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Auf den Spuren von Hans Gasparitsch


Es ist wirklich warm um halb drei Uhr nachmittags. In Stuttgart scheint die Sonne. In manchem Gesicht zeigt sich leise Schläfrigkeit, aber die ist schnell wieder verflogen, denn zwölf Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b haben im Rahmen eines Geschichtsprojekts zusammen mit ihrem Lehrer Jürgen Alber einen ganz besonderen Stadtspaziergang vorbereitet: Wir werden den Spuren von Hans Gasparitsch folgen. Überraschend und erfreulicherweise schließen sich Herr Hiller und Herr Götze an, Mitinitiatoren der "Initiative Stolpersteine", die den Spaziergang mit Ausführungen zu ihrem Thema bereichern. Die beiden Themen ergänzen sich: Hans Gasparitsch, der so jung ins KZ kam, weil er sich antifaschistisch engagierte; die Stolpersteine, die dauerhaft an die jüdischen Opfer des Naziregimes erinnern sollen.

Die Schülerinnen und Schüler der 9b besuchen eine geschichtsträchtige Schule. Unweit von hier wuchs Hans Gasparitsch auf, in der Ostheim-Siedlung, einer typischen Arbeitersiedlung, erfahren wir. Und dann doch nicht so ganz typisch: Eduard von Pfeiffer, Bankier von Beruf, hat sie erbaut und die Wohnbedingungen seiner Arbeiter sehr verbessert: Es gab keine "Gefangenenzimmer" mehr, also Zimmer, in die man nur über ein Durchgangszimmer gelangen kann. Dafür gab es soziale Einrichtungen, einen Kindergarten, ein Kinderheim, welches übrigens heute noch diese Funktion hat. Im übrigen kleine Nutzgärten, die Selbstversorgung möglich machten. Das alles bedeutete um 1900 einen großen Fortschritt.

Wir sehen das Haus, in dem Hans Gasparitsch die ersten 15 Jahre seines Lebens verbracht hat, sehen ihn als kleinen Jungen in Lederhose auf dem Foto. Ein schönes Haus in einer ruhigen Straße. 1924 wird er eingeschult, in eben jener Schule, die heute die GHS Stuttgart ist und in der die "Lernstatt Demokratie" in diesem Jahr stattfindet. Hans Gasparitsch hat keine schöne Schulzeit, er wird von den Lehrern "gemoppt", erzählt eine Schülerin, weil sein Vater "rot" ist, die falsche Partei wählt. Er erlebt Diskriminierungen, darf auch nicht auf den Schulturm, welcher für alle Schüler eine große Attraktion darstellt. Nach der Volksschule besucht er die Realschule, aber nur für zweieinhalb Jahre: der Vater wird aufgrund seiner Parteizugehörigkeit arbeitslos, die Eltern können das Schulgeld nicht mehr bezahlen. Hans wird Buchdruckerlehrling.

Schon zu seiner Realschulzeit engagiert er sich politisch. Er gründet mit anderen Jugendlichen die Gruppe "g", "g" steht für "geheim". Zusammen entwerfen und verteilen sie illegale antifaschistische Flugzettel. Aber das reicht ihnen nicht, sie wollen mehr Menschen erreichen und planen eine große, eine öffentliche Aktion.

Bevor wir aber davon erfahren, laufen wir weiter. Wir wollen in den Schloßpark zu den, Rossbändigern", das sind Denkmäler und die Wahrzeichen von Stuttgart. Auf dem Weg dorthin zeigt sich die Stadt von ihrer malerischen Seite: Wir passieren eins der vielen "Stäffele", kleine verwunschene Treppen, die das Auf und Ab an den zahlreichen Hängen dieser Stadt ermöglichen. Darauf folgt gleich eine vielbefahrene sechsspurige Straße, größtmöglicher Kontrast, die wir überqueren müssen, um dann auf einmal auf eine große grüne Oase mit alten Bäumen hinabzuschauen: der Schlosspark.

Im Schatten der Rossbändiger empfinden wir die Minuten im März 1935 nach, von denen uns eine Schülerin berichtet: Wie Hans Gasparitsch mit einem Topf roter Bleifarbe in den Park kommt. Wie er "Hitler ist gleich Krieg" auf den einen und "Rot Front" auf den anderen Sockel der Rossbändiger schreibt. Dass ein Klecks roter Farbe auf seine Jacke kommt und Hans es nicht bemerkt. Dass er dann eine Stunde später in "jugendlichem Leichtsinn" in den Park zurückkehrt, um sein Werk noch einmal zu betrachten. Die Polizei ist da, der Fleck auf seiner Jacke überführt ihn. Er wird verhaftet und ins "Hotel Silber" gebracht, wird sofort vernommen. Er ist siebzehn Jahre alt.

Auch wir machen uns auf den Weg zum "Hotel Silber", quer durch den riesengroßen Schlosspark, der "gold wert" ist, bemerkt Jürgen Alber. Aber weder die zahlreichen Springbrunnen noch das Planetarium, "eins der modernsten in Europa", und noch nicht einmal die "herausragende Architektur" der von Forster gebauten Musikschule können jetzt unsere Gedanken von Hans Gasparitsch ablenken.

Dann endlich sind wir vor dem "Hotel Silber", das so heißt, weil es ganz zu Anfang seiner Entstehungsgeschichte wirklich mal ein Hotel war; Hans Gasparitsch jedoch hat es als Sitz der Gestapo kennengelernt. Zu seiner Zeit sprach man, erzählen uns Herr Hiller und Herr Götze, den Namen nur flüsternd aus. Hier fanden Verhöre statt, wurden ohne Gerichtsurteil Gegner des Regimes enthauptet. "Lebendig?" fragt eine vielleicht 15jährige Schülerin nach. In ihrem Gesicht steht ängstliches Unglauben.

Hans Gasparitsch wird hier "nur" verhört. Die Gestapo will die Namen der Mitverschwörer wissen. Hans verrät sie nicht, aber in seiner Wohnung wird ein Foto gefunden, auf dem seine Freunde zu sehen sind. Er kommt ins Gefängnis. Er glaubt, nach zweieinhalb Jahren freizukommen, aber dazu ist er den Nationalsozialisten zu gefährlich: Einen Tag vor seiner Entlassung teilen sie ihm mit, dass ohne seine Anwesenheit der Fall neu verhandelt wurde, dass "weitere Umerziehung" nötig sei. Er kommt in das KZ Dachau, wird später, als die Briten kommen, nach Buchenwald "verlegt", das bedeutet die Teilnahme an einem Todesmarsch.

Bis 1945, zehn Jahre lang, ist er in Gefangenschaft. Hans Gasparitsch übersteht und überlebt die Zeit, nicht zuletzt, weil viele seiner Mithäftlinge, gerührt über sein Alter und seine Geschichte, ihm so gut wie möglich Schutz zukommen lassen, ihn aus dem Steinbruch holen, ihm Arbeit in der Effenktenkammer zuteilen.

In den 70er Jahren wird ein Mahnmal von Elmar Daucher in Stuttgart errichtet. Jedes Jahr steht Hans Gasparitsch von nun an jeweils am antifaschistischen Aktionstag in alter Häftlingskleidung davor. In jedem Jahr wird er den Text von Ernst Bloch gelesen haben, der dort in Stein eingelassen ist und den auch wir heute gelesen haben: "Verfemt, verstoßen, gemartert, erschlagen, erhängt, vergast. Millionen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beschwören dich: Niemals wieder!"

"Bückt euch und lest"
Wer in Stuttgart durch die Straßen geht, wird hier und da auf ganz besondere Pflastersteine treffen. Das sind die Stolpersteine, die stolpern machen sollen -stolpern nicht, weil sie den Füßen im Weg stehen, sondern stolpern im Kopf, erinnern soll man sich, wenn man sie sieht - und man sieht sie an mittlerweile schon 64 Orten in Stuttgart, an 3000 Orten bundesweit. Diese Stolpersteine, kleine Platten aus Messing, die in den Boden des normalen Bürgersteigs eingelassen sind, sind individuelle Mahnmale an Orten, an denen Juden gewohnt haben, die durch das Naziregime umgebracht wurden. Auf ihnen steht jeweils ein Name. Ein Name, hinter dem immer eine Geschichte steht, z.B. die von Jakob Holzinger, der Arzt war und mittellose Patienten auch mal einfach so behandelte. Dann plötzlich spielte es eine Rolle dass er Jude war -er brachte seine Kinder im Ausland in Sicherheit und sah für seine Frau und sich selbst keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. 1940 atmeten beide Zyankali ein.

Das Außergewöhnliche an diesen Stolpersteinen ist ihr Auftauchen überall in der Stadt. "Ein Mahnmal kann man umgehen", sagen Herr Götze und Herr Hiller, man kann ihm aus dem Weg gehen -bei Stolpersteinen geht das nicht. Sie sind überall dort, wo das alltägliche Leben stattfindet und erinnern hartnäckig. Und das muß genau so sein, sagt Herr Götze eindringlich: "Weil sich so etwas in Deutschland niemals wiederholen darf!" (Marie Wöpking)

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