sind erfolgreich, andere zutiefst deprimiert, dennoch ist dieses Spiel ein Garant dafür, das sich abzeichnende Mittagstief zu überwinden. Harry ermuntert die Lehrer, diese Möglichkeit auch in den Unterricht einzubeziehen. In einer zweiten Runde mit Rollentausch und hilfreichen Tipps, die Harry verrät, kann sich auch so manche, zunächst erfolglose Gruppe für das Tangram erwärmen.

Der Projektspaziergang und seine Ergebnisse

Nun sind alle wieder bei der Sache und die drei Gruppen machen sich an die Auswertung ihres Projektspazierganges. Wieder wird die Pinnwand als Darstellungsmedium genutzt. Als sehr interessant werden die unterschiedliche Sichtweise von Lehrern und Schülern wahrgenommen, ja sie tragen bisweilen zur allgemeinen Erheiterung bei. Bestes Beispiel: Während die Pädagogen den Unterrichtsausfall kaum verschmerzen können, sehen die Schüler darin einen besonderen Anreiz für das Projekt.

Als sehr spontan und gelungen erweist sich das Streitgespräch zwischen Befürwortern des Projektes und ihren Kontrahenten auf der Basis der gesammelten Argumente. Johanna und Marius verteidigten ihr Partnerschaftsprojekt vehement gegen die ebenso hartnäckige Konkurrenz Hannelore und Benjamin.

Mit begeisterten Applaus werden die Widersacher belohnt. Die Sachlichkeit und das selbstbewusste Auftreten der Gesprächspartner sehen die Zuschauer als Grund für die überzeugende Wirkung des Streitgespräches.

„Wie ist es euch dabei ergangen?“ wollte Harry von Zuschauern wie Streitenden wissen. Einige der Beobachter hätten gern in die Diskussion eingegriffen. Dies wäre wohl auch im Sinne der Konkurrenten gewesen, Hannelore hat das Gefühl nicht vorwärts zu kommen. Die Schüler empfinden die unterschiedlichen Sichtweisen von Lehrern und Schülern als problematisch.

Das Streitgespräch und die Auswertung bilden die Basis der Präsentation des Workshops für den kommenden Tag.

COMENIUS und unsere Plenumspräsentation

Natürlich sind alle Workshop-Teilnehmer nun gespannt darauf, mehr über das Projekt COMENIUS zu erfahren. In einer  Gesprächsrunde erzählt Harry, welche Voraussetzungen man erfüllen müsse und welche Möglichkeiten COMENIUS mit sich bringt. Mit eigenen Erfahrungen und Anekdoten unterlegt er seine Ausführungen und auch die Anfragen der vor allem interessierten Lehrer bringen Schwung in die Runde.

Doch langsam drängt die Zeit. Für die Präsentation sind bisher nur Vorschläge zusammengetragen worden. Doch gemeinsam wird auch dieses Problem umgehend gelöst.

Frank schnappt sich die die „Europa-Verfassung“ – also den soeben bei den Referenden in Frankreich und den Niderlanden abgelehnten Europa-Vertrag - und findet darin eine Abschnitt, der als Einleitung verwendet wird. In der Präsentation versuchen Johanna und Marius Skeptiker davon zu überzeugen ein europäisches Austauschprogramm durchzuführen. Ob nun Harrys Defizite bezüglich der Verständigung im Ausland oder Kirstens Problem mit der Bürokratie, die beiden Befürworter haben stets eine Lösung für das Problem und schließlich werden alle überzeugt, das Haus Europa aufzubauen, denn sie sind überzeugt: „Wir sind das Fundament!“.

Dass niemand diesen Tag mit dem Etikett „dieser blöden Workshop“ abstempeln würde, darüber bin ich mir sicher und denke, dass es für alle Teilnehmer eine tolle Belohnung für die Mühen ihrer Projekte war.

Mein Resümée

Der Workshop war mir eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag. Es war sofort eine vertraute Atmosphäre, man hat mich gleich in die Gruppenarbeit einbezogen. Es fiel mir persönlich sehr schwer, mich als „unbeteiligter“ Beobachter aus dem Geschehen herauszuhalten. Besonders die spielerischen Aspekte, die die Arbeit auflockerten und an das Thema des Workshops heranführten, empfand ich als angenehm. Die Gruppenarbeit war unglaublich effektiv und es ist innerhalb eines Tages ein tolles Ergebnis entstanden. Auch Harry hat den Workshop wunderbar geleitet, ohne dabei lehrerhaft zu wirken. Ich kann jedem nur empfehlen, Zeit und Arbeit in ein Projekt zu investieren, denn die Lernstatt Demokratie ist eine gelungene Veranstaltung und sicher die Mühe wert. (Nadine aus Jena)

Bilder und Ergebnisse

 
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